Südtirol ist langweilig. Da fahren die ganzen alten Leute hin und machen den ganzen Tag nichts anderes als Wein zu trinken und halbherzig ein paar Wanderwege abzulaufen.
So ungefähr waren bisher eigentlich durchgängig meine Assoziationen, wenn ich an Tirol im Generellen und Südtirol im Speziellen dachte.
Früher in der Schule sind dort immer die Erdkundelehrer*innen hingefahren. Die, die sich auch gerne an allen anderen Tagen im Jahr (die nicht gerade in die kurze Urlaubsperiode fielen) mittels überdimensioniertem Rucksack, Multifunktionsjacke und Wanderschuhen den Anstrich ultimativer Abenteuerlust geben wollten.
Die Gegend war dementsprechend nicht nur in meinem jugendlichen Hirn lange Zeit mit alten Menschen und generell einem Habitus der Verstaubtheit in Verbindung gebracht worden: So ziemlich niemand aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis fuhr gerne nach Tirol. Die meisten, die dann doch irgendwann dort waren, wurden von der Familie mehr oder weniger sanft überredet. Und meinten im Anschluss, sich zu Tode gelangweilt zu haben.
Südtirol, die Apfel- und Weinregion par excellence, steht also seit einiger Zeit nicht besonders hoch im Kurs bei den jungen Leuten.
Zu denen gehöre ich dazu.
Und nach ein paar Tagen, die ich Ende März in Lana, einer wunderschönen Region nahe Meran / Südtirol verbringen durfte, kann ich sagen: Südtirol ist vieles – aber langweilig bestimmt nicht.
Tag 1: Ankunft im Hotel Theiners Garten in Gargazon, Bozen
Komme ich mir mindestens wie eine ziemlich inkonsequente Person und schlimmstenfalls wie eine heuchlerische Klimasünderin vor, wenn ich sage, dass wir die Reise mit dem Auto absolviert haben? Auf jeden Fall.
Das hätte man ökologischer haben können. Und ich bin eine glühende Verfechterin von Zügen und dem langsamen Reisen in öffentlichen Verkehrsmitteln (was der Hauptgrund ist, weshalb ich keinen Führerschein besitze und nicht vorhabe, das zu ändern).
Vor Abreise habe ich dementsprechend die Angebote von Deutscher Bahn, Flixbus und -Zug gekoppelt mit den jeweiligen Regionalverbänden in Österreich und Italien verglichen – und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir im besten Fall mit einer An- und Abreise von rund 18 Stunden zu rechnen hätten. Wenn wir keinen Zug verpassen würden bei dreimaligem Umsteigen.
Zeit, die wir aufgrund eng begrenzter Urlaubstageregelung (den Blog hier mache ich nämlich nach wie vor nicht Vollzeit) nicht hatten. Leider.
Mit dem Auto waren wir dann rund 10 Stunden unterwegs. Das schlechte Klimagewissen wurde ein bisschen durch die umwerfend schöne Aussicht im Allgäu abgefedert. Ende März fuhren wir tatsächlich durch eine Schneeelandschaft, die mich an Weihnachten denken ließ und schlängelten uns über kleine und wenig befahrene Straßen durch die Berge Richtung Süden. Die Aussicht ließ mich sehr wenig schlafen und der Sonnenaufgang über schneeverhangenen Tannenwäldern und den Bergen der Alpen ist einer, den ich so schnell sicher nicht mehr vergessen werde.
Übernachtet haben wir im Hotel Theiners Garten, einem familiengeführten 4-Sterne-Haus, das zu den Bio Hotels gehört und in dem wir den Aufenthalt rundherum genossen haben. Unter anderem auch deshalb, weil das Hotel an sich selbst sehr hohe ökologische Ansprüche an sich stellt.
Die wurden auch entsprechend ausgezeichnet: Abgesehen von den Vorgaben, die der Verband der Bio Hotels stellt, erfüllt das Theiners Garten die Kriterien weiterer Nachhaltigkeits-Vereine:
- Das Hotel war 2009 das erste Haus europaweit, das Klimahaus-zertifiziert wurde.
- Es gehört außerdem zu den wenigen Hotels, die explizit von Demeter empfohlen werden.
