Der Black Friday und die Black Week, zu welcher der umsatzstärkste Termin des Jahres mittlerweile auch hierzulande ausgeweitet wurde, stehen vor der Tür. Verlässlich wiederholen sich – neben den satten Rabatten – jedes Jahr die Mahnungen und ja, auch der erhobene Zeigefinger aus der nachhaltigen Bubble: Sinnloser Konsumwahn, der das Klima anheizt! Das Leben kann mensch sich nicht schönkaufen! Zeit statt Zeug! Und so weiter.

Ich habe lange selbst in dieses Horn gestoßen – und sage heute: Ja, da ist natürlich etwas dran. Aber: Die mitunter fast schon polemische Kritik geht am Kern des Problems vorbei und übersieht mal wieder eine ganz bestimmte Bevölkerungsgruppe, die immer größer wird: die Armen.

Die hard facts zum Black Friday

Der Black Friday und der Cyber Monday gehören zu den Tagen, die sich für Händler*innen entweder sehr lohnen oder (je nach Geschäftsgröße) sogar überlebenswichtig für das Unternehmen sind. Der Umsatz stieg über die letzen Jahre kontinuierlich. Im Rahmen von Aktionen, die sich rund um diese beiden Tage abspielten, gaben Konsument*innen in Deutschland 2016 rund 1,7 Milliarden Euro aus – im vergangenen Jahr waren es trotz Corona-Pandemie und damit verbundenen Einkommenseinbußen rund 3,8 Milliarden Euro.

Für 2021 wird nochmals eine Umsatzsteigerung um 27% auf rund 4,9 Milliarden Euro erwartet. In diesem Jahr wollen 46% der Befragten Angebote rund um den Black Friday nutzen. Rund die Hälfte möchte gleich viel Geld wie im letzten Jahr ausgeben, 28% möchten mehr investieren.

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Dunkler Tag für Umwelt und Klima

Jeder Neukauf belastet die Umwelt und packt Emissionen auf das ohnehin schon chronisch überzogene Nachhaltigkeitskonto der Konsument*innen – vor allem im Globalen Norden und reichen Deutschland. Daran gibt es nichts zu rütteln und dementsprechend nachvollziehbar sind Gegen-Aktionstage wie der Kauf-nix-Tag, der Anfang der 2000er Jahre zum ersten Mal auch in Deutschland ausgerufen wurde. Am nachhaltigsten ist es eben immer noch, lange zu nutzen, was bereits da ist.

Dazu kommt: Weil ein Großteil der Produkte online gekauft wird, kommt es zu einem hohen Paketaufkommen. Das ist per se nicht unbedingt klimaschädlicher als der Gang ins Geschäft vor Ort – zur Klimasünde wird der Klickkauf, wenn das Produkt doch nicht ganz den Erwartungen entspricht und retourniert wird.

Im Schnitt wird der Universität Bamberg zufolge (unabhängig vom Black Friday) jedes 6. Paket wieder zurückgeschickt. Besonders häufig gefallen Kleidung und Schuhe nicht: Hier geht fast jedes 2. Paket wieder an die Absender*innen. (Wobei die Zahlen sich auf das Jahr 2018 beziehen – mittlerweile könnte sich das Volumen noch einmal erhöht haben.)

Delikat ist in dem Kontext sowohl die Menge an Verpackungsmüll, die durch den Online-Versand produziert wird und stetig zunimmt als auch die Tatsache, dass Retouren nicht – wie von Konsument*innen vorausgesetzt – weiterverkauft, sondern oft einfach vernichtet werden. Das ist günstiger. Das jüngste Beispiel liefert Nike mit einer wahrscheinlich massenhaften Vernichtung nagelneuer Sneaker, wie Recherchen von ZEIT, Flip und dem NDR belegen.

Das alles verbraucht zum einen massenhaft Ressourcen – und ist zum anderen ein Hohn auf die oftmals menschenunwürdige Produktion, die von unterbezahlten bis unbezahlten Arbeiter*innen im Globalen Süden verrichtet wird, damit es diese Produkte überhaupt in unsere Regale schaffen.

