Reisen ist etwas ganz besonders Feines. Man lernt viel, abgesehen davon, dass es der eigenen psychischen Verfassung ohnehin ganz gut tut, zwischenzeitlich das Gewohnte zu verlassen und sich neuen Reizen auszusetzen. Das Für und Wider von Langstreckenreisen (gerade per Flugzeug) ist eine Diskussion, die mittlerweile gefühlt überall geführt wird – und das zurecht. Nichtsdestotrotz (beziehungsweise: unserem schlechten Öko-Gewissen entgegengesetzt) haben wir uns dieses Jahr wieder für einen Urlaub im türkischen Yumurtalık entschieden.
Inhalt
- Reisen ist etwas ganz besonders Feines. Man lernt viel, abgesehen davon, dass es der eigenen psychischen Verfassung ohnehin ganz gut tut, zwischenzeitlich das Gewohnte zu verlassen und sich neuen Reizen auszusetzen. Das Für und Wider von Langstreckenreisen (gerade per Flugzeug) ist eine Diskussion, die mittlerweile gefühlt überall geführt wird – und das zurecht. Nichtsdestotrotz (beziehungsweise: unserem schlechten Öko-Gewissen entgegengesetzt) haben wir uns dieses Jahr wieder für einen Urlaub im türkischen Yumurtalık entschieden.
- Yumurtalık / Ayas: Kleines Fischerdorf, du hast uns wieder
- Tag 1: Ankunft und Kapikaya Kanyonu
- Tag 2: Auf, auf – es ist Markttag!
- Tag 3: Spaziergang im Fischerdorf + Besuch bei Tanten und Cousinen
Yumurtalık / Ayas: Kleines Fischerdorf, du hast uns wieder
Vielleicht erinnert ihr euch: Wir haben dem kleinen Fischerdorf Ayas bereits im vergangenen Hochsommer einen Besuch abgestattet. Es war meine erste Türkei-Reise und sie hat mich nachhaltig geprägt, habe ich so doch zum ersten Mal so richtig begriffen, was zusätzlich zur deutschen Sozialisation ein großer Teil der Lebensrealität meines langjährigen Lebenspartners (also: Serdars) ist.
Nun also hat es uns dieses Jahr wieder unter die türkische, normalerweise erbarmungslose Sonne (zur genauen Wetterlange komme ich gleich noch) verschlagen. Grund für diese Reisen ist vor allem der Kontakt zu dem großen Teil von Serdars Familie, der dort in den umliegenden Dörfern verstreut, teilweise direkt an der Grenze zu Syrien, lebt.
Tanten, Onkel, Cousins, Cousinen und alles, was irgendwie zur türkischen Großfamilie dazugehört, will, dass man das allseits beliebte, aber irgendwie in Deutschland verschollene, Familienmitglied wenigstens alle paar Jahre (besser wäre natürlich: jedes Jahr!) zu Gesicht bekommt.
Und da die Lieben nicht jünger werden, sondern sich vielmehr teilweise bereits im fortgeschrittenen Alter befinden, wäre ich eine ethisch fragwürdige Partnerin, würde ich solche Familienzusammenkünfte mit Hinweis auf ökologische Bedenken restlos boykottieren. Denke ich zumindest.
Wobei ich gestehen muss, dass der Spagat mir nicht leichtfällt. Das ökologische Gewissen nagt hart an mir. Glücklicherweise habe ich dieses Jahr (nachdem ich ihm bereits eine zweite Chance gegeben hatte) festgestellt, dass ich Fliegen ohnehin nicht leiden mag (zu laut, zu hektisch, zu unbequem, zu viele Menschen überall auf zu engem Raum) und daher von Natur aus gewissermaßen gerne einen Bogen um Flughäfen machen möchte.
Ich hoffe, wir können das – da wir ja gewissermaßen zwei Jahre hintereinander unsere familiären Pflichten erfüllt haben – demnächst mittels ein wenig größerer Besuchs-Zyklen umsetzen. Und stattdessen erstmal das erkunden, was direkt vor der Haustür liegt. Ich habe nämlich ganz große Lust auf Deutschland, Dänemark, die Schweiz und Österreich.
Aber bleiben wir beim Thema – und im sonnig-heiß-trockenen Adana (das ist die Provinz, in der Yumurtalık und Ayas liegen).