- Auch von Bioland wird das Theiners Garten empfohlen.
Dass man es im Hotel mit der Nachhaltigkeit nicht nur in schönen Worten, sondern gesamtkonzeptionell ernst meint, merken wir relativ schnell:
Auf den Zimmern finden wir keine verpackten Goodies zur Begrüßung, sondern zwei Bio-Äpfel aus der Region. Im Badezimmer gibt es keine kleinen Probefläschchen, sondern zwei große Behälter mit Seife und Shampoo-Duschgel (die, erfahren wir später, sogar in der Region aus den Resten von Äpfeln und Pfirsichen hergestellt werden). Eine Minibar gibt es nicht, einen Fernseher nur auf Anfrage. Das gesamte Zimmer ist aus Holz gehalten, was nicht nur für das Auge höchst ästhetisch ausschaut, sondern auch wunderbar duftet.
Kurz vor unserer Abreise haben wir die Möglichkeit, in einem persönlichen Gespräch mit Stefan Hütter (der bei Theiners Garten unter anderem für das Marketing zuständig und Vizepräsident beim Verein der Biohotels ist) ein wenig mehr über die Geschichte des Hauses und die generelle Ausrichtung zu erfahren.
Eine kurze Zusammenfassung
Der Grund, auf dem das Hotel Theiners Garten steht, war früher Apfelwiese – der elterliche Hof gehörte zur traditionsreichen Apfelproduktion in Südtirol. Erfahrungen in der Hotellerie hatte die Familie nicht, als der Sohn Walter Theiner den elterlichen Hof übernahm, um die Idee eines Biohotels umzusetzen.
Zuerst sollte das auch mit außenstehenden Hoteliers umgesetzt werden. Weil deren Ansprüche an Nachhaltigkeit sich allerdings nicht mit denen der Familie Theiner deckten, wurden die Pläne, das Projekt in andere Hände zu geben, verworfen – und die Familie arbeitete sich selbst ein.
Es galt, nicht nur die knapp 1700 Menschen in Gargazon (“das sollte hier ja kein Aprés Ski werden”, sagt Stefan Hütter), sondern auch die Gemeindeverwaltung zu überzeugen.
2008 konnte nach zahlreichem Rechnen und Studien-Anfertigen dann endlich mit dem Bau begonnen werden. Und weil das Hotel von Grund auf neu konzipiert wurde, war es möglich, die hohen ökologischen Ansprüche, die die Familie an den Bau anlegte, im gesamten Haus umzusetzen. (Die Außenwand besteht zum Beispiel aus 18cm dickem Massivholz – und ist nicht, wie bei vielen anderen Häusern, lediglich dünne Verkleidung.)
Wir kommen vom Bio zum Hotel und nicht umgekehrt. Deswegen wollten wir kein Alibi-Hotel, sondern ein vollständiges Konzept. Und wir wollten das führen, um zu zeigen, dass es möglich ist, Bio und Öko in einem hochwertigen Segment anzubieten. (Stefan Hütter)
Die Gründungsgeschichte des Theiners Garten hat einen wesentlichen Teil dazu beigetragen, dass das Haus mit Stolz den Zusatz Biorefugium im Namen trägt: Was hier angeboten wird, geht weit über angenehme Nächte und gutes Essen (das ist übrigens sehrsehrsehr gut und mit reicher veganer Auswahl den ganzen Tag über!) hinaus. Es handelt sich um ein Gesamtkonzept, das auch Kuren nach Kneipp, Saunieren, Massagen (also ein komplettes ökologisches Wellness-Programm) sowie Bewegung (Wanderungen, Bike-Touren, Vorbereitungen auf Langstreckenläufe) mit einschließt.
Ich weiß nicht so genau, mit welcher Betonung ich sagen darf/sollte/müsste, dass ich mittlerweile doch ziemlich genau darauf achte, wiewoundwas öko und plastikfrei und im Generellen nachhaltig gestaltet ist – oder eben nicht. Das bedeutet nicht, dass ich überall Perfektionismus sehen will, bei Weitem nicht.
