Habt ihr euch eigentlich auch schon einmal gefragt, wo der Veganismus eigentlich seinen Ursprung hat? Ich zumindest stellte mir diese Frage seit meinem Umstieg immer wieder. Der neueste Hype, der um die vegane Lebensweise gemacht wird, kann ja logischerweise nicht der Ursprung dieser Lebensphilosophie sein – denn nichts anderes ist Veganismus: eine Philosophie. Und diese muss einen (weit zurückliegenden) Ursprung haben.
Ich habe mich auf die Suche begeben und stelle euch daher in diesem Artikel die Geschichte des Veganismus vor.
Der Beginn: Über zweitausend Jahre vor unserer Zeit
Die evolutionäre Entwicklung des Menschen, aktuell auf der Stufe des Homo sapiens sapiens, durchlief eine Reihe verschiedener Stadien der Ernährungsschwerpunkte. Basierend auf der Ausrichtung des Kaul- und Verdauungsapparates ernährten sich die Angehöriger früherer Hominidenarten unter Umständen entweder auf einer pflanzen- oder fleischbasierten Weise. Der nächste Verwandte des modernen Homo sapiens sapiens, der Neandertaler, scheint nach bisherigen Erkenntnissen beispielsweise fast ausschließlich Fleisch konsumiert zu haben, wohingegen frühere Menschenarten (z.B. die Australopithecinen) scheinbar reine Pflanzenesser waren. In der Regel bevorzugte der frühzeitliche Mensch allerdings eine gemischtköstliche Ernährungsform.
“Homo sapiens gehört in seiner Ahnenreihe zu den häufigsten, klassischen Allesfressern. Er – oder besser gesagt „wir“ – sind einem wechselnden Nahrungsangebot angepasst, das heißt aber auch, dass wir wählen, uns frei entscheiden können.” (veganaris.de)
Hier haben wir den Dreh- und Angelpunkt, der schließlich zur Ausprägung des Veganismus führen konnte: Der Homo sapiens sapiens ist die erste Menschenart, die sich frei entscheiden kann, wie sie ihre Ernährung zusammenstellt und mit welchen eventuellen philosophischen und moralischen Fragestellungen sie diese verknüpft.
Veganismus in der Antike
Veganismus bezog sich in der Antike vor allem auf den Verzicht toter Lebewesen und wird daher auch häufig als “leichenfreie Ernährung” bezeichnet. Vor zweieinhalbtausend Jahren entstanden die ersten veganen Philosophien unabhängig voneinander etwa gleichzeitig im östlichen Mittelmeerraum und in Indien. Popularität erlangte die vegane Ernährung in Griechenland durch namhafte Philosophen wie Platon, Pythagoras von Samos, Epikur und Plutarch. Im Zentrum ihrer philosophischen Auseinandersetzung mit anderen Lebewesen stand die nahe Verwandtschaft des Menschen zu ihnen und das daraus resultierende Verbot, Tiere zu Genusszwecken zu konsumieren. Daher verzichteten sie auf sämtliche tierische Produkte. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde über die gesundheitlichen Vorteile einer vegetarisch bis veganen Ernährung diskutiert. Konkurrierend unter anderem mit der Schule der Stoiker sahen sich allerdings bereits die antiken griechischen Veganer* innen dem bis heute andauernden Disput über die Sinnhaftigkeit einer rein pflanzlichen Ernährung ausgesetzt.
Auch der Buddhismus in Indien setzte sich sehr früh mit der Thematik einer tierfreien Ernährungsweise auseinander:
Die Idee des fühlenden Mitwesens „Tier“ trat hier viel deutlicher hervor als in der frühen europäischen Antike. So gehören nach buddhistischer Auffassung Tier und Mensch einer gemeinsamen Wesensklasse an. Das Gebot „Du sollst nicht töten“ bezieht sich hier ursprünglich auch auf Tiere. (veganaris.de)
Hier war der weltanschauliche Schwerpunkt allerdings ein anderer: Beruhend auf asketischen und religiösen Idealen wandten sich buddhistische Mönche nach einer anfänglichen Periode der vollkommenen Ablehnung des Fleischverzehrs doch wieder der Ernährung mit Leichenbestandteilen zu. Die Voraussetzung war und ist allerdings, dass die verzehrende Person das Tier nicht selbst getötet hat. Buddhisten vertraten daher in der Tradition ihres spirituellen Vorbildes Siddharta Glutamat breites früh eher den Vegetarismus als den Veganismus. (Hier sind die Quellen allerdings nicht eindeutig: Während einige davon sprechen, dass der Konsum tierischer Lebensmittel im Buddhismus streng genommen gänzlich untersagt ist, schreiben andere dieser Religion lediglich die Verpflichtung zum Vegetarismus zu.)
