Kürzlich las ich, der Wald sei ein Sehnsuchtsort. Ich glaube, wenig ist zutreffender – mit allen hellen und dunklen Rollen, die der Wald in der deutschen Geschichte eingenommen hat. Um den ideologischen Missbrauch in der Vergangenheit soll es an dieser Stelle weniger gehen als um den konkret-materiellen Missbrauch, der sehr real und gegenwärtig passiert – und von dem bisher (leider) wenig zu hören und zu lesen war. 

Dem Wald geht es schlecht

Es ist kein Geheimnis, dass die Wälder leiden. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber: Ich gehe fast nicht mehr gerne im Wald spazieren, denn das Erste, was mir auffällt, ist der desaströse Zustand der meisten Wälder, die ja eigentlich (korrekt bezeichnet) Forste sind, also Wirtschaftsflächen. Ich kann mich nicht entspannen, wenn ich sehe, wie schlecht die Zustände in den kleinen Gebieten, die wir vollmundig als “Wald” deklarieren, sind. Dabei bin ich nicht einmal eine Expertin (Försterin oder Ähnliches) und mir entgeht immer noch sehr, sehr viel. Doch das Offensichtliche ist nicht zu übersehen: Die Klimakrise macht den Wäldern zu schaffen, vor allem in den letzten Jahren, seitdem in vielen Gebieten Deutschlands Dürre herrscht

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat kürzlich die Waldzustandserhebung 2020 veröffentlicht – und sogar Ministerin Klöckner mahnt, dass es dem deutschen Wald “weiterhin sehr schlecht” gehe.

Ein paar Eckpunkte zum Zustand des Waldes: 

  • “Die mittlere Kronenverlichtung ist im Durchschnitt aller Baumarten mit 26,5 % so hoch wie noch nie. Nur noch 21 % aller Bäume weisen keine Kronenverlichtungen auf. Außerdem zeigt sich eine stark zunehmende Absterberate.” (Waldzustandserhebung, S.6)
  • (“Die Kronenverlichtung ist ein Maß für die Vitalität der Bäume. Sie beschreibt, wie dicht, groß und verfärbt die Blätter und Nadeln in der Baumkrone sind.” Quelle)
  • Insgesamt gehören die Ergebnisse der Waldzustandserhebung 2020 zu den schlechtesten seit Beginn der Erhebungen.” (Waldzustandserhebung, S.7)
  • Neben der Dürre hat auch der Borkenkäfer den Wäldern zu schaffen gemacht. Er vermehrt sich bei warmem und trockenem Wetter besser und liebt vor allem die Fichten und Kiefern, aus denen viele Forste mehrheitlich bestehen. Die Bäume könne die Insekten durch Harzbildung abwehren, wenn sie gesund sind. Sind sie das allerdings nicht, hat der Borkenkäfer leichtes Spiel.
  • Durch die Corona-Pandemie hat sich der Zeit- und Personalmangel in der Waldbewirtschaftung noch einmal verschärft – abgestorbenes Holz kann nicht immer schnell genug aus dem Wald entfernt werden und ist wiederum eine gute Brutstätte für Schädlinge.
  • Das alles sind Auswirkungen der Klimakrise, können diese aber auch wieder befeuern – denn Wälder gelten als CO2-Senke. Der Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände e.V., Hans-Georg von der Marwitz, sagt in einer Pressemitteilung: „Der Wald ist der Klimaschützer Nummer eins in Deutschland.“ Rund 127 Millionen Tonnen CO2 speichere der Wald pro Jahr, das seien etwa 14 Prozent des CO2-Ausstoßes der deutschen Wirtschaft. (In dieser Zahl ist die Speicherung von Kohlenstoff im Wald selbst, aber auch in Holzprodukten wie Möbeln und in Holz als Substitution für andere Materialien – beispielsweise Stahlträger – eingerechnet.)
  • Der BUND sagt: Wir brauchen die ökologische Waldwende – schneller als bisher und mit so vielen Mitteln gefördert wie möglich. Denn eigentlich kämen Nadelwälder aus Kiefer, Fichte und Tanne nur auf 3% des deutschen Bundesgebietes vor – Deutschland sei eigentlich ein “Buchenland”: “Die deutschen Wälder bestünden von Natur aus zu über 83 % aus Laubmischwäldern.” 

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Forderungen von Naturschutzverbänden

Am meisten trägt ein nicht-bewirtschafteter Wald zum Klimaschutz bei. Obwohl es nicht immer der Fall ist, dass natürliche Lebensräume mehr Biodiversität und/oder Klimaschutz bedeuten – im Wald trifft beides zu. “Naturnahe Wälder mit vielen standortheimischen Baumarten, Strukturen und einem großen Genpool aus natürlicher Verjüngung sind am besten gewappnet, um auf sich ändernde klimatische Bedingungen zu reagieren”, schreibt das Projekt Speicherwald, das vom NABU unterstützt wird. Gerade leiden alle Wälder – doch die Forste voller Monokulturen haben den klimatischen Veränderungen am wenigsten entgegenzusetzen.