Aber gerade, wenn jemand mit Nachhaltigkeit wirbt, gucke ich gerne genauer hin. Und ich habe in den zwei Nächten bzw. drei Tagen, in denen wir im Theiners Garten beherbergt wurden, nicht eine Sache (sei sie auch noch so klein) gefunden, die mir im Nachhaltigkeits-Kontext negativ aufgefallen wäre. Nicht eine.
Zwei Zahlen, die mir im Gespräch noch besonders im Gedächtnis geblieben sind: Das Biorefugium verbraucht unter anderem durch intelligentes Lichtmanagement bis zu 50% weniger Energie als ein konventionelles Hotel. Und die Gäste, die hier nächtigen, produzieren ca. 7kg CO2 pro Gast und Nacht. In einem konventionellen Hotel sind es zwischen 30 und 50kg pro Gast und Nacht.
Stefan Hütter betont außerdem, dass das Theiners Garten niemandem zu einem vollständig ökologisch-bewussten Lebenswandel zwingen möchte:
Ich bin nicht gerne derjenige, der etwas verbietet. Wir missionieren nicht, wir machen nur Angebote.
Ob und in welchem Umfang die genutzt werden, bleibt den Gästen selbst überlassen.
Besuch auf dem Kränzelhof
Meine Freund*innen halten mich kollektiv für mindestens robust, eigentlich aber eher für verrückt, als ich aus der kleinen Gemeinde in Lana rübertelegrame, dass wir nach einer durchfahrenen Nacht und einem sehr guten, reichhaltigen Mittagessen jetzt noch auf dem Weg sind, den Kränzelhof zu besichtigen – einen bunten Erlebnishof, den der Graf auf seinem Anwesen (das auch zur Weinproduktion genutzt wird) eingerichtet hat.
Der Graf, das scheint immer mal wieder aus den Gesprächen, die wir führten, heraus, sei ein eher menschenscheuer Geselle. Dass man überhaupt eine Audienz (vor allem, wenn man von der Presse sei) erhielte, sei eine seltene Gelegenheit, die man zu schätzen wissen sollte.
Wir bekommen denn vom Grafen höchstselbst eine kurze Einweisung in den Erlebnisgarten, der genauer aus sieben einzelnen Gärten besteht und den der Graf wiederholt als eine große, sich immer wieder verändernde “lebendige Skulptur” beschreibt. Die Gärten sind einem Meta-Thema untergeordnet und mit zahlreichen Attraktionen und Kunstgegenständen versehen, die die Besucher*innen zum Interagieren und vor allem Nachdenken anregen sollen. Die Gestaltung ist ein Mix aus Natur- und Kultur-Elementen, an jeder Ecke gibt es etwas zu entdecken.
Das stellen wir ziemlich schnell fest, als uns der cowboybehutete Graf im Express-Verfahren seine Spielwiese an einem Modell aus Vogelperspektive vorstellt. Ein paar Minuten später können wir uns (nachdem wir uns zunächst etwas verwirrt im Kreis gedreht und den Anfang gesucht haben) davon selbst überzeugen.
Wir stolpern (trotz Überblickskarte) von einem Garten in den nächsten und wissen gar nicht, wohin wir zuerst gucken sollen. Alles ist spannend – und genau so soll das.
Das rund 20.000 Quadratmeter große Areal ist unterteilt in sieben Gärten und wir laufen sie im Uhrzeigersinn ab:
- Garten des Vertrauens
- Garten der Sinnlichkeit
- Labyrinthgarten
- Theater
- Garten der Liebe
- Festwiese
- Yin-und-Yang-Garten
Der Garten (oder: die Gärten) wird gerade im Frühling und Sommer zu einem belebten und wunderschönen Ort: Auf der großen Festwiese kann man Hochzeiten und andere Events abhalten und wenn die ganzen Apfelbäume blühen, sei das allein schon ein herrliches Fest für die Augen. Wir glauben es sofort.
Den ganzen Nachmittag verbringen wir damit, durch Pflanzenlabyrinthe zu laufen (und uns zu verirren), Kunstwerke anzuschauen, Dinge zum Klingen zu bringen, uns überall hinzusetzen und alles aus den unterschiedlichsten Perspektiven anzuschauen und auf uns wirken zu lassen.
Der Kränzelhof, kommt mir irgendwann der Gedanke, ist wie überdimensioniertes Montessori für alle Altersklassen.
