Seit ein paar Wochen macht ein gewagtes Experiment von sich reden: Ein paar junge, engagierte Menschen möchten 90.000 andere Menschen zusammentrommeln, sich mit ihnen im größten Gebäude, das die deutsche Hauptstadt zu bieten hat (das Berliner Olympiastadion) treffen. Und dort im Sekundentakt Petitionen verabschieden, die mindestens ein deutliches Zeichen an die Politiker*innen senden und im besten Fall dazu beitragen, die Politik hierzulande maßgeblich zu verändern.
Anmerkung: Die Bilder im Artikel sind vom letzten großen Klimastreik am 29.11. Fridays for Future ist nicht gleich 12/06/2020 Olympia und steht nur beratend zur Seite. Das waren allerdings die passendsten Bilder für das Thema, die ich zur Verfügung hatte (wer mich kennt, weiß, dass ich Stock-Fotos hasse).
12/06/2020 Olympia: ein Aufruf, sich nicht einverstanden zu erklären
Als die Nachricht auf den sozialen Medien das erste Mal rumging, war ich – unter anderem auch durch das Schauen des durchaus professionellen Kampagnen-Videos – elektrisiert. Was für eine Idee! Warum war da eigentlich noch niemand vorher drauf gekommen?
Ich teilte den Aufruf, sich Tickets zu besorgen, umgehend – so, wie viele meiner Kolleg*innen ebenfalls. Das kann nur gut werden, das kann nur gut sein!, dachte ich.
Dann passierte bei mir das, was bei den meisten Rezipient*innen auch passiert ist: Ich habe mich zurückgelehnt, das Ganze auf mich wirken lassen, versucht, eine distanziertere Perspektive einzunehmen und mir ein paar Fragen gestellt: Wer macht das? Warum wird das gemacht? Wer profitiert? Wer ist inkludiert, wer ausgeschlossen und warum? Und: Ist die Idee überhaupt so gut, wie ich zuerst annahm?
Diese Gedanken habe ich mir natürlich nicht als Einzige gemacht. Unmittelbar nach dem Launch der Kampagne auf Startnext und den ersten Medienauftritten der Initiator*innen hagelte es viel Lob, Zuspruch und Anerkennung – aber eben auch extrem viel Kritik, teilweise deutlich unter der Gürtellinie formuliert, wie das im Netz eben so üblich geworden ist, leider.
Credits: Kerstin Musl
Kritik: ein riesiger PR-Gag, Gehirnwäsche gibt’s gratis dazu
Hinter dem Event steht unter anderem das Kondom-und-Menstruationsprodukte-Startup einhorn, das schon seit langer Zeit mit politischem Aktivismus auffällt und sich damit in einer Reihe mit Social Entrepreneurs wie Original Unverpackt, Soulbottles oder The Female Company wiederfindet.
Beratend stehen Fridays for Future sowie die Scientists for Future zur Seite. Luisa Neubauer tritt im erwähnten Kampagnen-Video auf und bewirbt das Projekt auch im Folgenden auf ihren Social-Media-Kanälen, was unter Follower*innen für Verwirrung bis Ärger sorgt(e), der sich nicht unwesentlich an der Beteiligung eines Unternehmens an einem so gewaltigen politischen Vorhaben entzündet. Sie habe sich vor den Karren spannen lassen, um eine Firma, die überteuerte Hygieneprodukte im Hipster-Design verkaufe, zu boosten, heißt es. Und das sind noch die freundlicheren Kommentare.
Die weniger freundlichen beziehen sich auf den Ort der Veranstaltung: Das Berliner Olympiastadion hat eine wenig rühmliche NS-Vergangenheit, Hitler ließ hier, wie der Name schon sagt, die Olympischen Spiele 1936 veranstalten. Diese historische Verbindung zu einem neuen politischen Massen-Event reicht manchen schon aus, um 12/06/2020 Olympia als “Holocaust-Relativierung” zu diffamieren (und dabei Einzelpersonen bei Extinction Rebellion und Fridays for Future zu verwechseln) und gehirnwäscherische Tendenzen á la “Die Welle” zu unterstellen.