Umwelt- und Klimaschutzverbände fordern daher eine “ökologische Waldwende”, die sich unter anderem durch folgende Punkte auszeichnet (NABU und BUND): 

  • Wirksame Klimaschutzmaßnahmen auf nationaler Ebene ergreifen
  • Naturwälder auf 10% der Waldfläche zulassen
  • Wälder ökologisch verträglich bewirtschaften
  • Umbau zu Laubmischwäldern stärker vorantreiben
  • “Wildtiermanagement” ändern (weniger Tiere)
  • Humus- und Bodenbildung durch genügend Totmasse fördern
  • Verzicht auf Pestizide
  • Reduktion der Stickstoffbelastung durch Verkehr, Landwirtschaft und Industrie
  • Kein weiterer Ausbau von Infrastruktur im Wald (zum Beispiel für schwere Forstmaschinen)
  • Privat- und Kommunalwald-Flächen müssen in Klimaschutzmaßnahmen einbezogen werden
  • Mehr Forstpersonal ausbilden + ökologisch schulen
  • mehr Grundlagenforschung zum Wald (ohne wirtschaftliche Interessen)

Was passiert im Teutoburger Wald? 

Wenn all das bekannt ist, sollte mensch doch eigentlich davon ausgehen dürfen, dass die Dinge sich verbessern – und nicht gleich bleiben oder sogar schlechter werden. Vor allem, wenn es sich um so artenreiche und eigentlich geschützte Gebiete wie im Teutoburger Wald handelt. 

Der ist gar nicht so weit weg von meinem Wohnort und trotzdem habe ich erst kürzlich erfahren, dass an einer bestimmten Stelle zwischen Lengerich und Lienen dort seit 1952 systematische Umweltzerstörung stattfindet: durch Kalkabbau. Seitdem baggern sich die Firmen Calcis und Dyckerhoff durch den Wald und haben bereits große Flächen zerstört. Erst im Januar diesen Jahres wurden dreieinhalb Hektar Buchenwald für Dyckerhoff gerodet. 

Die Steinbrüche grenzen direkt an Naturschutzgebiete und ein durch EU-Recht geschütztes FFH (Flora-Fauna-Habitat). FFH-Gebiete gehören zusammen mit Vogelschutzhabitaten zu dem Schutzgebietnetz Natura 2000, das sich durch ganz Europa zieht und “dem Erhalt wildlebender Pflanzen- und Tierarten und ihrer natürlichen Lebensräume dient.” 

Das FFH-Gebiet „Nördliche Teile des Teutoburger Waldes mit Intruper Berg zwischen Lengerich & Lienen” ist rund 783ha groß und bereits durch den Kalkabbau massiv geschädigt (Robin Wood schreibt von einem käsekuchenartigen Aussehen des Waldes). 

Warum wird da überhaupt Kalk abgebaut? 

Der Kalk wird unter anderem für die Stahlindustrie, die Produktion von Zement, die Landwirtschaft oder den Straßenbau verwendet. Die Zement- und Stahlproduktion ist extrem energieintensiv: Die Zement-Industrie soll allein bereits für rund 8% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich sein. Die industrielle Landwirtschaft hingegen nutzt den Kalk als Düngemittel. 

Was ist der aktuelle Stand? 

Die Bergbauunternehmen haben mit den Naturschützer*innen schon seit Jahren Streit. Letztere sind – nachvollziehbarerweise – der Ansicht, dass der Abbau unverzüglich gestoppt werden sollte. Trotzdem reichen sie immer wieder Anträge auf Genehmigung ein – Calcis zuletzt im Juni 2019: Der Steinbruch in dem Gebiet soll um 9,9ha erweitert werden. Als Ausgleich wolle das Unternehmen “Umbaumaßnahmen von Nadel- in Buchenwald sowie Wiederaufforstungen von Buchenwald im Umfang von insgesamt ca. 31,5 ha” leisten. 7,5ha der Fläche liegen mitten in dem FFH-Gebiet, in dem besonders strenge Umweltvorschriften gelten. Daher muss eine Genehmigung des Bauvorhabens besonders gründlich geprüft werden.

Die Bezirksregierung Münster sucht gerade nach einer Entscheidung in der Angelegenheit – der perfekte Zeitpunkt für Umweltschützer*innen, Druck zu machen. 

Was ist so besonders am Teutoburger Wald? 

Wir haben weiter oben bereits festgehalten, dass die eigentlich am weitesten verbreitete Baumart in Deutschland Buchen wären – wäre nicht so viel Wald bewirtschafteter Forst mit Fichten und Kiefern. Nun: Im Teutoburger Wald haben wir einen “herausragende[n] Waldmeister-Buchenwald auf Kalkuntergrund mit großen alten ehem. Bucheniederwäldern”. Außerdem gibt es dort ein “naturnahes Quellbachsystem” mit großer Bedeutung sowie Schwarzspechte und seltene Fledermausarten.  

