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Ich bin ein großer Fan von Genossenschaften. Wie wahrscheinlich viele andere Menschen auch, habe ich relativ spät gelernt, dass es sie gibt und was so toll an ihnen ist: dass gemeinschaftlich gewirtschaftet, in Kreisläufen gedacht wird und das Geld nicht in den Taschen von Investor*innen verschwindet. Ich glaube fest daran, dass Genossenschaften eine wichtige Rolle bei der Transformation unserer Gesellschaft hin zu einer nachhaltigeren und gerechteren spielen werden.
Mittlerweile bin ich konsequenterweise Teil einer Buch- und einer Bank-Genossenschaft und habe gelernt: Genossenschaften gibt es für (fast) jeden Lebensbereich. Auch für Strom.
PROKON Regenerative Energien eG ist eine Energiegenossenschaft – nach eigenen Angaben die größte in Deutschland. Mit knapp 40.000 Mitgliedern wird hier die Energiewende vorangetrieben.
Weil das Thema Strom und Energiewende ein wenig kompliziert ist, habe ich bei Prokon nach Antworten gesucht: Wie arbeitet so eine Genossenschaft? Ist der Strom wirklich zu 100% Greenwashing-sicher? Wie geht es voran mit der Windenergie in Deutschland?
Kai Jacobsen ist Leiter der Unternehmenskommunikation von Prokon und berichtet von Erfolgen, Herausforderungen und (guten) Zukunftsaussichten.
©Jacques Tarnero
Prokon ist eine Energiegenossenschaft. Was kann ich mir darunter vorstellen?
Kai Jacobsen: In einer Genossenschaft schließen sich die Mitglieder zum Zweck des „gemeinsamen Wirtschaftens“ zusammen. Erst durch das Zusammenbringen von Zielen und Geld lassen sich bestimmte Zwecke (bei Wohnungsgenossenschaften das Bauen eines Hauses mit vielen Wohnungen, bei Energiegenossenschaften der Aufbau einer Infrastruktur zur Energieerzeugung) sinnvoll und einer größeren Dimension erreichen. Bei einer Genossenschaft hat jedes Mitglied eine Stimme, egal wie hoch sein finanzieller Anteil ist.
Ihr seid seit 2015 eine Genossenschaft. Was hat euch zu dem Schritt bewogen? War die Umstellung schwierig?
Kai Jacobsen: Prokon musste 2014 aufgrund von Managementfehlern Insolvenz anmelden. Die Anteilseigner haben aber dennoch an das grundsätzlich sinnvolle und solide Geschäftsmodell des Unternehmens geglaubt und gemeinsam die Gründung einer Genossenschaft vorgeschlagen, bei der die Anteilseigner – anders als vorher – auch ein Mitspracherecht haben. Der Neustart war nicht ganz einfach, teilweise geben Insolvenzplan und eine ausgegebene Anleihe zur Finanzierung immer noch den Handlungsrahmen vor. Aber die Genossenschaft hat inzwischen das vierte Geschäftsjahr in Folge mit einem Gewinn abschließen können und in den letzten drei Jahren eine Dividende zwischen 3 und 5 % ausgeschüttet.
Was ändert sich für mich als Endkund*in in einer Energiegenossenschaft gegenüber einem nicht-genossenschaftlichen Stromanbieter?
“Strom ist Strom. Aber ich kann mit der Wahl meines Stromanbieters eine bewusste Entscheidung treffen, welches Wirtschaftsmodell von meinem Geld profitieren soll. Mit einer Entscheidung für Prokon fördere ich effektiv den Ausbau der Erneuerbaren Energien und kann als Mitglied der Genossenschaft den Kurs mitbestimmen und am wirtschaftlichen Erfolg partizipieren. Ich bin dann indirekt mein eigener Stromproduzent.” – Kai Jacobsen
©Prokon eG
Euer Schwerpunkt ist Windenergie. Warum?
Kai Jacobsen: Weil wir es können. Wir haben 26 Jahre Erfahrung in der Planung, Errichtung und dem Betrieb von Windparks an Land. Aber wir stellen uns aktuell breiter auf und projektieren je nach Rahmenbedingungen vor Ort auch Photovoltaik-Anlagen und beobachten den Markt rund um die Erneuerbaren Energien sehr genau.