Die Sinne werden permanent gefordert, überall kann man schauen und sehen und fühlen und alles zusammen. Der Spieltrieb wird an jeder Ecke geweckt, ein Gefühl, bei dem ich den Eindruck habe, dass man es mit steigendem Alter immer seltener spürt. Wenn man sich an das außergewöhnliche Überangebot an Reizen und Möglichkeiten (das einen zuerst ein bisschen überfordern kann), gewöhnt hat, möchte man eigentlich gar nicht mehr weg.
Durch das viele Herumlaufen an der frischen Luft und den zahlreichen Eindrücken, die zwar da sind, sich aber nicht aufdrängen und gewissermaßen auf Entdeckung und Aufmerksamkeitsfokussierung warten, wirkt ein Besuch in den Gärten des Kränzelhofs noch lange nach. Ein bisschen wie eine Glocke, die man im Inneren zum Klingen bringt.
Und während wir herumlaufen, stelle ich mir eine ganze Horde Kinder vor und was für ein Paradies diese Gärten für sie sein müssen. Was man sich da alles für Geschichten zusammenfantasieren kann! Wie viele Spiele man spielen kann, Fortsetzungfolgt, im Grünen Zimmer oder im Theater!
Auf zum Knottnkino!
Nach einer beinahe in komatösem Schlaf verbrachten Nacht (in sehr weichen Betten) und einem reichhaltigen Frühstück am Buffet des Theiners Garten machen wir uns am nächsten Morgen auf den Weg zu unserer ersten von zwei Wanderungen, die für die drei Tage geplant waren.
Das Ziel: ein Kino, bei dem die Natur die Leinwand ist – das Knottnkino. Eine Kunstinstallation, weitweitweit oben in den Bergen – zu erreichen, wenn ein Teil der Höhenmeter mit der Seilbahn zurückgelegt werden. (In den Instagram Highlights zu “Lana” findet ihr ein Video von der Seilbahnfahrt, in dem ihr einen Eindruck von der Höhe bekommen könnt.)
Die Wander-Route, die wir gewählt haben, ist mit etwas über einer Stunde Wanderzeit ausgeschildert. Weil wir aber alle drei Meter stehen bleiben, die schöne Aussicht anschauen und Fotos machen, brauchten wir für den Hin- und Rückweg insgesamt rund dreieinhalb Stunden für die insgesamt 13 Kilometer.
Unterwegs kommen wir durch Waldgebiete, sehen, dass offensichtlich die Schneeschmelze in vollem Gang ist und wandern durch weite Täler, in denen nur ein oder zwei Häuser (oder Höfe) stehen. (Man hat glatt den Eindruck, nicht sichtbare Bewohner*innen in ihrem Frieden zu stören, einfach nur, indem man das Gebiet durchquert.)
Mit einigen Wachhunden schließen wir dann doch ziemlich schnell Freundschaft.
Oh, und überall diese Bergmassive im Hintergrund!
Ich komme mir vor, wie in eine Heidi-Landschaft hineingecopypasted. In einen leichten Dunstschleier gehüllt, wirken die Berge mit ihren schneeigen Gipfeln so, als könnten sie von jetzt auf gleich als instabile Papp-Kulisse hintenüberfallen. Unwirklich irgendwie alles, wenn man vom platten Land kommt.
Zur Wanderung selbst ist gar nicht viel zu sagen, weil abgesehen vom Laufen und Staunen und Schauen nicht viel passiert ist. So, wie Wanderungen im Idealfall ablaufen. Man guckt und läuft und das war es, erleichternderweise.
Eine Anmerkung vielleicht: Die Wanderroute ist in den örtlichen Touristik-Führern als mittelschwer (gelb) gekennzeichnet. Wanderschuhe oder sonstige Ausrüstung besitzen wir allerdings nicht und sind einfach mit unserer Alltagskleidung losgezogen. Umgeben von offensichtlich wandererfahrenen Menschen (generell war die Route wenig besucht, aber ab und zu kreuzten sich natürlich schon die Wege) fiel das auf, machte darüber hinaus aber wenig aus. Die Strecke lässt sich wunderbar in ausgelatschten Turnschuhen bewältigen.
