Vielleicht habt ihr es mitbekommen, vielleicht aber auch nicht: Gerade läuft eine Europäische Bürger*innen-Initiative zum Schutz von Insekten und Landwirt*innen. Konkret geht “Bienen und Bauern retten” um ein europaweites Pestizidverbot bis 2035. Das soll den Grundstein für eine langfristige und im doppelten Wortsinn nachhaltige Transformation des Agrar-Sektors legen.
Warum ist das wichtig?
Wie viel die Landwirtschaft nun konkret zum globalen wie nationalen CO2-Ausstoß und dem Anheizen des Klimas beiträgt, ist nicht ganz klar – je nachdem, wie gerechnet wird, gehen die Schätzungen auseinander. Wahrscheinlich ist, dass mindestens ein Viertel der globalen Emissionen auf ihr Konto gehen. In Deutschland hat sie im vergangenen Jahr mehr als 8% zum nationalen Treibhausausstoß beigetragen und hat damit einen „substantiellen Anteil“ an den Gesamtemissionen. Die Landwirtschaft trägt einen wesentlichen Teil zur Verschlimmerung der Klimakrise bei – und muss sich dringend ändern. Nicht nur, um Emissionen zu sparen. Sondern auch, um überhaupt zukunftsfähig zu bleiben.
Dabei geht es um mehr als nur die Massentierhaltung: Auch die intensive Bodenbearbeitung, Überdüngung und der Nährstoffentzug verursachen Emissionen, belasten das Grundwasser und ganze Ökosysteme. Die Art, wie wir Landwirtschaft betreiben, hat ausgedient in einer sich stetig erwärmenden Welt.
Für Landwirt*innen und Lebensmittelversorgung
Unser derzeitiges Modell fördert jene, die viel Fläche bewirtschaften und erhöht den Druck, immer mehr auf dieser Fläche zu produzieren. Kleine, familiengeführte Betriebe verschwinden zusehends – weniger Subventionen, zu unwirtschaftlich, das können und wollen sich immer weniger Menschen leisten. Anstatt eine dezentrale Versorgung sicherzustellen, konzentriert sich die Nahrungsmittelproduktion auf immer weniger Betriebe – so ein System ist anfällig. Werden beispielsweise Extremwetterereignisse noch häufiger und heftiger, ist es gut, mehrere, gut verteilte Produzent*innen zu haben – die eventuell sogar unterschiedliche Lebensmittel anbauen und abweichend voneinander arbeiten. Diese Experimentierfreude kann aber nur gegeben sein, wenn auch jenseits strenger Mengenvorgaben und Mittelkürzung experimentiert und ausprobiert sowie altes Wissen reaktiviert werden kann.
Für Insekten
Dass der omnipräsente Einsatz von Pestiziden Folgen für die Biodiversität hat, ist längst bekannt – trotzdem wird weiter gespritzt. Auch, weil den Landwirt*innen häufig wenig anderes übrigbleibt, wollen sie mithalten. Es leiden zuerst Insekten – allen voran die Bestäuber – und schließlich die anderen Tiere in dem Nahrungsgeflecht, die von ihnen abhängig sind. Am Ende leiden auch wir: Weniger Bestäuber = weniger Bestäubung = weniger Ernte, wenn wir nicht zukünftig mit der Pipette durch die Pflanzenreihen gehen und selbst per Hand bestäuben wollen. Würden die Bestäuber fehlen, wären unsere Teller karg und unsere Vitaminspeicher deutlich schlechter gefüllt als jetzt.
Tierische Bestäuber (zu denen nicht nur Insekten zählen) sind für den Fortpflanzungserfolg von bis zu 88% der Blütenpflanzen weltweit notwendig und tragen bis zu 35% zur globalen Lebensmittelproduktion bei. Tierische Bestäubung schafft – in Weltmarktpreisen ausgedrückt – einen Wert von bis zu 600 Milliarden Euro pro Jahr. Wir können uns gar nicht vorstellen, was verloren geht, wenn das Sterben so weitergeht und trotzdem tun wir wenig dagegen.
Mobilmachung von Unternehmen
Schrot und Korn schreiben in der aktuellen Ausgabe (9/2021), dass Glyphosathersteller gerade eine erneute Zulassung „ihres krebsverdächtigen Wirkstoffes“ beantragt haben. „In einer ersten Prüfung stellten vier nationale Behörden Glyphosat wieder einen Persilschein aus. Dabei stützten sie sich erneut auf alte Industriestudien, deren Qualität zahlreiche Toxikologen als mangelhaft bewerten. Neue Untersuchungen verlangen die Behörden nicht.“ Die Sorge ist entsprechend groß, dass unter anderem die Zulassung für Glyphosat erneut verlängert wird.
Was sind die konkreten Forderungen von „Bienen und Bauern retten“?
Die Bürger*innen-Initiative verfolgt (wie gesagt) das generelle Ziel, europaweit alle Pestizide bis 2035 abzuschaffen. Dabei ist ihnen klar, dass das sportlich ist – was aber unter anderem auch damit zusammenhängt, dass eine Transformation der Landwirtschaft schon lange gefordert wird, sich aber praktisch so gut wie nichts getan hat und die Zeit langsam knapp wird.
Die konkreten Forderungen:
- Schrittweiser Ausstieg aus synthetischen Pestiziden: Reduktion um 80% bis 2030, vollkommen pestizidfrei bis 2035.
- Maßnahmen zur Erholung der Biodiversität: „Biotopflächen sollen wiederbelebt und landwirtschaftliche Flächen so gestaltet werden, dass sie die Artenvielfalt fördern.“
- Unterstützung von Bäuer*innen beim Übergang auf die Agrarökologie: Kleinteilige Strukturen sollen unterstützt, der Ökolandbau ausgebaut und die entsprechende Forschung dazu gefördert werden.
Wer steckt hinter der Initiative?
Ursprünglich haben 7 Menschen aus unterschiedlichen EU-Ländern die Petition gegründet. Aus Deutschland ist beispielsweise Karl Bär dabei, der beim Umweltinstitut arbeitet und zur Verbreitung von Pestiziden durch die Luft forscht.
Mittlerweile haben sich unterschiedliche zivilgesellschaftliche Organisationen und Verbände aus ganz Europa der Initiative angeschlossen – in Deutschland unter anderem der Nabu und der Naju, BUND und BUND Jugend, Campact, Aurelia, Farmers for Future, Solidarische Landwirtschaft, das Umweltinstitut, Save our Seeds und die Deutsche Umwelthilfe.
Was kann ich tun?
Ganz einfach: die Petition hier unterschreiben und an möglichst viele Menschen weiterleiten! Für Infos und Updates kann mensch sich außerdem in den Newsletter eintragen lassen – manchmal wird darüber nach zusätzlicher Verstärkung für Projekte und Werbung für die Initiative gefragt.
Was passiert danach?
Die Petition braucht mindestens eine Million Unterschriften, damit sich die Europäische Kommission damit beschäftigen muss. Das bedeutet noch nicht, dass sie erfolgreich sein wird, aber es bedeutet Aufmerksamkeit und Gehör für das, was sich EU-Bürger*innen für eine lebenswerte Zukunft wünschen. Aktuell fehlen „Bienen und Bauern retten“ rund 200.000 Stimmen – Zeit ist noch bis zum 30. September. Die Uhr läuft!
Mehr Infos dazu gibt es inklusive FAQ auf der Website von “Bienen und Bauern retten”.