Für wie viele zusätzliche Emissionen die Angebote rund um den Black Friday jetzt genau verantwortlich sind, dazu lassen sich keine Daten finden – wahrscheinlich ist die Berechnung von zu vielen Faktoren abhängig.

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Klassistisches Shaming wird den Black Friday nicht abschaffen

Fassen wir all das zusammen, fällt es uns leicht, mit angesäuerter Miene auf die ausgeschilderten Rabatte online und offline zu blicken – und ein Hochgefühl beim Widerstand gegen die Verlockungen (die vielleicht auch gar keine mehr sind) zu entwickeln. Vielleicht dehnen wir unsere schlechte Laune auch gleich auf jene aus, die an besagten Tagen mit vollen Papiertüten durch die Innenstädte ziehen oder uns von vollen digitalen Warenkörben berichten.

Und genau hier fängt das Problem an.

Denn: Den Verzicht muss mensch sich erstmal leisten können. Nicht selten kommen Aufforderungen zum Konsumverzicht generell und am Black Friday im Speziellen aus der nachhaltigen Bubble – jene, die durchschnittlich ohnehin gut betucht ist und sich mindestens in der soliden Mittelklasse aufhält. Für die ist der Unverpacktladen unter Umständen genauso Normalität ist wie eine minimalistisch eingerichtete Wohnung.

Häufig verschleiert das aber einen anderen Umstand: Je mehr Geld ein Mensch zur Verfügung hat, desto höher sind in der Regel die individuell ausgestoßenen CO2-Äquivalente. Kurz: Je reicher, desto dreckiger.

Und gerade jenes Milieu richtet Boykott- und Verzichtsaufrufe an alle anderen – häufig leider, ohne zu differenzieren. Und ebenso häufig mit dem Bild einer kaufwütigen, von Trieben gesteuerten Masse, die gerade eröffnete Storetüren einrennt und vor Entzücken über die niedrigen Preise kreischt, im Kopf.

Natürlich ist das überspitzt formuliert, aber ich denke, es wird klar, worauf ich hinauswill: Armen-Shaming gehört zum Black Friday wie 50% Rabatt auf Elektronik. Und es wird genau gar nichts an dem oben beschriebenen Problem ändern.

Wenn Weihnachtsgeschenke zum Luxus werden

Wenn mensch sich das ganze Jahr über mehr oder weniger ohne große Anstrengungen das meiste von dem kaufen kann, was gewünscht ist, ist die Herausforderung, den Black Friday zu boykottieren, nicht besonders groß. Und es fällt leicht, abfällig auf alle anderen zu blicken.

Auf jene, die sich nicht im Griff haben. Hierbei wird ein typisches klassistisches Stereotyp bedient: das der triebgesteuerten Armen. Wir finden es quasi immer vor, wenn es darum geht, wer eigentlich zu viel von was kauft. Die Antwort lautet nämlich meist: Die mit sowieso schon wenig Geld investieren das dann auch noch falsch – in billigen, massenhaft konsumierten Schrott.

Frage 1: Was sollen Menschen mit wenig Geld, die immer mehr in Deutschland werden, auch sonst tun? Zum Sparen bleibt wenig Möglichkeit, denn das Monatsbudget ist schnell weg. Trotzdem ist das Bedürfnis vorhanden, wenigstens scheinbar an der Gesellschaft teilzuhaben – und das funktioniert nun einmal über Konsum. Wer arme Menschen dafür beschämt, geht den bequemsten Weg überhaupt und sucht sich einfach einen Sündenbock, um das eigentliche Problem nicht thematisieren zu müssen.

Frage 2: Was kaufen Menschen eigentlich am Black Friday ein?