Den Subtext übersetzt (und ein bisschen pointiert), wird damit gesagt: Hilfe, die Ökos sind außer Kontrolle! Die Diktatur der Grünen, sie kommt nun doch!
Noch mehr Kritik: Wohlstandsaktivismus, Elitenparty und Klicktivismus
Thematisiert wird in der Auseinandersetzung außerdem vor allem die Tatsache, dass die Teilnahme an dem Event 29,95€ kostet. Das ist der Ticketpreis, um ins Stadion zu gelangen.
12/06/2020 Olympia hat in einem FAQ auseinandergenommen, woraus der sich zusammensetzt und betont immer wieder: Alle Beteiligten, zu denen mittlerweile deutlich mehr als nur Personen aus dem einhorn-Team gehören, machen das pro bono. Also: kostenlos. Ehrenamtlich.
Dennoch ist auch bei mir ein schaler Beigeschmack zu vernehmen und ich kann alle verstehen, die von Wohlstandsprenzlauerbergaktvismus schreiben und in 12/06/2020 Olympia vor allem ein zentrales Problem von Klimabewegungen wie Fridays for Future kulminiert sehen: Das Ganze ist eine ziemlich privilegierte Kiste von weißen, jungen Menschen, die aus der Mittelschicht stammen.
Knappe 30€ schließen auch zu viele Menschen aus, um sich als Event “Bürger*innenversammlung” nennen zu können, wie das zunächst der Fall war. Mittlerweile wurde das korrigiert, auch aus rechtlichen Gründen, und die Veranstaltung ist jetzt als “Demokratie-Event” gelabelt.
Der Preisvorwurf, den ich zunächst auch im Fokus hatte, ignoriert allerdings zwei wesentliche Aspekte:
- Es gibt die Möglichkeit, Soli-Tickets zu kaufen und damit anderen die Teilhabe am Event zu ermöglichen (auch, wenn man selbst nicht hingeht). Derzeit sind fast 10.000 Soli-Tickets vorhanden, die vor der Veranstaltung verlost werden.
- Um die Petitionen zu unterzeichnen, muss man nicht zum Event fahren. Das kann man wie gehabt online von zuhause oder unterwegs aus tun.
Der zweite Punkt scheint mir fast noch am wichtigsten zu sein und ist, erzählt mir auch Markus Wörner, er ist Pressesprecher bei 12/06/2020 Olympia, im Telefoninterview.
Interview mit Markus von 12/06/2020 Olympia
Ich verabrede mich also mit Markus am Telefonhörer. Und frage vorher noch einmal nach, wie viel Zeit er denn so mitgebracht hat, weil ich schon mit vielen Fragen in die Recherche gestartet und mit noch mehr wieder rausgekommen bin. Markus hat mindestens eine halbe Stunde, das ist gut.
Fangen wir ganz basic an: Kannst du noch einmal erklären, was 12/06/2020 Olympia genau ist – für alle, die bisher nicht davon gehört haben?
Markus: 12/06/2020 Olympia ist eine Veranstaltung, die die Spitze des Eisbergs ist. Es geht eigentlich um viel, viel mehr. Es geht darum, im Vorhinein gemeinsam Petitionen zu erarbeiten und so etwas wie politisches Wirken anzustoßen, an dem super viele Leute teilhaben können. Und dann an diesem Tag gemeinsam viele Petitionen zu verabschieden, die positive Agendapunkte an die Politik senden. Aber das Wichtige ist, dass wir an diesem Tag ein paar Menschen eine Bühne geben wollen, die schon viele Lösungen haben und sich lange politisch engagieren, aber sehr wenig gehört werden.
Wie funktioniert das konkret? Wie muss ich mir das vorstellen?
Markus: An dem Tag selber werden wir natürlich keine Diskussion darüber führen, welche Petitionen drankommen. Wir haben jetzt die Crowdfunding-Phase, die noch geht bis zum 24. Dezember. Wenn sie erfolgreich abgeschlossen ist (und davon gehe ich jetzt immer noch aus), gehen wir in die Arbeitskreise hinein. Da geht es dann konkret darum, die Petitionen auszuarbeiten.