Das, was für mich vielleicht vor zehn Jahren noch die ultimative Langeweile – und dann auch noch gekoppelt an körperlich nicht zu unterschätzende Betätigung – bedeutet hätte, habe ich jetzt in vollen Zügen genossen: einen Fuß vor den anderen setzen, mit wunderschöner Aussicht, mit klarer Bergluft.
Was will man von diesem Leben eigentlich mehr, habe ich mich dort oben gefragt.
Wenig, glaube ich. Wenig.
Tatsächlich bin ich in den paar Stunden da oben so nahe wie schon lange nicht mehr am Zustand vollkommener Gedankenlosigkeit. Manchmal erwischen wir uns, wie wir nebeneinander stumm ewig lange Momente auf die fernen Berge starren und wahrscheinlich nichts denken. Ein angenehm leerer Kopf, was für ein unerhörter Luxus.
Besonders gut gefallen hat mir an diesem Wanderweg, dass er durch die beschriebene vielfältige Landschaft führte, sodass man sich nicht so leicht der Gefahr ausgesetzt sah, sich optisch zu langweilen. Gerade für nicht so ganz erfahrene Wander*innen ist das vielleicht auch interessant zu wissen. Das Schlängeln durch Gatter, die unerwarteten Anstiege immer weiter nach oben, unterbrochen von Waldstücken, macht die Wanderung zum Knottenkino schon lange vor dem Ziel absolut lohnenswert.
Aber als wir dann oben angekommen sind, bin ich doch erleichtert und einigermaßen stolz auf mich und uns. Trotz latenter Übermüdung und der anstrengenden Reise sowie der Tatsache, dass die Wochen vorher nicht gerade wenig Stress mit sich gebracht hatten, haben wir es geschafft – wir sind oben.
Und werden auf 1465 Metern über dem Meeresspiegel fürstlich belohnt.
Ist die bisherige Wanderung schon von einem Gefühl der Surrealität begleitet gewesen – der Blick über das Etschtal, der sich uns nun öffnet, stellt auch das noch einmal in den Schatten.
Wir blicken auf eine Minipuppenwelt, sehen kleine Autos sich ameisengleich bewegen und haben das Gefühl, dass das ganze Ding mit dem Alltagsleben so unfassbar weit weg von uns ist.
Ich könnte an diesem Überblicksort festwachsen können, so schön ist diese Gefühlsmischung aus Entrücktheit, Freiheit und leichter Gefahr angesichts der doch sehr steilen Abbruchkante.
Anmerkung: Wir sind natürlich nicht über die Absperrung geklettert. Die Bilder, die keine Zäune zeigen, sind ein paar Meter weiter und mit der gebotenen Vorsicht an einer ebenfalls zugänglichen Stelle aufgenommen worden.
Der Abstieg gelingt wesentlich schneller als der Aufstieg (wie das im Regelfall so ist), ist aber nicht zu unterschätzen. Direkt am Abend merke ich bereits, dass sich Muskelkater in meinem Allerwertesten breitzumachen beginnt, spürbar bei jedem Schritt. Dabei dachte ich, dass ich nicht so ganz unsportlich sei. Offensichtlich ist Wandern anspruchsvoller als ich das in Erinnerung hatte.
Urban-Jungle-Glück in der Orchideenwelt
Nach der Wanderung gönnen wir uns eine kurze Ruhepause, bevor es direkt weiter zu neuen visuellen Eindrücken geht: Die Orchideenwelt hat mich auf der Liste der zahlreichen Attraktionen, die das Meraner Land zu bieten hat, sofort fasziniert. (Wer hätte das gedacht?)
Der Name ist ein wenig irreführend: Die Räumlichkeiten, in denen man nur wenige Minuten vom Theiners Garten entfernt umherflanieren und entspannen kann, bietet weit mehr als “nur” Orchideen zum Anschauen.
Auf über 6000 Quadratmetern Fläche wurden über 12.000 Pflanzen eingebettet, die meisten davon tropisch – was dem Ganzen ein unbestreitbares Dschungel-Feeling verpasst.
Der Schwerpunkt liegt vor allem im Eingangsbereich, der vergleichsweise offen und luftig gestaltet ist und noch ein wenig an Verkaufsfläche in einem Pflanzengeschäft erinnert, allerdings auf den Orchideen: über 500 verschiedene Arten sind in der Orchideenwelt versammelt.