Die tiefe historische Verwurzelung des vegetarisch-veganen Gedankenguts ist auch heute noch in Indien spürbar: Aktuell ernähren sich ca. 40% der Inder* innen vegetarisch bis vegan. (Obwohl ihre Zahl aufgrund der fortschreitenden Modernisierung bzw. Verwestlichung des Landes leider rapide abnimmt.)
Veganismus im Mittelalter: Im Verschwinden begriffen
Im christlich-europäischen Mittelalter gab es nicht viel Platz für Tiere, ihre Rechte und dementsprechend vegetarisch bis vegan ausgerichtete Lebensformen. Lediglich Vorläufer- oder Parallelgemeinschaften des Christentums vertraten in den Anfängen der Verbreitung der christlichen Lehre noch eine vegane Lebensphilosophie (unter anderem die Manichäer und die Eustathianer). Mit dem christlichen Leitgedanken vom Menschen als Ebenbild Gottes, dem sämtliches Leben auf dem Planeten zu Diensten gemacht wurde, traten derartige Ideologien allerdings immer stärker in den Hintergrund. Lediglich einige (der katholischen Kirche oppositionellen) Mönchsorden vertraten mehr oder weniger konsequent den Verzicht auf tierische Produkte. In der Regel bezogen sich derartige Verbote allerdings auf den Konsum von Fleisch – Fisch war oftmals erlaubt. Hier entstand die bis heute in der Absplitterung des “Pescetarismus” vertretene (meiner Ansicht nach unlogische) Differenzierung zwischen der moralischen Zulässigkeit von Fleisch- und Fischkonsum. Im Allgemeinen wurde im Mittelalter (wenn überhaupt) vorrangig der Vegetarismus als alternative Ernährungsform zur konventionellen Alles-Esserei betrachtet – ein bekanntes Beispiel (das allerdings bereits am äußersten Rande des Mittelalters und zu Beginn der Renaissance anzusiedeln ist) bildet der Meister-Künstler Leonardo da Vinci.
Die Neuzeit: Renaissance des antiken Tierrechts-Gedankens
Im Zuge der Renaissance wurden die Ideale der griechisch-römischen Antike im 16. und 17. Jahrhundert durch zahlreiche Intellektuelle und Künstler wiederbelebt. Dass man unter anderem auf die eine vegane Ernährung propagierenden Schriften des Pythagoras stieß und sich mit ihrem Inhalt auseinandersetzte, führte zu einem ebenfalls erneuten Aufkeimen des veganen Leitgedankens. Dies geschah allerdings erst an der Wende vom 17. ins 18. Jahrhundert, als humanitäre philosophische Bewegungen sich verstärkt mit der eigenen menschlichen moralischen Verantwortung gegenüber Mitmenschen und Mitlebewesen auseinanderzusetzen begannen.
Doch auch hier lag der Fokus mehrheitlich auf der vegetarischen Ernährung – Veganismus wurde erst später populär. Nichtsdestotrotz wurden die Vertreter* innen eines tierfreundlichen Ernährungskonzeptes “Pythagoräer” genannt. Obgleich sich einzelne Persönlichkeiten für eine pflanzenbasierte Ernährungsweise einsetzten, fristeten sowohl Vegetarismus als auch Veganismus noch immer ein Schattendasein.
