Als ich ahnte, dass es das Küken gibt, war ich in der 4. Woche. Das ist meinem Zykluscomputer und meinem mittlerweile sehr guten Körpergefühl zu verdanken — ich wusste: Etwas ist anders, konnte es aber noch nicht greifen.
Als ich den ersten Test machte, war ich in der 5. Woche und das Ergebnis eindeutig. In dem Moment wusste ich: Ich will dieses Baby, zu 150%. Als die offizielle Bestätigung von der Gynäkologin kam — auf jeden Fall schwanger — war ich in der 7. Woche. Von Schwangerschaftswochen hatte ich noch keine Ahnung, ich hatte mich noch nie damit beschäftigen müssen und wusste nicht, ab wann gerechnet wird und wie schnell die 7. Woche erreicht ist.
Ich denke oft über das Was-wäre nach: Was wäre, wenn nicht jede Faser meines Körpers sofort mit Endorphinen auf den Zellhaufen in meinem Unterleib reagiert hätte? Was wäre, wenn ich keine Zeit oder kein Geld gehabt hätte, das Baby zu versorgen?
Ganz einfach: Die Zeit wäre mir davongerannt.
Texas: ein faktischer Gebärzwang
In Texas ist ein Abbruch jetzt bereits ab dem ersten Herzschlag strafbar. Das ist die 6. Woche, in der die Mehrzahl der Schwangeren noch gar nicht Bescheid weiß. Texas reiht sich damit in restriktive Regelungen von US-Bundesstaaten wie Georgia und Alabama ein. Alle, die einer schwangeren Person zum Abbruch verhelfen — selbst, wenn sie sie nur zufällig das Taxi zur Klinik fahren — können dafür belangt werden. Perfide: Die Auslegung des neuen Gesetzes wird der Zivilbevölkerung überlassen. Die Menschen dürfen Nachforschungen zu Abbrüchen anstellen und Helfende verklagen. Mitarbeitende von Gesundheitszentren oder die Kliniken selbst können mit einer Geldstrafe von 10.000 Dollar bestraft werden, wenn sie einen illegalen Abbruch vornehmen. Das Geld erhalten die Kläger*innen. Ich muss unweigerlich an Hexenverfolgung denken.
Sie verbrennen uns nicht mehr im wahrsten Sinne auf Scheiterhaufen, werfen uns aber immer noch mit Freuden auf die Feuertürme einer nicht gewollten und nicht gewählten Existenz. Es ist quasi unmöglich, bis zur 6. Schwangerschaftswoche bescheid zu wissen und dann auch noch einen sicheren Weg für einen Abbruch organisiert zu haben. Anders gesagt: Texas hat einen Gebärzwang verordnet. Der greift auch bei Inzest und Vergewaltigung.
Das Gesetz in Texas (aber auch ähnliche Meldungen anderen Ländern) wirkt auf Personen mit Uterus weltweit. Es verstärkt die Angst und Bedrohung, die vom aktuellen System ausgeht, das uns unsere Rechte über unseren Körper nur unter Vorbehalt und kontrolliert zugesteht. Texas schreit uns ins Gesicht: Wir können euch auch diese mickrigen Rechte jederzeit wieder wegnehmen. Und wenn ihr Pech habt, werden wir genau das tun. Eure Körper gehören in Wahrheit immer noch uns.
Die Verschränkung von Patriarchat und Kapitalismus
Auch das deutsche Gesetz demonstriert uns eindrücklich, wie egal Körper, die schwanger werden können, verglichen mit neuem Leben sind. Auch hier ist der Schwangerschaftsabbruch nicht legal, sondern nur bis zur 12. Woche straffrei. Es wird gerade so ein Auge zugedrückt, wenn es denn sein muss. Bevor der eigentliche Abbruch stattfinden kann, muss die*der Schwangere erst einmal ein Beratungsgespräch und mehrere Untersuchungen absolvieren.
Darüber hinaus ist es extrem schwierig, herauszufinden, welche Praxen eigentlich Abbrüche anbieten: Sie dürfen seit der Reform von § 129a zwar darüber informieren, aufgrund der rechtlichen Unsicherheit und dem Druck von Abbruchgegner*innen trauen sich viele allerdings nicht. Es scheint immer noch die Vorstellung vorzuherrschen, Schwangere würden Abbrüche wie Lutschpastillen einkaufen, wenn sie denn könnten.
Die Coronapandemie hat weltweit für zusätzlich erschwerte Bedingungen gesorgt: Sexualisierte Gewalt im häuslichen Umfeld hat zugenommen, gleichzeitig sind viele Menschen vom Zugang zu sicheren Verhütungsmitteln abgeschirmt. Schwangerschaftsabbrüche haben keine medizinische Notwendigkeit, wenn eine Pandemie herrscht. Ungewollt Schwangere wurden erneut im Stich gelassen.