Das machen wir zusammen mit der Community – also, wer teilhaben möchte, darf gerne mitmachen – und zusammen mit NGOs und Scientists for Future, die das wissenschaftlich und von fachlicher Perspektive unterstützen. Dann gehen diese ganzen Petitionen in Richtung Petitionsausschuss – denn man muss sie natürlich vorher beantragen. Die Petition ist dann minimal 30 Tage online (natürlich nicht nur einen Tag). Das heißt: Man wird sich die natürlich vorher angucken können und auch vorher Informationen sammeln können.
Es ist wichtig, dass das im Januar schon beginnt, weil die Arbeit an einer Petition, das Formulieren und das Einbringen einen relativ langen Zeitraum in Anspruch nimmt.
Ich habe gerade rausgehört – du bist zuversichtlich, dass das Crowdfunding zustande kommt?
Markus: Ja, wir haben schon noch einen ordentlichen Brocken – aber wir hatten einen sehr, sehr guten Start. Was auch normal ist: Ein typisches Crowdfunding hat in der ersten Woche einen riesigen Peak, dann flacht es sehr stark ab und dümpelt ein wenig vor sich hin und kurz vor Schluss geht es dann nochmal nach oben. Das ist ganz normal.
Wir haben uns natürlich ein sehr sportliches Ziel gesetzt, das ist uns völlig klar, aber wir glauben voll daran, dass es noch funktioniert und haben auch in den letzten zwei Tagen nochmal richtig was gesammelt. Wir merken: Jetzt werden viele Leute wieder aktiv und aktivieren auch nochmal ihre Community. Deswegen sind wir da gerade auf einem sehr guten Stand.
Wir sind zwar von der 1,8 Million noch ein ganzes Stück weit entfernt – aber wenn man sich das jetzt schonmal anschaut, haben wir auf Startnext mittlerweile die meisten Nutzer, die jemals registriert waren. Das ist also auch nach jetzigem Stand schon ein sehr erfolgreiche Kampagne. Sie hat nur ein sehr ambitioniertes Ziel. Aber das ist voll drin.
Gesetzt den Fall, das Crowdfunding wäre nicht erfolgreich – wäre es dann trotzdem auf eine andere Form für euch erfolgreich? Was passiert, wenn es „scheitern“ sollte?
Markus: Ich glaube, wir haben jetzt schon eine sehr erfolgreiche Kampagne daraus gemacht. Allein, wenn man sich anschaut, was in den letzten 2 Wochen alles diskutiert wurde und wie viele Themen schon auf den Tisch gebracht wurden – von „Wie darf man Demokratie leben?“, „Was ist in Ordnung?“ bis hin zu den Diskussionen um Social Businesses – da ist eine riesige Debatte angestoßen worden, die an sich schon total positiv ist.
Und das allein ist ein Riesenerfolg. Wenn wir nicht die 1,8 Millionen erreichen, ist es natürlich so, dass jeder sein Geld zurückbekommt, das heißt, das Event wird es dann an sich nicht geben.
Aber deshalb enden unsere politische Arbeit und unser Engagement nicht. Das ist unser Wert und der Kern von dem, was wir leben. Wir werden weiter Sachen erarbeiten und uns engagieren – das wird also nicht aufhören.
Ich glaube außerdem: Wir haben mittlerweile eine Community von Leuten aufgebaut, die sich wahnsinnig dafür interessieren. Und diese Leute werden ihr Engagement auch nicht von heute auf morgen beenden, sondern weitermachen.
Es gab ein extremes Medienecho, sowohl positiver als auch negativer Art. Da sind dann auch ziemliche Kampfbegriffe gefallen: Ihr wäret größenwahnsinnig und wollt quasi als Unternehmen euch mit einem Event als Revolutionäre inszenieren – Weltrettung zum Ausverkauf. Das geht natürlich alles stark in die Richtung: „Wie definieren wir Unternehmen und welche Rolle spielen Unternehmen in unserer Gesellschaft?“ Was für eine Haltung habt ihr dazu – wo seht ihr euch da?
Markus: Mich hat es einerseits überrascht, auf der anderen Seite aber auch wieder nicht. Mir ist völlig klar: Wenn ein Unternehmen sowas macht, wird das sehr kritisch beäugt. Ich dachte aber mittlerweile auch, dass wir soweit wären, dass wir das machen dürfen.
