Heiraten – und dann auch noch den Nachnamen abgeben? Wie unfeministisch ist denn das?

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14. August 2021

Die kurze Antwort: Es kommt darauf an. Die lange folgt jetzt. 

Content Warning: In diesem Beitrag geht es um psychische und physische Gewalt.

Das Patriarchat lässt grüßen

Ich habe es seit einiger Zeit mitbekommen: Wer Feminist*in ist, hält etwas darauf, nicht zu heiraten. Und wenn doch, dann zumindest den eigenen Nachnamen zu behalten. Die Gründe sind so einfach wie nachvollziehbar: Die Ehe ist ein Produkt des Patriarchats und dient im Wesentlichen dazu, die Besitzweitergabe in der patrilinearen Erbfolge zu sichern. Nix mit Romantik, das ist höchstens der Kleber drumherum.

Dass die Braut weiß trägt, vom Vater an den neuen Mann übergeben wird wie ein Objekt in einem Tauschgeschäft – und vor allem: dass ihr Name und damit ihre Geschichte verschwinden und durch die einer fremden Familie ersetzt werden. Wo wir auch hinschauen, aus Heirat und Ehe schreit uns das Patriarchat entgegen, da gibt es nichts dran zu rütteln. Gut sichtbar übrigens auch daran, dass die Bastion Ehe so lange und erbittert ausschließlich für heteronormative Paare reserviert wurde und der Staat Familien – am besten Mutter und Vater in ehelicher Verbindung und mit leiblichen Kindern – radikal bevorzugt. Immer noch.  

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Eine privilegierte Diskussion 

Und damit sind wir auch bei des Pudels Kern. 

Menschen, die sich für die Ehe entscheiden, entscheiden sich für ein System, das in seinen Grundmechanismen auf Unterdrückung und Ausschluss ausgelegt ist und stützen dieses System. Das ist die Wahrheit auf der einen Seite. 

Die Wahrheit auf der anderen Seite der Medaille sieht so aus, dass sich nicht alle Menschen dazu entscheiden können oder wollen (auch das ist legitim), die Vorteile, die dieses System nun einmal für Eheleute bereithält (bessere Kredite, Besuchsrechte im Ernstfall, automatische Vaterschaftsanerkennung, Witwenrente, Steuererleichterungen und so weiter) in den Wind zu schlagen. Das ist nicht nur viel Papierkram, der einem Haushalt da erspart wird, sondern auch bares Geld. Manchmal habe ich das Gefühl, in der Diskussion um den feministischen Aspekt der Entscheidung wird das gerne mal vergessen. 

Wir jedenfalls haben uns auch wesentlich gerade deshalb für die Ehe entschieden. Wir brauchen die Unterschriften auf einem Stück Papier nicht, um uns oder anderen damit irgendwas zu beweisen. In erster Linie wollen wir sie, um die Vorteile zu bekommen, die wir als Lebenspartner*innen wahrscheinlich niemals haben können werden. Das bedeutet für mich, in ein repressives System einzutreten – ich könnte mir Schöneres vorstellen. Aber ganz ehrlich: Wir haben sehr lange sehr viel zurückgesteckt und einfach die Nase voll davon. Die Lösung hängt wie die Karotte vor unserer Nase und wir ergreifen sie jetzt. 

Mir jedenfalls würde es keine Sekunde einfallen, FLINTA für diese Entscheidung zu shamen. Es ist total okay, innerhalb des Systems das mitzunehmen, was das ohnehin schon verdammt anstrengende Leben ein bisschen leichter macht – und die Ehe kann aufgrund der Privilegien, die sie beinhaltet, durchaus dazugehören. Das Problem liegt eher darin, dass diese Rechte nicht allen gleich zustehen und wir sollten die Energie, die wir für das gegenseitige Shamen nutzen, dafür einsetzen, dass sich das ändert. Vollkommen egal, welchen Status wir selbst haben. Das Ziel sollte die Abschaffung der Institution Ehe sein, aber davon sind wir noch weit entfernt.

Aber dann doch wenigstens den Namen behalten?

Entsetzen, als ich verkündete, zu allem Überfluss auch noch meinen Namen abgeben zu wollen und mich gewissermaßen freiwillig aus der einfach rückverfolgbaren Ahn*innen-Geschichte zu tilgen. Warum denn das, das ist doch heutzutage vollkommen überholt? Nicht nur in meinen Privatnachrichten, auch öffentlich mokieren sich immer wieder einflussreiche Menschen über diese Praxis und wie gesagt: Die strukturelle Kritik kann ich absolut unterschreiben – alles andere wäre Schönfärberei. Dennoch wird mir auch diese Debatte aus einer zu privilegierten Perspektive geführt. 