In diesem Jahr habe ich wohlweislich das erste Mal eine Art Reisetagebuch geführt, dessen Inhalte ich bereits unter einzelnen Bildern auf Instagram veröffentlicht habe (dieses Medium erschien mir als das spontanste und darum am besten geeignete, um meine unmittelbaren Eindrücke zu teilen). Einige dieser Texte werde ich zwischenzeitlich immer mal wieder einschieben, da sie das Bild von dem, was wir auf unserer Reise erlebt haben (auch wenn sie nur 10 Tage gedauert hat, ist da einiges zusammengekommen) gut ergänzen.
Tag 1: Ankunft und Kapikaya Kanyonu
Wenn wir etwas generell beim Reisen nicht mögen, dann ist es, auf der faulen Haut zu liegen. Wir sind die klassischen Abenteuer-Touris, wir wollen immer Programm.
Es gibt so viel zu sehen und zu erleben! Und wir sind nicht in ein Flugzeug gestiegen, um in einem (fremden) anderen Land irgendwo am Pool herumzuliegen. Sondern, um zu klettern, zu schwitzen und zu laufen. Und das haben wir auch in diesem Jahr reichlich getan.
Direkt nach der Ankunft wurden wir in Adana (diesmal meine ich die gleichnamige Hauptstadt der Provinz, die gleichzeitig die viertgrößte Stadt der Türkei ist und wir gegen Ende unserer Reise noch einmal für einen Tagestrip besuchten) vom Flughafen abgeholt. Nach sieben Stunden Flug (beziehungsweise: eigentlich vier Stunden mit dreistündigem Aufenthalt in Istanbul) und einer Nacht ohne Schlaf waren wir noch erstaunlich fit (das kannten wir allerdings vom letzten Jahr).
Zuhause in der Ferienwohnung von Serdars Eltern angekommen gab es schnelles Essen, bevor wir direkt zu unserem ersten Tagestrip an den Kapikaya Kanyonu, einem großen Canyon in der Nähe von Karaisali, ungefähr zwei Autostunden von Zuhause entfernt.
Der Canyon ist beeindruckend. Riesige Bergmassive umgeben einen, während man sich auf den 1,5 Kilometer langen Rundweg macht, der nur teilweise befestigt ist und einem temperatur- und wegbedingt weitaus länger vorkommt. Das Sportpensum für diesen Tag war guten Gewissens abgehakt und meine Klamotten nach gefühlt drei Metern durchgeschwitzt.
(Das liegt aber auch daran, dass ich naturgemäß leider viel schwitze. Früher habe ich mich dafür geschämt, mittlerweile akzeptiere ich das als Eigenschaft meines Körpers, gegen die ich nicht viel machen kann und die mir flüssigkeitshaushaltstechnisch und temperaturregulierungsmäßig sogar Vorteile verschafft. Aber das ist ein anderes Thema.)
Die Natur im Canyon ist auf jeden Fall beeindruckend und eine schöne Lektion in Sachen Demut vor Mother Nature. Irgendwann fängt jede*r an, über Naturgewalten, lange Zeitabschnitte, gegen die die Existenz des Menschen evolutionär ein Witz ist, und die schlichte Schönheit von Grün und Bergen zu philosophieren.
Solche Canyons gibt es in der Türkei übrigens nicht wenige – vor allem in dem Gebiet, in dem wir uns aufgehalten haben. Leider haben wir nur diesen einen geschafft, aber da wartet noch ganz viel auf zukünftige Entdeckung.
Outfit: T-Shirt von TwoThirds / Hose von Living Crafts / Uhr von Kerbholz (PR-Sample)
Und obwohl der Kapikaya Kanyonu ein wunderschönes Naturschutzgebiet ist, gibt es natürlich immer Menschen (überall), die meinen, Regeln gelten für sie aus den unerfindlichsten Gründen nicht.
Müll haben wir auch hier gefunden – generell ist der Umgang mit Müll in der Türkei ein massives Problem, das bei fehlender Trennung beginnt und sich über durch die Luft schwebende Plastiktüten, Abfallhaufen am Straßenrand bis hin zu Plastikteilen, die wir beim morgendlichen Baden im Mittelmeer entdeckten, erstreckt.