Gerade als soziale Unternehmer sind wir eine Company, die zeigen möchte: Unternehmen sind nicht unbedingt Problemverursacher, sondern können auch Problemlöser sein. Wir möchten Problemlöser sein. Positive Akzente setzen und Verantwortung übernehmen für die Dinge, die gerade falsch laufen – und alles in eine andere Richtung lenken. Das ist eine Verantwortung, die wir der Gesellschaft gegenüber haben.
Dass das, wenn man uns nicht kennt oder uns nicht kennenlernen möchte, nicht sofort klar ist, das verstehe ich. Generell ist man natürlich kritisch, wenn ein Unternehmen sowas macht. Aber ich glaube, es ist wahnsinnig wichtig, dass Unternehmen so etwas tun. Ansonsten windet man sich ganz schnell aus der Verantwortung: Naja, wir sind ein Unternehmen und als Unternehmen haben wir Gewinn zu machen und alles andere hat uns nicht zu interessieren.
Aber das ist genau die falsche Einstellung. Als Unternehmen ist man eben auch ein großer Teil dieser Gesellschaft und der Dinge, die gerade passieren – der Klimakrise, der sozialen Probleme…Das sind alles Themen, auf die Unternehmen in großem Maße einwirken und deswegen muss man da Verantwortung übernehmen.
Waldemar und Philip, Gründer von einhorn / Credit: Verena Brandt
Davon abgesehen ist es so, dass viele Unternehmen und Großkonzerne politischen Einfluss nehmen. Das passiert in der Regel hinter verschlossenen Türen, weil es Eigeninteressen sind, die man da vertritt. Wir machen das total transparent und setzen uns für was Positives ein, was überhaupt nicht gewinn- oder unternehmensorientiert ist. Das ist erstmal neu und etwas, das in der Größe noch gar nicht da war.
Es ist etwas Experimentelles und das wirkt auf viele Menschen sehr seltsam. Aber das muss man dann immer wieder erklären und ich denke, wir sind eine sehr transparente Gruppe, die man gut kennenlernen und bei denen man auch mal reingucken und sehen kann: Aha, okay, so ticken die.
einhorn wird Ende des Jahres beispielsweise eine Purpose Company, das heißt: Eine Company, aus der keine Gewinne rausgezogen werden dürfen und die nur sich selbst gehört, die nicht vererbbar ist. Das ist ein großes Zeichen: Das hier ist eine andere Art des Wirtschaftens.
Also, du sagst im Prinzip: Die Annahme, dass man Wirtschaft und Politik voneinander trennen kann, ist im Endeffekt und angesichts von Lobbyismus und dem ganzen Kram, der hinter verschlossenen Türen passiert, ziemlich naiv. Und wir drehen den Spieß jetzt quasi um.
Markus: Ich weiß nicht, ob ich es naiv nennen würde, aber: Faktisch passiert es ja. Super viele Unternehmen haben politischen Einfluss. Und das ist den Menschen bewusst, es wird nur heimlich gemacht.
Wenn sich Unternehmen für etwas sozial Positives engagieren, dann setzt das ein Zeichen: Hey, wir müssen als Unternehmen auch mal Verantwortung übernehmen und nicht immer nur auf unsere eigenen Interessen gucken. Das ist erstmal ein positiver Wandel, wenn der stattfindet.
Es ist vollkommen klar, dass man da dann auch drauf gucken muss: Ist das wirklich so oder geht es hier nur um Greenwashing? Aber ich kenne sehr viele Unternehmen, die wirklich so sind und wir sind eines davon.
Wenn sich Menschen engagieren, dann ist das etwas, mit dem man viel erreichen kann – wenn alle Unternehmen morgen so ticken und sagen würden: Ja, wir machen das, wir übernehmen soziale Verantwortung und setzen uns für positive Dinge ein – dann könnten wir auf der Welt sehr viele Dinge verbessern.
War also von Anfang an quasi klar, dass einhorn mit 12/06/2020 Olympia verbunden sein muss und das kein separates Ding werden kann?
Markus: Das war in dem Sinne gar keine bewusste Entscheidung. einhorn hält nur dafür her.