Besonders schützenswerte Arten in der Region sind: 

  • Kamm-Molch 
  • Bechsteinfledermaus 
  • Teichfledermaus
  • Großes Mausohr 
  • Pyramiden-Hundswurz 
  • Europäischer Laubfrosch 
  • Bienen-Ragwurz 
  • Helm-Knabenkraut 
  • Gemeines Fettkraut
  • Schwarzes Kopfried

Bürger*innen-Initiative Pro Teuto (#teutobleibt)

Die Bürger*innen-Initiative “Pro Teuto” sagt zur Relevanz des Buchenwaldes: “Im Juni 2011 wurden fünf deutsche Buchenwaldgebiete in die Liste der UNESCO Weltnaturerbestätten aufgenommen. Damit sind diese Gebiete gleichgestellt mit der Serengeti in Ostafrika und dem Yellowstone-Nationalpark in den USA. Alte Buchenwälder gehören zu den am stärksten bedrohten Lebensräumen der Erde. Besonders bedroht sind alte, naturnahe Buchenwälder mit einer enormen Artenvielfalt. Solche Buchenwälder gibt es in Deutschland nur noch auf 0,16 Prozent der Waldfläche.”

Der Teutoburger Wald gehört zu den seltenen, naturnahen Buchenwäldern – und trotzdem soll dort jetzt industrieller Kalkabbau nicht nur weitergeführt, sondern ausgeweitet werden. Falko Prünte engagiert sich bei Pro Teuto und meint: „Es geht besonders um den Schutz der Kalk-Buchenwälder. Buchenwälder kann man nur hier schützen. Genau das ist der Kernkonflikt zwischen Kalkabbau und dem Naturschutz. Und jetzt geht es darum, dass der Teuto in seinem Bestand erhalten bleibt.“

Das Problem ist nämlich auch: Ist das Ökosystem erst einmal zerstört, kann es nicht einfach durch Aufforstung wieder ersetzt oder “ausgeglichen” werden, wie die Firma Calcis vorhat. Die Umweltschützer*innen von Pro Teuto sprechen von einer “erhebliche[n] Prognoseunsicherheit”.

Die Initiative Pro Teuto kämpft bereits seit Jahren gegen die Zerstörung des Waldes und versammelt mehrere Umweltschutzorganisationen wie Robin Wood, Greenpeace und den BUND hinter sich. Auch die Grünen des Kreises Steinfurt setzen sich für den Teutoburger Wald ein und fordern zusammen mit Pro Teuto in einer neuen Petition die Aufgabe der Erweiterungspläne für den Kalkabbau. 

Wiltrud Kampling von B90/Grüne meint: „Buchenwald ist für unsere Region, für Mitteleuropa sehr wichtig. In dieser Form kommt er so auch nur hier in Mitteleuropa vor, nur hier kann er so wachsen. Wenn weiter für den Kalkabbau gerodet wird, wird das Stück, was unter Naturschutz steht, immer kleiner.“

Jan-Niclas Gesenhues ist ebenfalls bei den Grünen und hält die Zementindustrie hier nicht für ein “dauerhaftes Geschäftsmodell”. “Es bringt nichts, den Kalkabbau immer weiter zu verlängern, wenn das Konzept nicht zukunftsfähig ist. Wir brauchen vielmehr langfristige Prozesse, wie für die Beschäftigten und die Region gute Zukunftsperspektiven schaffen können.“ 

Damit spricht er ein wichtiges Thema an – denn natürlich hängen auch am Kalkabbau Arbeitsplätze, was die ganze Diskussion vor allem für die Menschen direkt vor Ort sensibel macht. Doch ein “Weiter so!” kann langfristig im Interesse von niemensch sein – denn auf einem kaputten Planeten lässt sich nicht mehr wirtschaften. Besonders pikant: Kürzlich wurde Deutschland von der Europäischen Kommission verklagt – weil die FFH-Richtlinien mangelhaft umgesetzt werden. 

Was können wir tun?

Das alles ist nicht leicht zu verdauen – vor allem, wenn mensch den Eindruck hat, dass die Welt gerade überall brennt. Oft vergessen wir (auch ich) dabei allerdings den Blick direkt vor die Haustür. Vielleicht, weil er besonders schmerzlich ist. Der Wald, der Sehnsuchtsort, wird auch hier gerodet für Industrie-Interessen. Was können wir also tun?

Bisher haben die Vorgänge im Teutoburger Wald noch keine große Öffentlichkeit erreicht – dabei ist das Thema so relevant und die Arbeit von Pro Teuto so umfassend. Ich hoffe, hiermit wenigstens einen kleinen Teil Informationsarbeit beitragen zu können. (Der Übersichtlichkeit halber habe ich einige Dinge vereinfacht, aber das Grundproblem sollte deutlich geworden sein.)

Erzählt es gerne weiter, behaltet das Thema im Auge und unterstützt die Petition. 

Anmerkung: Die im Artikel verwendeten Bilder zeigen nicht den Teutoburger Wald, sondern vereinzelte Forstflächen und sind als Symbolbilder zu verstehen.

JENNI

Wanderin im Geiste, mit der Nase im nächsten Buch, nie so ganz zuhause und doch immer da.

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