Weil die natürlich nicht alle zur gleichen Zeit blühen, muss man mindestens 6 Mal pro Jahr vorbeikommen, um alle einmal in voller Pracht gesehen zu haben. Damit man die aktuellen Highlights allerdings nicht verpasst, bekommt man am Eingang eine Karte ausgehändigt, auf der die Lage der blühenden Schätze im Komplex eingezeichnet ist. Auffällige Beschilderung in der Orchideenwelt selbst sorgt dafür, dass man am Ende an diesen Besonderheiten auch wirklich nicht vorbeiläuft.
Wie scheinbar so einige Attraktionen in Lana und Umgebung ist auch die Orchideenwelt ein familiengeführtes Unternehmen. Familie Raffeiner hat sich vor Jahren das milde und sonnenlastige Klima Südtirols (es gibt hier rund 300 Sonnentage im Jahr) zu Nutze gemacht, um Orchideen zu züchten, die als wertvolle Exportware in alle Welt geschickt werden.
Die Orchideenwelt als Erlebniswelt gewissermaßen an den reinen Züchtungsbetrieb anzuschließen, entsprang dem Wunsch der Einheimischen – zum eigenen Verweilen und um den Tourist*innen eine Sehenswürdigkeit mehr anbieten zu können. Der Lustgarten ist relativ neu: Es gib ihn erst seit 2 Jahren.
Angelegt ist die Orchideenwelt als Sinnes-Spielplatz für Groß und Klein. Man läuft nicht einfach durch ein Haus durch, sondern findet auch hier überall verstreut unterschiedliche Stationen und mal mehr, mal weniger versteckte oder offensichtliche Einladungen zum Spielen und Erkunden. Garniert wird das Ganze mit Informationsschildern (zum Beispiel zum Bestäubungsvorgang durch die Biene oder zur Züchtung von Orchideen – eine Orchidee braucht übrigens 5 Jahre, bis sie bereit zum Verkauf ist).
Ah, dieses Feuerwerk an Farben, Mustern, Schattierungen, Texturen!
Ich kann mich mal wieder nicht sattsehen, -riechen und -fühlen. Eine Pflanze ist schöner als die nächste und ich frage mich, ob nicht doch Mutter Natur die talentierteste aller Künstlerinnen ist und bleiben wird, für so eigentlich immer.
Noch schlimmer als auf der Wanderung drehe ich mich brummkreiselgleich um mich selbst und weiß nicht, welches lebendschöne Objekt ich mir zuerst vor die Linse zerren soll.
Ich bin im Pflanzenparadies. Ich möchte hier einziehen.
Abgesehen von den tierischen Bewohnern, die es aus meiner Perspektive wirklich nicht gebraucht hätte, um aus diesem Ort einen zauberhaften zu machen (außer den Vögeln sind noch Schildkröten und Koi-Karpfen in der Orchideenwelt zuhause), bin ich ziemlich schnell ziemlich doll verknallt in die Pflanzen-Erlebniswelt.
Man merkt an jeder Ecke: Hier hat sich jemand wirklich Gedanken gemacht, das Ganze ist mit sehr viel Liebe umgesetzt worden.
Man kommt automatisch runter, wird langsamer, bedachter – auch hier siegt das kindliche Staunen, siegen die großen Augen über die Hektik, die man vielleicht noch aus dem Alltag mitgebracht hat an den Urlaubsort.
Entschleunigung at it’s finest, das wird hier praktiziert.
Als wir dort sind, ist die Orchideenwelt nicht besonders gut besucht (konkret: wir sind die einzigen Besucher*innen). Auf Nachfrage erfahren wir, dass die Einheimischen doch sehr gerne vorbeischauen und vor allem eben im Frühling und am Wochenende generell das Gewächshaus gut besucht ist. Im Sommer, wenn die Temperaturen auf ein beinahe unerträgliches Maß steigen, machen die meisten Bewohner*innen jedoch einen Bogen um die schwere und nochmals erhitzte Luft zwischen den Pflanzen.