Denn viele, die da mitreden, scheinen keine Ahnung davon zu haben, wie das ist, wenn Menschen beispielsweise

  • einen Namen tragen, der immer wieder Ziel von Rassismus, Antisemitismus und Verballhornungen ist. 
  • einen Namen tragen müssen, der ihnen aufgezwungen wurde.
  • einen Namen tragen müssen, der sie jeden Tag an Gewalterfahrungen und eine belastende Familiengeschichte erinnert. 

Ja, klar: Es gibt auch die Möglichkeit, den Nameneintrag einfach so ändern zu lassen, ohne Heirat. Hat das schon einmal jemensch von denen, die sich gerne öffentlich echauffieren, versucht? Das ist energiezehrend, aufwändig und oft heißt es dann: Tut uns leid, das geht nicht. Eine Heirat kann da oft die deutlich einfachere Lösung sein. 

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Bei mir liegen Fall 2 und 3 vor.

Der Nachname, den ich trage, ist nicht der Name, unter dem ich geboren wurde. Er wurde in meiner Kindheit durch diesen Namen ersetzt (das nennt mensch auch “Einbenennung”). Das bedeutet: Auf meinen Geburtsnamen kann ich nicht mehr zugreifen, er ist für mich gewissermaßen gelöscht und durch einen fremden Namen ersetzt worden – in einem Alter, in dem ich nicht wusste, was das eigentlich bedeutet. Die Erkenntnis hat mich hart getroffen, denn ich dachte lange, ich könnte noch relativ einfach “zurück”. 

Der aktuelle Nachname ist für mich darüber hinaus mit einer gewaltvollen Kindheit voller Unsicherheit, Schikane, psychischer Manipulation, physischer Gewalt und Demütigungen verbunden. Jeden Tag erinnert mich der Name an all das – Schmerz, Wut, Ohnmacht, Trauer, Fassungslosigkeit. Ich sage immer: Ich habe mit 17 Jahren angefangen zu leben (der Zeitpunkt, an dem ich mein eigenes Leben auf die Beine gestellt habe). 

Der Nachname ist die letzte Kette, die ich hinter mir herschleife – und ich werde sie mit Freuden sprengen, um einen neuen Namen anzunehmen. Einen, der für mich Liebe, Geborgenheit, Neuanfang, Füreinanderdasein, gesunde Verbindungen und Verlässlichkeit steht. Es wird ein wichtiger Schritt in meiner persönlichen Heilung sein. (Der ursprüngliche Geburtsname wäre – aus anderen Gründen – übrigens nur um Nuancen besser gewesen, was den mentalen Ballast angeht.)

Die Perspektive erweitern 

Ich bin keine Vertreterin des Choice-Feminismus. Ich glaube nicht, dass alles, was Frauen tun, automatisch feministisch ist – nur weil sie Frauen sind. Wir tragen das Patriarchat ebenfalls weiter und halten es hoch, auch wenn uns das nicht bewusst ist. Das offenbart sich unter anderem darin, wie wir andere FLINTA bewerten und mit ihnen umgehen, was wir für Maßstäbe an uns und andere FLINTA anlegen und vielem mehr. 

Aber ich glaube auch nicht daran, dass jede Entscheidung, die scheinbar anti-feministische Institutionen stützt, als individuell unfeministisch gelten muss, auch wenn das System es bis in seine Grundfesten ist. Im Gegenteil: Manchmal erscheint es sinnvoll, sich die eine Sorte Ketten anzulegen, um andere abstreifen zu können. Irgendwelche tragen vor allem FLINTA in diesem System immer mit sich herum. 

Für mich persönlich steht meine mentale Gesundheit sehr, sehr weit oben in der Prioritätenliste – und wenn ich sie auf diesem Wege fördern kann, dann ist das so. Ich freue mich auf meine erste Unterschrift als neue K. und ich wünsche mir, dass die Namen-Debatte zukünftig sensibler und differenzierter geführt wird. Gerade, weil Namen an den Kern der Identität heranreichen – nicht immer ist der vorhandene auch der passende und der, der seine Träger*innen schützt. 

JENNI

Wanderin im Geiste, mit der Nase im nächsten Buch, nie so ganz zuhause und doch immer da.