Die Antwort: Über 54% der Konsument*innen, die etwas am Black Friday kaufen, wollen das Produkt an Weihnachten verschenken, schreibt der Handelsverband HDE. Rund 50% der Ausgaben, die dieses Jahr am Black Friday getätigt werden, sollen nach den Plänen der Kaufenden in Geschenke investiert werden. Klingt schon etwas weniger nach gierigen und egomanischen Horden, die sich mit dem vierten Alexa-Gerät die Bude zuramschen wollen, oder?

Die besten Rabatte werden im Bereich Unterhaltungselektronik, Bekleidung und Schuhwerk sowie Haushaltselektronik erwartet. Für Familien mit wenig Einkommen kann das heißen, dass jetzt endlich mal der neue Fernseher gekauft wird. Oder die Waschmaschine. Oder dass die Kinder ein paar schöne Kleidungsstücke in der passenden Größe unterm Tannenbaum liegen haben.

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Wo die Kritik eigentlich hingehört

Ich wünsche mir natürlich eine kritische Auseinandersetzung mit Tagen und Wochen wie dem Black Friday und der Black Week, denn letzten Endes sind diese Rabattschlachten Ausdruck eines Systems, das sich vollkommen in Absurdität verrannt hat und unseren Planeten zugrunde richten wird, wenn wir es nicht aufhalten.

Und natürlich ist es wichtig, die eigene Rolle innerhalb dessen zu hinterfragen und das eigene Handeln, soweit das möglich ist, dem idealistischen Gewissen anzupassen. Im Klartext: Der Blick aufs große Ganze sollte kein Freifahrtsschein sein, um in hemmungslosen Konsum zu verfallen. Das kann sich aber ohnehin kaum noch jemensch leisten.

Aus dem Blick verlieren sollten wir dabei allerdings auch keineswegs, dass ein Bruchteil der globalen Bevölkerung für einen Großteil der individuellen CO2-Emissionen verantwortlich ist – und vor allem: dass wenige Unternehmen allein schon für 70% der globalen Emissionen geradestehen müssen.

Um diese Probleme anzugehen, ist es nötig, dass wir uns von der Fixierung der Einzelperson als Konsument*in verabschieden. Wir sind nicht nur Leute, die Sachen in Einkaufswagen packen, sondern allem voran immer noch Bürger*innen. Also: politische Subjekte.

Die Kritik am Kaufrausch des Black Friday ist zahnlos, wenn sie nicht differenziert und gleichzeitig eine Kritik an den Umständen ist, die Menschen dazu bringen, sich vordergründig als Konsumierende zu begreifen. Und wenn sie nicht gleichzeitig fragt, wie Unternehmen und Politiker*innen stärker in die Pflicht genommen werden können, im ersten Minischritt auf dem Weg in eine nachhaltigere und gerechtere Welt ökologischere Produkte und Lieferketten zu implementieren. 

JENNI

Wanderin im Geiste, mit der Nase im nächsten Buch, nie so ganz zuhause und doch immer da.

KOMMENTARE

Du nennst da ein paar sehr interessante wie wichtige Punkte – beispielsweise, dass einige Menschen es sich jederzeit leisten können, Dinge zu kaufen und nicht auf den Black Friday “angewiesen” sind, um sich eine größere Anschaffung leisten zu können. Danke für diese differenzierte Sicht auf den Black Friday.

Hey Mai,
danke dir für die Rückmeldung – freut mich sehr, dass der Artikel dir gefallen hat!

Ja, das Shaming, nach dem mensch wirklich die Uhr stellen kann, beschäftigt mich schon sehr und mir ist wichtig, da mit einem differenzierteren Blick dranzugehen.

Liebe Grüße
Jenni

Hallo Jenni, danke für diesen ganz toll, differenziert und sensibel geschriebenen Blogbeitrag zu diesem wichtigen Thema. Ich bin total beeindruckt davon. Vielen Dank dafür. LG Melanie

Hey Melanie,
es freut mich sehr, dass der Artikel dir gefallen hat – sehr gerne, ich thematisiere das jedes Jahr auf die ein oder andere Art, weil ich es so wichtig finde.

Liebe Grüße
Jenni

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