Besonders erstaunt sind wir, als wir am Ausgang erfahren, dass ein Besuch für Erwachsene 11 Euro kostet, eine Jahreskarte jedoch nur 30 Euro. Auch hier fragen wir nach: Kann das wirklich sein? Ja, kann es. Familie Raffeiner ist nicht angewiesen auf den maximalen Profit mit der Orchideenwelt – das Kerngeschäft bleibt nach wie vor die Züchtung der eigenen Orchideen. Daher ist so eine Preisgestaltung möglich.
Man bekommt durch die Bilderflut, die ich euch mitgebracht habe, sicherlich schon einen Eindruck von den endlosen Stunden, die man sich in der Orchideenwelt aufhalten kann. Am Wasser auf Bambusliegestühlen ein Buch lesend, schlendernd und guckend und wieder staunend (in Südtirol gibt es viel zum Staunen), vielleicht auch arbeitend in einer der vielen ruhigen Ecken mit Tischen und Stühlen…
Ich möchte so einen Ort bitte auch in Münster – wo muss ich das anmelden? Beziehungsweise: Kann man den Botanischen Garten dahingehend erweitern?
Wanderung zum Kröllturm und Abschied
Nachdem wir am zweiten Tag todmüde ins Bett gefallen sind und lang und gut geschlafen haben, stärken wir uns mit einem ausgedehnten Frühstück für unsere zweite und leider auch schon letzte Wanderung: Es soll hoch zum Kröllturm gehen.
Oberhalb des Dorfes Gargazon, am Hang des Tschögglberges, erhebt sich der einsame Krölltum aus dem Wald. Der unbegiebelte Bergfried aus dem 13. Jahrhundert ist auf schönen Wanderpfaden leicht zu erreichen. Der Wehrturm diente wohl als Wachturm an der Grenze, bis heute ziert er das Wappen von Gargazon. (Visitlana)
Die Wanderung startet zwei Gehminuten vom Theiners Garten entfernt in der Dorfmitte von Gargazon und führt ziemlich schnell ziemlich steil nach oben. Schön ist, dass man wirklich ein wenig vom Dorf und der doch an einigen Stellen etwas eigenwilligen Architektur mitbekommt: In Südtirol, haben wir den Eindruck, tobt sich jede*r ein bisschen aus, was die Gestaltung des eigenen Heimes angeht.
(Die meisten, stelle ich beim Anblick von zahlreichen Vorsicht-vor-dem-Hund-Schildern und Alarmanlagen-Warnhinweisen fest, können sich das offensichtlich auch leisten. In einigen persönlichen Gesprächen höre ich heraus, dass die Region im Moment überwiegend von älteren Menschen bewohnt wird, die sich hier einem Hobby verschrieben haben und sich einen ruhigen Aufenthalt mit einigen Vorzügen auch finanziell gönnen können.)
Die Wanderung zum Kröllturm ist wesentlich kürzer als diejenige vom Vortag und dauert laut Beschilderung lediglich 10 Minuten. Was ich aber spätestens jetzt noch einmal mit aller Deutlichkeit lerne: Den Schildern hier ist – vorausgesetzt, man läuft nicht stur und in einem guten Tempo geradeaus – mit Vorsicht zu begegnen. Wir haben für eine Runde nach oben und wieder nach unten ungefähr eine Dreiviertelstunde gebraucht. Da sind dann natürlich zahlreiche Pausen zum Gucken, Fotografieren und Weitergucken mit einberechnet.
Unterwegs kommen wir an einem wunderschönen Wasserfall vorbei, den wir schon unten im Dorf hören konnten: ein regelmäßiges, tiefes Donnern. Der Abstieg zur Aussichtsplattform gestaltet sich ein wenig abenteuerlich und wir fühlen uns an Trips durch die anatolischen Berge erinnert, jedenfalls, was die Wegbeschaffung angeht.
Der kleine Doppelregenbogen, die Ästhetik von fallendem und rauschendem Wasser, das über dicke, flachpolierte Steine fließt und die Kraft, die es dabei entfaltet, ist ein eigenes, besonderes Naturschauspiel, dem ich stundenlang zuschauen könnte.