Der Punkt ist nämlich: Wenn man so ein Olympiastadion mieten möchte – und unser Fundingziel sind aktuell 1,8 Millionen –, das ist eine unheimlich hohe Summe. Und niemand schließt mit einer Privatperson derartige Verträge. Du brauchst irgendeine rechtliche Entität, die dafür haften kann. Das macht einhorn – es ist ein bisschen das Mittel zum Zweck. Weil jemand da sein muss, der so ein rechtliches Konstrukt hat, ein solventes Unternehmen ist und in der Lage ist, diese Verträge zu unterschreiben – sonst funktioniert das Ganze gar nicht.
Wir haben aber auch von Anfang an gesagt, dass das keine einhorn-Veranstaltung ist. Klar, da arbeiten Leute von einhorn mit rein, und die tun das auch sehr aktiv und mit sehr viel Leidenschaft. Aber es gibt auch einhorn-Mitarbeiter, die nicht viel mit Olympia zu tun haben. Das Olympia-Team ist viel größer: Wir haben sehr viele Helfer mittlerweile, die mit reinkommen und in der Crowdfunding-Zentrale mitarbeiten. einhorn ist ein Teil von Olympia, aber einhorn ist nicht Olympia.
Wenn man euch ein bisschen verfolgt und schaut, was ihr auch auf Social Media so macht, dann fallen da oft Begriffe wie „lösungsorientiert“ und „konstruktiv“. Und ihr sprecht auch oft von „Utopien“. Kannst du kurz umreißen, wie eine Utopie für euch konkret ausschaut?
Markus: Boah, das ist sehr schwer zu beantworten!
Man muss vielleicht verstehen, wie wir da herangegangen sind. Der Punkt ist: Diese Lösungsorientierung steckt komplett in der Sache drin. Weil wir gesagt haben, wir wollen mit einhorn – und das ist so schade, dass wir immer über einhorn jetzt reden, weil es eigentlich um Olympia gehen soll – nicht nur Problemverursacher sein, sondern auch Probleme lösen. Das bedeutet auch, sich für etwas Positives einzusetzen. Wir nennen das Unfuck the Economy, weil es super viele Sachen gibt, die abgefuckt sind.
Unter anderem die Wirtschaft und wie sie den Planeten ausbeutet und sehr viel kaputt macht, nur für reine Gewinnorientierung. Das ist super abgefuckt. Und wir glauben, dass das nicht nötig ist.
Man kann mit Unternehmen eine Wirtschaft aufbauen, die eben nicht ausbeuterisch ist. Die nicht die Mitarbeiter ausbeutet, die nicht die Umwelt ausbeutet, sondern die sozial verantwortlich vorgeht und auch so existiert. Und genau das ist eben gerade nicht der Status Quo.
Ich denke aber, dass wir eine Gesellschaft bauen können, in der genau das möglich ist.
Was entgegnet ihr dem Vorwurf: Dann begebt euch doch in die Politik, bewerbt euch um ein Mandat, schaut, dass ihr in die Parteien kommt und die Sachen von innen heraus verändert? Provokativ gefragt: Wozu braucht man ein Event wie dieses?
Markus: Das sind zwei unterschiedliche Dinge.
Klar kann jeder in die Politik gehen oder eine NGO gründen und die sind auch alle super und voll geil. Aber uns geht es ja eben darum zu zeigen, dass Unternehmen nicht böse sein müssen. Wir wollen zeigen: Ja, Unternehmen können sozial verantwortlich handeln, das ist die Idee dahinter. Wenn wir das nicht machen würden, würden wir nicht beweisen, dass Unternehmen anders denken und Verantwortung übernehmen können.
Trotzdem ist es so, dass wir uns viel engagieren. Wir haben jetzt keine Partei gegründet oder so – aber wir sind bei jedem Klimastreik dabei und generell politische Menschen, die sich für diese Themen interessieren und sich eben auch in ihrem Feld engagieren. Uns ist nur wichtig, das auch als Unternehmen zu tun.
Wenn man das komplett trennen würde, ist man auch schnell in dieser Schwarz-Weiß-Sicht drin: Wenn man ein Unternehmen ist, darf man sich nicht politisch positiv engagieren, weil man ein Unternehmen ist. Und das ist, glaube ich, genau falsch. Weil wir alle Akteuere in diesem gesellschaftlichen Thema sind und dann muss man sich als Akteur auch eingestehen, dass man Verantwortung hat und die auch übernehmen.