Wie hat Prokon den politischen Widerstand gegen den Ausbau der Windenergie in der letzten Zeit erlebt? Gab es deswegen Schwierigkeiten – oder war von einem Bremsen nichts zu spüren?
Kai Jacobsen: Noch 2016 haben wir 133 MW an Leistung genehmigt bekommen, 2017 gar nichts. In dem darauffolgenden Jahr lagen wir in Deutschland im Schnitt bei rund 20 MW. Aktuell scheint es langsam wieder aufwärtszugehen. Zum Glück sind wir nicht nur Entwickler, sondern auch Betreiber und wir haben die Delle durch Geschäft in Finnland zum Teil ausgleichen können.
Was muss sich tun, damit Windkraft in Deutschland ihr volles Potenzial entfalten kann? Wie groß ist dieses Potenzial?
Kai Jacobsen: Es gibt auch in Deutschland immer noch Flächen, die sich für den Ausbau der Windenergie eignen. Insgesamt wird das Potenzial auf bis 200 Gigawatt Produktionsleistung geschätzt. Derzeit sind rund 55 Gigawatt installiert. Ein Großteil des Potenzials müsste aber nicht durch neue Windparks, sondern durch den Austausch bestehender Anlagen durch neue, leistungsfähigere Anlagen erfolgen. Auf der einen Seite müsste die Windenergie einen gewissen Vorrang bei der Genehmigung eingeräumt bekommen – wie es in früheren Jahren auch bei Kohle- oder Atomkraftwerken der Fall war – und es müsste einfacher sein, Alt-Anlagen zu „repowern“ ohne dafür komplett neue Genehmigungsverfahren zu durchlaufen.
©Jacques Tarnero
Prokon erzeugt mehr Ökostrom als die Kund*innen verbrauchen – nach euren Angaben ist das einzigartig in Deutschland. Wie macht ihr das?
Kai Jacobsen: Es gibt nur wenige unabhängige Betreiber von regenerativen Kraftwerken, die auch als Stromlieferant für Endkunden tätig sind. Und es gibt nur wenige Ökostrom-Lieferanten, die über größere eigene Produktionskapazitäten verfügen. Beides in einer Hand – das zeichnet Prokon aus. Da unsere Produktionskapazitäten leistungsfähiger sind als der Bedarf unser Endkund*innen, beliefern wir zusätzlich den deutschen Strommarkt (und damit auch andere Stromhändler) mit unserem Ökostrom.
Auch auf dem Strom-Markt gibt es mittlerweile viel Greenwashing. Wie stellt ihr sicher, dass bei den Verbraucher*innen wirklich zu 100% Ökostrom ankommt?
Kai Jacobsen: Das kann niemand sicherstellen. Denn es kommt aus der Steckdose immer ein Strommix und oft die Energie, die in der näheren Umgebung produziert wird. Es werden ja keine separaten Leitungen verlegt. Aber wir garantieren die Mengen, die unsere Windenergieanlagen CO2-frei produzieren und die wir ins Stromnetz einspeisen. Über Verträge mit unseren eigenen Windparks stellen wir zudem sicher, dass unsere Kund*innen bilanziell 100 % Windstrom aus eigener Erzeugung erhalten, wir also die abgenommenen Mengen auch tatsächlich ins Netz einspeisen und dass dadurch konventionelle Kraftwerke abgeschaltet werden können. Und wir investieren die Erlöse in den weiteren Ausbau unserer Erzeugungsanlagen.
Ihr errichtet eigene Windanlagen und wartet diese auch selbst, was ihr besonders hervorhebt. Ist das etwas Außergewöhnliches? Wie läuft der Weg vom Windrad zu meiner Steckdose bei anderen Anbietern ab?
Kai Jacobsen: Es gibt in der Branche oft eine Arbeitsteilung: Ein Unternehmen kümmert sich nur um den Handel von Strom, andere Unternehmen kümmern sich um die Stromnetze, wieder welche betreiben Kraftwerke und andere bauen sie. Nur wenige bilden wie Prokon nahezu die komplette Wertschöpfungskette von der Planung über den Bau bis hin zum Betrieb inkl. Service und Wartung ab. Und wir vermarkten auch unseren Strom selbst. Nur die Steuerung des Stromflusses zwischen Windrad und Steckdose steuern wir nicht selbst, sondern vertrauen dort den Netzbetreibern und Experten für das sogenannte Lastmanagement. Das machen übrigens auch alle anderen Anbieter so, denn anders würde eine verlässliche Stromversorgung in Deutschland gar nicht funktionieren.