Ab und zu haben wir etwas aufgehoben und nach unserem Rundgang dann in die entsprechenden Mülleimer geworfen. Da der Canyon im Naturschutzgebiet liegt bzw. selbst ein eigenes ist, war der Anteil an Müll hier nicht so hoch wie an den meisten anderen Orten und die Menschen halten sich einigermaßen daran, wenigstens hier nicht alles fallen zu lassen, wo es beliebt.
Dasselbe gilt übrigens für (illegalen) Fischfang. So idyllisch das Bild auf der linken Seite auch ist – im Naturschutzgebiet darf nicht geangelt werden. Manche machen es trotzdem.
Am Ende des Tages kamen wir sehr erschöpft, aber glücklich zuhause an.
Tag 2: Auf, auf – es ist Markttag!
Samstags ist auch in Ayas traditionell Markttag.
Im letzten Jahr habe ich euch bereits mit Eindrücken bombardiert – allerdings habe ich auch dieses Mal wieder so schöne Momente festgehalten, dass ich nicht umhin kann, das auch jetzt wieder zu teilen.
Die Farbenpracht haut mich jedes Mal um – genauso wie die Bereitschaft der Menschen, auf Fotos abgelichtet zu werden, die man aus Deutschland ja eher weniger kennt. (Nachvollziehbarerweise: Ich möchte auch nicht auf der Straße von Wildfremden fotografiert werden.)
In der Türkei ist meine Erfahrung aus beiden Jahren allerdings, dass die Menschen sich regelrecht darum reißen, in deinem ganz persönlichen Erinnerungsschatz verewigt zu werden. Andauernd wird man angesprochen, ob man ihn oder sie nicht fotografieren wollte und das Posieren wird zur Perfektion getrieben.
Serdar meint, das hängt mir der Art der Gastfreundschaft zusammen: Man möchte alles zeigen, schämt sich nicht und öffnet sich gerne für Fremde.
Dieses Phänomen ist mir überall begegnet – die Menschen führen dich erstmal über ihren ganzen Hof, wenn du sie besuchen kommst, erzählen die Geschichte des Ortes, in dem sie aufgewachsen sind oder möchten dir örtliche Sehenswürdigkeiten zeigen. Einfach so, damit du sie gesehen hast.
Stellvertretend für Farbexplosion, wirres Stimmengewirr, Marktschreier der Superlative, Tourist*innen-Bonus in Form von zusätzlichen Nüssen und Weintrauben und mit sündhaft niedrigen Beträgen beschriftete Preisschilder. Ein Kilo Tomaten? 25 Cent. Eine Melone? 30 Cent im Kilo. Pfirsiche? Nimm das Kilo für 20 Cent, weil du es bist. Daneben die ständeübergreifend gebrüllten Unterhaltungen, deren Thema ich und mein Fotoapparat sind. Man lacht laut und stichelt ein bisschen, findet sie aber ganz süß, die aus dem Westen. Und sagt einem das im Vorbeigehen auch einfach ins Gesicht, was mich wiederholt in perplexer Verlegenheit zurücklässt. Offen, direkt, herzlich, temperamentvoll, laut, die meisten Menschen. Neugierig: Wo kommt ihr her? Ist es in Deutschland noch immer so gut, wie alle sagen? Soll ich meine Tochter zum Studieren wegschicken? Fragen, persönlich und Biografien betreffend, werden uns am Straßenrand gestellt. Uns, die man von weitem als Akademiker*innen zu identifizieren scheint. Und wir begreifen spätestens jetzt: Die Menschen machen sich Sorgen. Wie wird es weitergehen mit diesem Land, unter dieser Führung? Viele hier sind gegen die aktuellen Entwicklungen, können sich aber nicht vorstellen, aktiv zu werden oder andere Konsequenzen zu ziehen. “Das müssen wir durchstehen, wir hatten schließlich schon ganz andere an der Macht. Der wird auch wieder gehen.” Auswandern ist nur bedingt Option – für Inländer*innen ist es schwierig, ein entsprechendes Visum zu bekommen. Und ich bin mir nicht sicher, wie ich das einstufen soll – bin ich entsetzt, beeindruckt, traurig? Alles hat überall mehrere Perspektiven, schöne Bilder sind nur eine davon.