KOMMENTARE

[…] gut ist und wahrscheinlich noch eine Weile gut bleiben wird, das Ganze leider immer noch einen ganzen Batzen an wirtschaftlichen und organisatorischen Vorteilen bringt und das Küken unterwegs ist, haben wir gedacht: Warum eigentlich nicht? Und: Lass uns das mal eben […]

Hallo Jenni,
ich hab zum Glück keinen vorbelasteten Namen, aber habe auch viele Monate nachdenken und darüber sprechen hinter mir, ob ich den Namen meines Partners annehmen soll oder nicht. Dem ging auch schon lange ein ungutes Gefūhl mit Ehe allgemein voraus und eben der historischen Wurzeln.

Wir haben für uns glücklicherweise entdeckt, dass es in Österreich seit 1-2 Jahre auch für hetero Paare möglich ist, eine eingetragene Partnerschaft zu haben.

Schlussendlich wirds jetzt also Name behalten und keine klassische Ehe (aber mit allen juristischen etc. Vorteilen) werden 🙂

Liebe Grüße aus Österreich!

Liebe Jenni,
Zuerst einmal Herzlichen Glückwunsch.
Ich denke Feminismus sollte doch bedeuten, dass wir Frauen die freie Wahl haben was wir machen möchten.
Dass wir nicht zwangsweise gegen Heirat und Kinder kriegen oder auch freiwillig Hausfrau und Mutter sein sein müssen. Sondern dass wir beide Optionen haben.
Mutter sein, verheiratet dein und auch Arbeiten und Karriere machen.
Andernfalls befinden wir uns doch wieder in etwaigen Fesseln. Auferlegt durch uns selbst.
Ein Widerspruch in sich. Wollen wir doch emanzipiert sein und dennoch gibt es etliche Berufsfelder, die beispielsweise von Frauen gar nicht erst gewählt werden, eben aufgrund der typisch weiblichen Interessen.
Automechanikerin, bei der Müllabfuhr arbeiten, oder auch diverse Hobbies. Manche feministischen Frauen interessieren sich für freauendominierte Interessen. Hoola Hoop, Zumba, Wohnungsdekoration etc.
Wenn man das Argument des Patriarchats weiter stricken möchte, dann wirft es für mich die Frage auf, warum sich Frau dieser Tage nicht freiwillig für eine frsuentypische Rolle entscheiden darf? Aber andererseits Feministinnen selbst sich vorwiegend weiblichen Themenfeldern hingeben?

Ich finde Emanzipation bedeutet, dass ich als Frau alles machen kann was ich möchte.

Eine ehemalige Freundin von mir ließ such ihren Namen ändern. Es war sehr schwer. Nicht durch Heirat.
Doch sie wurde von einem Familienmitglied misshandelt und wollte sich so von diesem Teil lösen.
Trotz des neuen Namens hatte sie die psychischen Probleme weiterhin.
Sie hatte eine komplexe PTBS. Eine chronische Posttraumatische Belastungsstörung.
An dieser ist unsere Freundschaft schlussendlich zerbrochen.
Denn sie konnte nie vertrauen, sie testete sogar mehrfach die Freundschaft, indem sie behauptete ihr ginge es schlecht, nur um zu sehen ob man für sie da wäre.
So jemandem Rückhalt zu geben ist nicht immer leicht.
Vor allem, wenn man selbst irgendwann darunter zu leiden beginnt.
So drohte sie einer anderen Freundin von uns einmal auch Gewalt an.
Da kann dann nur eine Therapie helfen, und nichts anderes. Weder Freunde, der Partner oder die Abtrennung eines Namens.
Nicht, wenn nicht such innere Prozesse damit einhergehen.

Gruß

Hallo Marry,
ich finde es auch gut, dass wir prinzipiell entscheiden können, was wir als Frauen (ich schreibe bewusst Frauen und nicht FLINTA, weil ich mich hier aus den strukturellen Gründen auf Frauen beziehe) wählen möchten. “Prinzipiell”, weil es dann ja am Ende doch nicht so einfach ist: Gesellschaftlicher Druck, eine bestimmte Gender-Sozialisation, Sexismus und so weiter sind ja immer noch entscheidende Faktoren, die in wirklich freier Entscheidungsfindung behindern. Deswegen schreibe ich bewusst von Ketten: eine kleine Anspielung auf das richtige Leben im Falschen, das unmöglich ist. Aber arrangieren muss mensch sich irgendwie. Von Emanzipation sind wir leider noch weit entfernt.

Und ja, klar: Eine Namenänderung ist nicht immer die ultimative Lösung für alles – das ist natürlich kein Allheilmittel, gerade wenn psychische Erkrankungen vorhanden sind. Dessen muss mensch sich bewusst sein. Auf der anderen Seite gibt es auch Menschen, die mit einem sehr vorbelasteten Namen irgendwann ihren Frieden schließen können – das habe ich nicht geschafft, aber ich finde, es zeugt von großer Kraft, wenn das gelingt.