Wir klettern weiter und finden uns vor dem kleinen Kröllturm wieder. Bautechnisch umwerfend ist er nicht – es ist halt ein kleiner gerader Turm. Dennoch: Als wir davor stehen und hineingehen – denn das ist ohne Probleme möglich und eine frische Feuerstelle offenbart, dass das hier ein beliebter Treffpunkt unter Einheimischen ist – wallt der Respekt vor einem Bauwerk auf, das so viele Menschen kommen und gehen gesehen hat und immer noch mit einer gewissen Sturheit an seinem Platz steht.
Auch an dem Steinbruch kommen wir vorbei, bevor wir die kleine Runde beenden (nach deren Abstieg ich mich wie eine Bergziege gefühlt habe). Jetzt geht es für uns auch schon wieder nach Hause: Wir packen, stärken uns mit wunderbar leckeren südtiroler Bio-Äpfeln und nehmen eine andere Route als bei der Hinfahrt. Über den Brenner geht es Richtung Deutschland – auch diese Fahrt ist ein visuelles (und maut-technisches) Abenteuer für sich.
In den Instagram Stories habt ihr mich gefragt, ob ich wiederkommen würde. Die Wahrheit ist: Südtirol hat viel, viel zu bieten. Vor allem für die, die gerne Neues entdecken und viel Zeit in der Natur verbringen möchten. Auf jeden Fall komme ich wieder!
(Transparenz: Diese Reise fand auf Einladung statt. Eine weitere Vergütung erfolgte nicht.)
[…] Hier habe ich über nachhaltiges Übernachten in Südtirol und hier über die Bestrebungen des ATLANTIC […]
Hi Jenni, hach ich liebe Südtirol. Ich war mit meinen Eltern als Kind bestimmt 4 Mal da und seither nehme ich mir vor, wieder hinzufahren. Ganz besonders war ich immer vom versunkenen Kirchturm fasziniert. Da wir nächstes Jahr heiraten, habe ich mir schon überlegt, ob wir nicht als Hochzeitsurlaub dahinfahren 🙂
PS: leider hatte ich ein bisschen Probleme beim Anschauen des Beitrags, weil alles sehr langsam geladen hat. Aber vielleicht ist es auch einfach mein alter Laptop, der mit den Gallerien nicht klarkommt. Liebe Grüße Juli
Liebe Juli, ich kann dir das so gut nachfühlen! Ich habe mich im Urlaub auch direkt in die Region verknallt – und jedes Mal, wenn ich sie jetzt im Fernsehen in irgendeiner Doku sehe, denke ich ganz hibbelig: Achja, da war ich! Ach, wie schön! 😀
Das mit dem Heiratsurlaub klingt doch sehr gut – warum eigentlich nicht? 🙂 Das ist ja so eine schöne Gegend, wo man auch mal so richtig runterkommen kann.
Bezüglich der Ladezeit: Jaaaaa, da hast du vermutlich nicht ganz unrecht. Die Bilder sind – obwohl komprimiert – vielleicht ein bisschen zu viel in dem Artikel und ich hätte das alles auf 2 Artikel splitten müssen. Oder weniger Fotos reinpacken – aber ich wollte unbedingt alles zeigen!
Das merke ich mir aber für die Zukunft einmal – danke dir für’s Feedback!
Liebe Grüße an dich!
Jenni
So schöne Eindrücke von Südtirol!! Ich gestehe ja, ich bin ein großer Tirol und Südtirol Fan und aufgrund der Nähe zu München auch öfter dort, bei mir ist es also schon länger angesagt! Gut, ich bin ja auch ein bisschen älter 🙂 Ich war schon länger nicht mehr dort und bei dem Beitrag gleich Sehnsucht, vor allem die Kombi wandern und Orchideenwelt klingt nahezu perfekt 🙂
Liebe Thea,
ich freue mich riesig, dass du dich durch den Artikel gelesen hast und dir die Bilder so gut gefallen! 🙂
Ich war das erste Mal in Südtirol und es hat mich total umgehauen, wie schön es dort ist! Das ist jetzt ganz dick für weitere Urlaube markiert. Es waren wirklich schöne Tage und in der Orchideenwelt hätte ich mich Ewigkeiten aufhalten können! 😀
Auf dass du bald wieder in Südtirol sein kannst!
Ganz liebe Grüße an dich!
Jenni