Die Angst vor der körperlichen Selbstbestimmung derer mit Uterus ist ungebrochen — genauso wie die Erwartungshaltung, dass diese Personen gefälligst für den Fortbestand von Gesellschaft und Wirtschaft sorgen sollen, eben durch Nachwuchs. Dass diese Erwartung immer noch mit Gewalt durchgesetzt wird, offenbart die Verschränkung von Patriarchat und Kapitalismus: Personen mit Uterus sind wichtig, weil sie die künftigen Arbeiter*innen produzieren. Dementsprechend müssen ihre Körper dahingehend kontrolliert werden, dass die ständige Nachproduktion auf jeden Fall sichergestellt ist.
Freie uterushaltige Körper wären eine potenzielle Bedrohung, weil sie sich dem vermeintlich “natürlichen” Zweck, der in Wahrheit ein aufoktroyierter ist, entziehen könnten. Der gesellschaftlich verordnete Zweck, Kinder zu bekommen, ist so naturalisiert, dass vor allem weiblich gelesene Personen ab einem bestimmten Alter (wenn die Gesellschaft meint, sie seien bereit dafür) sich dem Druck kaum mehr entziehen können: Von allen Seiten wird gefragt “wann es denn soweit” sei, bei nicht ausdrücklich artikuliertem Kinderwunsch wird behauptet, das werde “sich ja noch ändern – warte mal ab, bis die Uhr zu ticken beginnt”. Der Körper wird als Gefäß betrachtet, dessen Zeit abläuft. Die Dominanz der bürgerlichen Kleinfamilie, um die sich spätestens ab 30 Jahren das ganze Leben drehen soll, wird in Werbung, Fernsehen und zahlreichen Geschichten immer und immer wieder verfestigt. Menschen, die von diesem Modell abweichen, müssen sich auch heute noch andauernd dafür rechtfertigen und sind dem Generalverdacht ausgesetzt, mit ihnen “stimme ja etwas nicht”.
Relikte des Nationalsozialismus
Der Druck, sich vor allem als weiblich gelesene Person zu reproduzieren, ist also immens und sowohl im Gesetz als auch in den Köpfen der Menschen fest verankert.
Die entsprechenden Paragraphen stammen noch aus der Zeit des Nationalsozialismus. Es gab sie allerdings schon vorher, genauer: seit 1871. 1920 gingen Anträge ein, §§ 218, 219 und 220 aufzuheben, damals von der SPD. Ihr ging es nicht darum, Abbrüche zu legalisieren, sie sollten lediglich bis zu einem gewissen Zeitpunkt (innerhalb von 3 Monaten) straffrei bleiben.
1922 legte die KPD nach – und begründete ihren Antrag auf Abschaffung von §§ 218 und 219 mit dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren. 1926 wurden die §§ 218, 219 und 220 durch einen neuen §218 ersetzt: Jetzt stand Abbrechenden nicht mehr bis zu 5 Jahre Zuchthaus, sondern eine Gefängnisstrafe undefinierter Länge bevor. 1933 wurden die beiden gestrichenen Paragraphen postwendend wieder eingeführt – “Werbung” für Schwangerschaftsabbrüche war jetzt verboten, die bis dato milden Geld- und Gefängnisstrafen wurden strikter und konnten bis zur Todesstrafe reichen. Die Geburtenpolitik der Nationalsozialisten zielte darauf ab, Schwangerschaftsabbrüche für “gesunde, arische Frauen” möglichst nicht durchführbar zu machen. Es brauchte Nachschub für den Krieg, Nachschub für Wirtschaft und Ideologie, sodass sich der Staat nahezu uneingeschränkt in eine der privatesten Entscheidungen einmischte.
Diese Einmischung ist auch heute noch Realität – §§ 218 und 219 sind Relikte aus dieser Zeit.
- § 218 legt fest, dass es sich bei einem Schwangerschaftsabbruch um eine Straftat handelt, die nur unter bestimmten Bedingungen straffrei bleibt. Dazu zählt zum Beispiel, dass der Abbruch bis zur 12. Schwangerschaftswoche vorgenommen werden muss und dass mindestens 3 Tage vor dem Abbruch ein Beratungsgespräch in einer Beratungsstelle stattgefunden haben muss. Die Strafen: Bis zu 3 Jahre Gefängnis für Durchführende und bis zu 1 Jahr Gefängnis für die schwangere Person, die selbst den Abbruch vornimmt – oder eine Geldstrafe.
- § 219 und § 219a legen fest, wie das Beratungsgespräch auszusehen hat und dass keine explizite “Werbung” für Schwangerschaftsabbrüche erfolgen darf. Ärzt*innen dürfen zwar sagen, dass sie Abbrüche anbieten – aber keine Auskunft über die Art der Abbrüche veröffentlichen und keine Aufklärung betreiben.
- Derzeit gibt es zwar eine Liste der Bundesärztekammer, auf der Adressen von Ärzt*innen vermerkt sind, die Abbrüche durchführen – allerdings ist sie stark lückenhaft. Viele Ärzt*innen wollen sich nicht ins Visier von Abbruchgegner*innen begeben, die gerne protestierend vor den Kliniken auftauchen und bisweilen auch Morddrohungen verschicken.