Liebe Grüße
Jenni

Danke für diesen Beitrag!
Ich habe meinen Nachnamen nach der Hochzeit auch geändert- in den Nachnamen meines Mannes, der für diesen Nachnamen hart kämpfen musste (um aus dem Nachnamen seines Vaters erst einen Doppelnamen mit dem Nachnamen seiner Mutter zu machen und dann, nach einer Gesetzesänderung endlich den Nachnamen des Vaters, auf den hier Punkt 3 zutrifft, auf seinem eigenen zu tilgen).
Wir tragen nun also beide einen Namen, auf den er lange warten musste.
Meinen eigenen Nachnamen aufzugeben, war nicht leicht, aber es fühlt sich richtig an. Auch, weil mein Nachname mit einem Umlaut in Argentinien, der Heimat meines Mannes, nur schwer auszusprechen ist.
Hinzukommt: In Argentinien ist es absolut unüblich, den Namen des Mannes anzunehmen und den eigenen aufzugeben. (Die furchtbare Praxis, dem eigenen Namen ein „de …“ – also „von …“ anzustellen, stirbt zu Glück langsam aus!) Die Entscheidung, den Namen anzunehmen, war also meine, nicht mein Mann, der das irgendwie erwartet hätte…

Was mich aber wirklich stört: Sein Nachname ist auch ein „deutscher“ Nachname. Seit wir verheiratet sind, wird er fast jedes Mal, wenn die Sprache auf den Namen kommt, ungläubig gefragt, ob er denn den Namen seiner Frau, also meinen Namen, angenommen habe – so, als könne es nicht sein, dass jemand wie er einen deutsch-klingenden Nachnamen selbst hat…

Das hier ist länger geworden als gedacht, aber ich wollte dir auf jeden Fall danke sagen. Danke, für all diese Gedanken rund um Nach- und auch Vornamen. Namen sind so viel mehr als einfach etwas, wa san. Briefkasten und auf dem Personalausweis steht. Namen sind Identität, können heilen und genauso sehr auch verletzen. Das deutsche Namensrecht ist da leider noch viel zu alt, patriarchal gedacht und der Fokus viel zu wenig auf die einzelne Person gerichtet, die sein Leben mit diesem Namen leben muss / kann / darf.

Hi Franziska,
danke dir für deine lange Nachricht und das Teilen deiner Erfahrungen! (Ich war die letzten Tage anderweitig viel mit Arbeit beschäftigt, sodass ich hier leider erst jetzt reinschauen kann.)

Wie das mit den Namen in anderen Ländern gehandhabt wird, finde ich sehr spannend – eben auch bezogen auf die feministische Diskussion, die dann ja jeweils eine andere Ebene und Stärke bekommt.Da merke ich tatsächlich oft, wie viel ich in diesem Bereich noch lernen kann.

Ich freue mich jedenfalls, dass du jetzt einen Namen trägst, mit dem du dich wohl fühlst – dasselbe gilt natürlich für deinen Mann. Dein Fazit kann ich absolut unterschreiben – da wäre so viel zu machen. Schön fände ich es beispielsweise, wenn beide Partner*innen bei der Heirat einen ganz neuen Namen annehmen könnten, den sie gemeinsam frei wählen.

Für mich wird das Ablegen des Namens auf jeden Fall ein großer Schritt Richtung Heilung sein!

Liebe Grüße an dich!
Jenni

Danke Jenni für Deine Worte.
Ich habe mich aus den gleichen Gründen für die Annahme des Namen meines Mannes entschieden und habe auch heute noch häufiger das Gefühl mich dafür rechtfertigen zu müssen. Ein weiterer Grund: Wenn Kinder involviert sind, ist es sehr schwierig mit unterschiedlichen Nachnamen zu hantieren.

Danke fürs Thematisieren!

Hallo Julia,
das kann ich mir gut vorstellen – ich glaube auch, dass da der Rechtfertigungsdruck groß sein kann, weil viele Menschen die im Text angesprochenen Gründe gar nicht auf dem Schirm haben, leider. Ich würde mir da wirklich mehr Sensibilität wünschen und freue mich für dich, dass du jetzt einen Namen hast, mit dem du dich wohl fühlst!
Und ja: Das mit den Kindern kommt häufig auch noch dazu – manchmal sind es rein pragmatische Entscheidungen am Ende.

Liebe Grüße!
Jenni

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