Ich brauche wahrscheinlich nicht extra zu erwähnen, dass ich im Melonen-Paradies gelandet bin, oder? Sie waren wirklich sensationell günstig und genau wie im letzten Jahr habe ich fast ausschließlich von regionaler Rohkost gelebt – einfach, weil alles frisch vom Markt noch einmal drei Stufen leckerer und intensiver schmeckt als in Deutschland.
Wir hatten uns wieder mit Jutebeuteln bewaffnet, um den familieninternen Plastiktütenverbrauch zumindest in einigermaßen geregelten Bahnen zu halten (eine komplette Vermeidung war von vornherein illusorisch). Das hat leider nicht so zufriedenstellend geklappt, wie wir uns das gewünscht hätten, weil auch bei uns in der Familie das Bewusstsein für die Nicht-Nachhaltigkeit von Plastik noch nicht besonders ausgeprägt ist. Beziehungsweise, genauer: Eigentlich weiß man um das Problem, uneigentlich ist man zu bequem, etwas zu ändern.
Wir konnten gegensteuern, ein wenig zumindest, mussten uns aber eingestehen, dass – solange wir nicht auf komplett eigene Faust Urlaub machen – wir niemandem zu seinem und dem umwelttechnischen Glück zwingen können, ohne einen Krach vom Zaun zu brechen.
Tag 3: Spaziergang im Fischerdorf + Besuch bei Tanten und Cousinen
Obwohl wir gerne ständig auf Achse sind, durften wir während unseres Aufenthalts nicht unseren eigentlichen Reisegrund vergessen: Besuche bei der Familie standen auf dem Tagesprogramm und wenn man gegen Endes des Urlaubs nicht alle zumindest einmal kurz gesehen hatte, waren entsprechende vernachlässigte Parteien latent beleidigt.
Daher haben wir ungefähr die Hälfte der Nachmittage in üppig bepflanzten Gärten und mit ganz viel türkischem Tee zugebracht.
Vorher blieb aber meistens noch Zeit, sich zumindest kurz mit einem Spaziergang im Fischerdorf die Beine zu vertreten.
Und ans Meer zu gehen.
Wir waren – wie erwähnt – jeden Morgen schwimmen. Das Mittelmeer liegt direkt am Ferienhaus-Komplex und wir gingen nach dem Aufstehen, wenn noch alles schlief, runter zum Strand und warfen uns in die Wellen. Ein fantastisches Gefühl – vor allem, wenn dann die Sonne aufging, die den Nebel, der in der Ferne an den Bergen klebte, verschwinden und das Wasser ein bisschen kitschig-zauberhaft glänzen ließ.
Kleid: Linenfox
Auch während unserer Spaziergänge im Fischerdorf haben wir immer am Strand, der sich dort entlangzieht, Halt gemacht, kurz die Beine ins Wasser baumeln lassen und unsere Nasen in den erfrischenden Wind gehalten.
Das ist das Ende des ersten Teils.
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Da sind mal ganz andere Eindrücke von der Türkei als mir bisher begegnet sind; vor allem der Anfang vom zweiten Teil mit den historischen Stätten. Sehr schön und inspirierend!
Hey Lou,
danke dir für deine lieben Worte!
Ich freue mich, dass dir das Lesen und Anschauen der Bilder Freude gemacht hat! 🙂
Mich hat die Umgebung auch sehr inspiriert – ich habe schon lange nicht mehr so gute Texte geschrieben wie in den paar Tagen, in denen ich dort war.
Liebe Grüße an dich!
Jenni
Hi Jenni,
das sind ja mal wieder tolle Bilder, die du da mitgebracht hast. Wir sind auch eher von der Sorte “Unternehmertouris”. Ich könnte mir nicht vorstellen, dass ich den ganzen Tag nur am Strand rumliege.
Ich lese jetzt erst einmal den zweiten Teil deiner Reisegeschichte.
Liebe Julia,
danke dir für deine lieben Worte!
Schön zu lesen, dass du auch so ein Abenteuer-Touri bist – ich finde es so langweilig, nur am Strand herumzuliegen und nichts zu tun. Obwohl ich das manchmal auch mache – so ein bis zwei Tage muss man sich auch im Urlaub gepflegt langweilen, damit man wirklich mal runterkommt und die Zeit sich dehnen lassen kann. 🙂
Ich hoffe, du hast auch beim zweiten Teil viel Freude beim Lesen gehabt.
Liebe Grüße an dich!
Jenni
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