Als Unternehmen muss man sich aus meiner Perspektive auch sozialpolitisch engagieren, das ist gewissermaßen eine Pflicht.
Kurz zur Sache mit den NGOs und den lokalen Vereinen: Das war ja auch ein sehr prominenter Vorwurf – dass gesagt wurde: Das Geld, was ihr jetzt braucht oder bekommt, gekoppelt natürlich auch mit dem Vertrauen, das euch entgegengebracht wird – das kann man ja auch in die Obdachlosenhilfe, in die Caritas im Nachbardorf oder in meinem eigenen Dorf zur Stärkung der lokalen Communities stecken. Grabt ihr NGOs und gemeinnützigen Vereinen das Wasser ab?
Markus: Ganz im Gegenteil. Wir wollen ja genau diesen Akteueren bei 12/06/2020 Olympia eine Bühne geben. Olympia ist noch einmal etwas Neues, etwas Zusätzliches, um zu zeigen: Man kann mehr machen.
Wir hatten Fridays-for-Future-Demos, da waren 1,4 Millionen Leute auf der Straße. Und dann kriegt man so ein Mini-Klimapäckchen. Das ist ja schon super viel – aber anscheinend noch nicht genug. Wir müssen also neue Wege finden, aufzuzeigen: Da kommen 90.000 Leute im Olympia-Stadion zusammen, um gemeinsam Lösungen zu finden und setzen eben damit auch ein wahnsinniges Zeichen.
Was wir genau nicht machen wollen, ist irgendwem etwas abzugraben – wir wollen den NGOs eben diese Bühne dort und diese Reichweite geben. Um zu zeigen, was die Lösungen sind und an was gerade gearbeitet wird.
Wir finden da gerade einen Weg, in dem wahnsinnig viel Potenzial steckt – das muss man auch ein bisschen ausprobieren. Die Gefahr dabei ist sehr gering. Ich finde es ein bisschen witzig, dass die 1,8 Millionen gerade schon neu verteilt werden, wenn wir die noch nicht einmal haben. Das Geld ist nicht einmal da, aktuell. Wenn es nicht funktioniert – dann haben wir schlimmstenfalls eine große Veranstaltung gemacht. Aber die findet jede Woche im Olympiastadion statt. Ein Fußballspiel oder ein Konzert, das genauso viel kostet. Das Potenzial, etwas Demokratisches und was Politisches zu machen mit diesem Geld, das ist riesig.
Ich möchte noch einmal auf den Emotions-Komplex in dieser Geschichte eingehen. Da gibt es ja auch mehrere Dimensionen – auf der einen Seite hast du gerade schon den Ort angesprochen. Der hat Anlass zu Kritik gegeben – vor allem bezogen auf die Tatsache, dass da jetzt eine Veranstaltung mit ganz viel Bewegung und Emotionen und Gruppenfeeling stattfinden soll. Das lässt bei vielen Leuten natürlich die Alarmglocken klingeln. Wie steht ihr mittlerweile dazu? Ihr meintet anfangs, das wäre gar nicht eure Intention gewesen oder ihr hattet die politische Dimension auch gar nicht so auf dem Schirm…
Markus: Ne, ganz im Gegenteil. Im Olympiastadion, habe ich vorhin ja auch schon gesagt, findet jede Woche ein Event statt – von Fußballspiele über Konzerte bis hin zu allem möglichen. Und das ist kein Problem, unser Event aber schon. Ich finde es eher positiv, wenn da ein Gegenpunkt aufgemacht wird und eine Veranstaltung, die komplett dagegen steht und die demokratisch ist, dann auch in so einer Location stattfindet.
Wo du das mit der Demokratie gerade ansprichst… Wenn man sich jetzt die Petitionen vorher angeschaut hat und dann dahinfährt und im Idealfall mit 90.000 Menschen, die im Sekundentakt Petitionen durchballern, in der Gruppe steht – Stichwort Gruppendynamik: Habt ihr euch damit auseinandergesetzt, dass da dann auch psychologische Zwänge wirken können? Und Leute dann Dinge unterzeichnen, über die sie sich nicht ausreichend informiert haben – weil sie nicht wussten, wo sie die Informationen finden oder aus Faulheit oder whatever – oder vielleicht auch Sachen unterzeichnen, die sie gar nicht unterzeichnen wollen? Inwiefern kann man das dann als demokratisch bezeichnen?