Menschen mit Uterus werden geopfert
Es ist erschreckend, die lange Geschichte um die Paragraphen 218 und 219 zu lesen. Vor allem vor dem Hintergrund, dass sich seit 100 Jahren und trotz massiver Proteste so wenig vorwärts bewegt hat – sowohl in der Debatte als auch in der Rechtsprechung. Auf der anderen Seite verwundert es nicht, denn wie gesagt: Patriarchat wie Kapitalismus profitieren davon, es ungewollt Schwangeren so schwierig wie möglich zu machen, ihre Schwangerschaft eigenmächtig zu beenden.
Kernpunkt der Argumentation von Abbruchgegner*innen ist das Leben – des Ungeborenen. Nicht das Leben der austragenden Person. Weder die Qualität des bereits existierenden Lebens noch ob dieses Leben an sich fortgeführt wird, sind von ihrem Interesse. Was für äußere Zwänge auf eine schwangere Person wirken, was sie mit ihrem Leben eigentlich vorhatte, der Fakt, dass es keine 100% sichere Verhütungsmethode gibt sowie die Tatsache, dass eben diese Verhütung immer noch Sache von weiblich gelesenen Personen ist – egal. Sollen sie halt keinen Sex haben, sagt unter anderem der ultrakatholische Arm der Gegner*innen und meint, dass insbesondere Frauen rein und keusch in die Ehe gehen sollen. Damit die männliche Abstammungslinie ohne Zweifel rückverfolgbar ist und die Übertragung von Besitz auf die nächste Generation sichergestellt. Das sagen sie natürlich nicht und vielleicht wissen sie auch nicht, dass genau das dahintersteckt.
Wer abbrechen möchte oder muss, findet in der Verzweiflung, Angst und Wut Wege. Seien das Medikamente aus dem Internet, der Sprung von Brücken, der Kleiderbügel oder nicht ausreichend ausgebildete Ärzt*innen, die sich unter der Hand was dazuverdienen wollen. Weltweit sterben nach Schätzungen der WHO jährlich rund 47.000 Menschen wegen unsicherer Schwangerschaftsabbrüche. Wird der Zugang erschwert, gibt es nachweislich nicht weniger Abbrüche – nur mehr Tote.
Die Körper von Menschen mit Uterus werden auf dem Altar von Patriarchat und Kapitalismus geopfert. Bewusst, kalkuliert und offen werden unsere Körper als Ressource, als ein weiterer Rohstoff von vielen betrachtet, den es auszuschlachten gilt, zur Not auch bis zur vollständigen Vernichtung. Das ist kein Geheimnis, wir werden andauernd daran erinnert und es ist gruselig, wie sehr wir uns daran gewöhnt haben.
Wir wollen uns lebendig, schreibt das Bündnis für ein Ende der Gewalt und das ist, worum es am Ende im Minimalkonsens auch bei inhaltlichen Differenzen gehen muss: Darum, nicht den Tod von Menschen in Kauf zu nehmen, weil eine ihrer Entscheidungen anderen nicht in den Kram passt.
Danke für diesen Text und deine schonungslose Aufarbeitung dieses Themas. Es ist einfach so perfide wie mit Menschen mit Uterus umgegangen wird. Handmaids Tale war und ist nie so ganz unrealistisch.
Liebe Nina,
sehr gerne, das lag mir wirklich auf der Seele. Eigentlich schon, seit ich die Proteste in Polen verfolgt habe. Ich muss The Handmaids Tale unbedingt endlich lesen, das habe ich nämlich noch nicht gemacht. Wahrscheinlich ist es sehr ernüchternd.
Liebe Grüße
Jenni
Danke liebe Jenni für diesen wichtigen und ausführlichen Beitrag! Puh! „ Es scheint immer noch die Vorstellung vorzuherrschen, Schwangere würden Abbrüche wie Lutschpastillen einkaufen, wenn sie denn könnten.“ – genau dazu hatte ich gestern eine längere Diskussion. Und dazu, dass jede Person, die Sex hat, wissen muss, dass eine Schwangerschaft eine Folge davon sein kann. Dein Beitrag hilft mir sehr, noch mal mehr Hintergrundwissen zur Hand zu haben, um darauf besser reagieren zu können. Und die Forderungen von SPD und KPD in der Weimarer Republik waren mir bisher unbekannt. Danke auch für diesen historischen Exkurs und generell für deine reflektierten und durchdachten, konsequent (system)kritischen Perspektiven! Ich lese deine Beiträge sehr gerne.
Hey Hanin,
danke dir für die lieben Worte, das freut mich wirklich sehr! Ich finde es auch bemerkenswert bis erschreckend, wie lange diese Debatte eigentlich schon geführt wird und wie krass der Widerstand gegen Selbstbestimmung ist (auch “aus den eigenen Reihen”). Aber vor dem systemischen Hintergrund ist es wiederum nicht verwunderlich, leider.
Dieses Thema wird uns noch sehr lange beschäftigen, fürchte ich.
Liebe Grüße
Jenni