Wie viele Windparks gehören derzeit euch und reicht ihr Strom aus, um alle Kund*innen mit 100% eigenem Strom zu versorgen?
Kai Jacobsen: Prokon ist in Deutschland im vollständigen Besitz von 46 Windparks und an 9 weiteren beteiligt. Die Parks haben 2020 über 700.000 MWh Strom produziert. Unsere Kund*innen verbrauchen im Jahr etwa 70.000 MWh. Somit könnten wir theoretisch 10 mal so viele Kunden mit eigenem Strom versorgen.
Warum ist es so wichtig, die Energiewende in „Bürgerhand“ zu legen?
Die großen Energiekonzerne aus der Zeit der Monopole haben lange an der konventionellen Energieerzeugung über Atomkraft und Kohle festgehalten. Zudem wurden die Gewinne privatisiert, die Folgekosten jedoch der Gesellschaft oder der Umwelt aufgebürdet. Die Energiewende ist vor allem von mutigen Initiativen aus Landwirten und anderen engagierten Bürgern vorangebracht worden.
Kai Jacobsen, Prokon
Kai Jacobsen: Die Zukunft der Energieversorgung liegt zudem in der dezentralen Erzeugung. Auch hier sind es vor allem bürgerschaftliche Initiativen wie regionale Energiegenossenschaften, die wichtige Schritte erst möglich machen. Und am Ende fördert es die Akzeptanz der Energiewende, wenn die Betroffenen auch an den Erlösen der Energieproduktion beteiligt sind.
Sind Genossenschaften die Wirtschaftsformen der Zukunft?
Kai Jacobsen: Die Finanz- und auch die Klimakrise haben gezeigt, dass der reine Wirtschaftskapitalimus in der Regel keine Rücksicht auf die Umwelt nimmt und Folgekosten der Allgemeinheit hinterlässt. Somit haben Wirtschaftsmodelle, die nicht ausschließlich auf die Rendite, sondern auch auf das Gemeinwohl achten, durchaus eine Zukunft. Die Rendite einer Genossenschaft drückt sich nicht nur in Geld aus, sondern in der Erreichung des gemeinsamen Ziels und der Wirksamkeit des Handelns. Genossenschaften sind zudem generationsübergreifend aufgestellt, Anteile werden in der Regel vererbt, somit sind sie auch in dieser Hinsicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet.
Was sind Prokons Pläne?
Kai Jacobsen: Wir wollen weiterhin die größte nachhaltig ausgerichtete Energiegenossenschaft in Deutschland bleiben und weitere Mitstreiter für uns gewinnen, um die Umstellung der Energieerzeugung auf 100 % regenerative klimaneutrale Energien möglichst vor den benannten Klimazielen zu erreichen. Wir setzen dabei weiterhin auf die Windenergie, werden uns aber breiter über alle erneuerbaren Energieformen aufstellen. Da das Thema Klimaschutz ein globales Thema ist, bringen wir unsere Kompetenz und Erfahrung auch in Ländern außerhalb Deutschlands ein und helfen auch dort bei der Umsetzung einer Energiewende weg von fossilen Brennstoffen.
Das Modell der Genossenschaft erfährt gerade eine Renaissance und wir wollen es attraktiv für neue, jüngere Mitglieder machen.\
Wie gesagt: Ich finde Genossenschaften großartig – und werde definitiv noch weiteren beitreten. Bei Prokon bin ich selbst (noch) nicht, aber das kann sich ja ändern. Vor allem nach diesem Interview denke ich stark darüber nach. Falls ihr euch für das Thema interessiert und sowieso auf Ökostrom umsteigen wolltet (es aber bisher auf die lange Bank geschoben habt), könnt ihr euch hier über eine Mitgliedschaft bei Prokon informieren.
Falls noch Fragen offen geblieben sind, stellt sie gerne in den Kommentaren – ich leite sie an Prokon weiter.