Markus: Zum einen ist eine Petition ja ein sehr demokratisches Tool, das es ohnehin schon gibt. Es werden sehr viele Petitionen eingereicht, das ist nichts Neues. Deswegen überrascht mich der Vorwurf auch immer ein bisschen: Für alle Petitionen werden Kampagnen gefahren und Communities aktiviert, um die Sache durchzubringen und das ist richtig und ein Agendapunkt, den man setzt.
Was wichtig zu verstehen ist: dass diese Sachen nicht an diesem Tag ausgehandelt werden. Ganz im Gegenteil: Wir haben ein komplettes halbes Jahr Vorlauf, in dem wir unsere ganzen Inhalte und den Ablauf transparent machen werden und jeder weiß vorher, wenn er da reinkommt, was die Petitionen und Inhalte sind. Faulheit würde ich den Leuten da jetzt nicht unterstellen. Wenn sich jemand aktiv ein Ticket kauft und hinfährt und sagt: Ich will da teilhaben, dann gehe ich stark davon aus, dass sich die Menschen im Vorfeld informieren, was sie tun.
Und das ist ja auch ganz einfach möglich: Die E-Petitionsseite ist ein Tool, welches dauerhaft zur Verfügung steht und Petitionen online verfügbar macht. Die Petitionen für 12062020 kommen dann einfach dazu. Aber das wird alles länger vorher bekannt sein. Man hat genug Zeit, sich zu informieren und bewusste Entscheidungen zu treffen.
Davon abgesehen, sind die Petitionen auch außerhalb des Stadions natürlich voll mitzeichenbar. Man kann auch zuhause sitzen und die Petition mitzeichnen, das ist alles offen.
Also ist eine Anwesenheit beim Event nicht erforderlich?
Markus: Ich habe teilweise Sätze gelesen wie: Man dürfe nur mitbestimmen, wenn man 30€ für das Ticket gezahlt hat. Das ist natürlich total falsch.
Jeder darf an der Petition mitstimmen, weil das eine ganz normale E-Petition ist, wie sie tagtäglich eingereicht wird. Und da kann jeder mitmachen – völlig egal, ob er in Berlin sitzt oder in Bottrop oder wo auch immer. Das ist nicht begrenzt.
Diese Veranstaltung dient dazu, dass man sich dort austauscht, dass man dort mit den Menschen sprechen kann. Aber diese ganzen Petitionen, die verabschiedet werden, dazu braucht es das Event im Prinzip nicht. Die kann man auch so einreichen.
Nach welchen Kriterien sucht ihr die Leute aus, die dann auf die Bühne kommen und denen ihr den Raum gebt? Wer kommt da infrage?
Markus: Das wissen wir noch nicht. Das ist auch ein Prozess, der in den nächsten 6 Monaten mit der Community erarbeitet werden soll. Das ist genau wie bei den Petitionen: Wir geben keine Petitionen vor. Das machen wir nicht. Dazu haben wir die Scientists for Future, die beratend zur Verfügung stehen, alles aus wissenschaftlicher Perspektive beurteilen, und die NGOs. Damit möglichst viele Leute dran teilhaben können.
Ich muss sagen: Als ich am Anfang davon gehört habe, war ich sofort total euphorisch und dachte: Boah, da kann man echt was reißen, das ist eine neue Perspektive und eine neue Art, das ist motivierend, das ist geil. Aber dann habe ich natürlich auch die erste Welle an Kritik mitbekommen, die durchs Netz geschwappt ist und hatte dann das Bedürfnis, nochmal genauer nachzuhaken, weil da ja doch scheinbar viele Fragen offen waren…
Markus: Ich glaube, das ist auch ein wichtiger Punkt: dass es da viele Missverständnisse gegeben hat oder Dinge, die nicht ganz klar waren. Und natürlich: Wenn man sich nicht wirklich einliest und sich wirklich mit der Materie beschäftigt – wenn mir dann jemand erzählen würde, man muss 30€ Eintritt zahlen, um eine Petition zu unterschreiben, würde ich auch sagen: Du hast einen an der Klatsche.