Die Moderne: Veganismus im Aufschwung
Die vegane Ideologie, wie wir sie heute kennen, entstand in ihrer derzeitigen Ausprägung erst im 19. Jahrhundert. Jetzt folgte allerdings Schlag auf Schlag: 1801 wurde der erste Vegetarier-Verein in London gegründet, 1847 entstand die weitaus größere und bekanntere Vegetarian Society of the United Kingdom – ins Leben gerufen von Joseph Brotherton. Im Zuge dieser organisatorischen Entwicklungen wurde erstmals bewusst der Begriff des “Vegetarismus” geprägt: Bei der Gründungsveranstaltung der Vegetarian Society of the United Kingdom wurde die Bezeichnung vegetarian offiziell als von der lateinisch-englischen Doppelmotivation vegetus (“belebt”) und vegetable (“Pflanze”) abgeleitet eingeführt und gilt seitdem als Bezeichnung für Personen, die den Verzehr von Fleisch (und Fisch) aus Prinzip ablehnen. Bereits jetzt beeinflussten Vegetarier* innen maßgeblich auch die Ernährungsgewohnheiten der omnivor lebenden Bevölkerung – die industrielle Revolution machte es möglich. So wurden sowohl die Erdnussbutter als auch die Cornflakes Ende des 19. Jahrhunderts wahrscheinlich von Vegetariern erfunden (bei John Harvey Kellogg darf man sich relativ sicher sein, dass er Vegetarier war, denn er propagierte diese Ernährungsform im 1874 erschienen Buch Proper Diet for Men; der Erfinder der Erdnussbutter gilt nicht als gesichert, daher können an dieser Stelle keine verlässlichen Auskünfte über seinen eventuellen Vegetarismus gegeben werden). Angestoßen durch das britische Vorbild entstanden überall in Europa und Amerika vegetarische Verbände und Organisationen.
Der Schritt zum Veganismus war zum Greifen nahe. 1908 wurde die Internationale Vegetarier-Union gegründet. (In Deutschland musste sich der Vegetarierbund im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltung auflösen und wurde erst nach 1945 als Vegetarier-Union Deutschlands wieder etabliert.)
1944 schließlich entstand (wiederum in England) die von Elsi Shrigley und Donald Watson gegründete Vegan Society, die Vereinigung milchfreier Vegetarier, wie sich ihre Gründungsmitglieder damals bezeichneten. Dieses Ereignis wird häufig als Gründungsdatum des modernen Veganismus angegeben. Hier wurde – analog zur vorherigen Prägung des Vegetarismus-Begriffs durch die Vegetarian Society of the United Kingdom – zum ersten Mal und bis heute offiziell geltend der Begriff vegan geprägt: Damit die Ableitung der veganen Ernährung aus dem Vegetarismus auch im Wort deutlich wird, ist vegan lediglich eine Kürzung von vegetarisch:
vegetarian ➔ vegan
Nachdem die vegane Ernährungs- und Lebensform auch danach noch eher eine Angelegenheit einer kleinen Gruppe religiös oder philosophisch motivierter Intellektueller war, rückte sie im Zuge der Umwelt- und Tierrechtsbewegung der 68er- bis 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts stärker in den Fokus der Öffentlichkeit (nicht zuletzt dank moderner Medien). Meilensteine auf diesem Weg waren unter anderem die Gedanken von Peter Singer (niedergeschrieben unter andrem in Animal Liberation), die bis heute kontrovers diskutiert werden.
Sind die Veganer* innen der Moderne häufig auch durch den Tierschutz- und Tierrechtsgedanken motiviert, so kommen seit einigen Jahren vermehrt auch ökologische und gesundheitliche Aspekte als wesentliche Ursachen für einen Wechsel zum veganen Lebensstil hinzu. Klimawandel und das Bewusstsein für eine himmelschreiend ungerechte Nahrungsmittelungleichverteilung überzeugen ebenso wie viele prominente Vorbilder aus Film und Fernsehen für ein Umdenken bezüglich der eigenen Essgewohnheiten.
Und am Ende steht häufig die Erkenntnis:
Die Zukunft isst pflanzlich! (vebu)
Ich habe euch hoffentlich einen kleinen Überblick über die Ursprünge und die Entwicklung des Veganismus, wie wir ihn heute kennen, geben können.
Habt ihr noch Ergänzungen und Anregungen? Oder einfach ein paar Gedanken, die ihr gerne zum Thema loswerden möchtet? 🙂
[…] Geschichte des Veganismus […]
[…] Dieses Vegan gibt es doch sicher erst seit den letzten zehn Jahren, vorher hat das ja niemand gekannt! Falsch. Wie alt die vegane Bewegung ist und woher sie kommt. […]
Toller und super informativer Artikel! Ich konnte tatsächlich noch einiges lernen 😉 Echt spannend, wo das ganze seinen Ursprung hatte. Und ich bin gespannt auf die Zukunft!
Liebe Grüße
Lena | http://www.healthylena.de
Danke für deine lieben Worte! Es freut mich, dass ich dir einige neue Informationen bieten konnte. Ich bin auch sehr gespannt, wie sich das in der Zukunft noch entwickeln wird. Vielleicht erleben wir ja noch die Veganolution. 😉
Liebe Grüße zurück!
Jenni