Aber das ist halt nicht richtig. Das muss man immer wieder klarstellen.
Ich habe das Gefühl, dass das alles so langsam umschwingt. Es gab ja diese berühmten Jan-Böhmermann-Tweets, der sich über das Sozialunternehmertum ausließ, aber auch der ist ja jetzt – ich weiß nicht, ob du Fest und Flauschig hörst – zurückgerudert und meint: Er versteht die positive Intention und er dürfe das alles gar nicht beurteilen. Er hat seine Kritik relativiert.
Und ich merke: Jetzt, wo das Thema ein bisschen mehr besprochen worden ist, kommt mehr Verständnis. Leute sagen: Ah, okay, da ist vielleicht auch viel Kritik vorschnell geübt worden und das geht alles ein bisschen tiefer, man muss sich nur damit auseinandersetzen. Viele Kritiker sind wieder zurückgerudert – es gab Medien, die am Anfang nicht gut über uns berichtet haben, aber dann positive und gut recherchierte Artikel geschrieben haben, nachdem sie uns besucht haben.
Wir merken, dass das sich ändert und dass die krasse Kritik am Anfang dem schnellen Texten von reißerischen Headlines geschuldet sein könnte.
Du hast ja gerade gesagt, du hast super viel erklärt und mit ganz vielen Leuten gesprochen. Was hättest du dir gewünscht – welche Fragen hätte man mal stellen sollen, hat sie aber nie gestellt, was 12/06/2020 Olympia angeht?
Markus: Ich fand es ein bisschen schade, dass gar nicht nach dem Potenzial gefragt wurde, das diese Veranstaltung hat – allein schon wegen der Themen, die sie auf den Tisch bringt.
Da steckt so eine Riesenchance hinter – und ich fand’s schade, dass nur gefragt wurde, wo die Problematik ist oder warum das nicht funktionieren kann. Warum der Handymast vielleicht nicht standhält oder so. Anstatt zu fragen: Was kann man denn da tatsächlich machen? Wie kann ich mich einbringen und wie können wir alle gemeinsam daran arbeiten?
Und wenn es nicht funktioniert, haben wir, wie gesagt, eine große Veranstaltung gemacht, so wie in Berlin tagtäglich sehr viele große Veranstaltungen stattfinden. Aber wenn wir es schaffen, da wirklich etwas zu kreieren, dann haben wir es geschafft, zu zeigen, dass man coole Großveranstaltungen positiv aufladen und dass man sich da demokratisch mit beschäftigen kann.
Das wollen wir eigentlich: dass alle Menschen politisch aktiv werden und sich einbringen und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Da hätte ich mir ein paar mehr Fragen in die Richtung gewünscht: Was ist da alles möglich? Anstatt immer das Haar in der Suppe zu suchen.
Out of the box denken.
Markus: Ja! Es ist ganz klar: Wenn Leute so eine Veranstaltung machen, ist das neu. Das hat noch nie jemand so in der Form vorher gemacht, wir natürlich auch nicht. Das ist für uns auch ein Experiment. Aber eben eines, in dem ein Riesenpotenzial steckt.
Wobei das alles wieder so negativ klingt – wir kriegen auch täglich viele E-Mails von Leuten, die sagen: Boah, das ist supergeil, was ihr da probiert und ich will da mithelfen und teilhaben. Wir bekommen wahnsinnig viele positive Rückmeldungen.
Hast du gerade das Gefühl, dass sich da was bewegt? Ich habe den Eindruck, ihr seid mit 12/06/2020 Olympia gerade zum richtigen Zeitpunkt um die Ecke gekommen und das könnte jetzt nochmal eine Bombe legen.
Markus: Ich glaube, dass das gerade unheimlich viel passiert und sich da viele junge Leute engagieren und das ist super cool zu sehen. Es ist richtig, dass jeder versucht, das zu machen, was er kann. Ich bin großer Freund von Entrepreneurs for Future und Scientists for Future und Parents for Future – da gibt es so viele Gruppen, die sich gerade engagieren. Und wir wollen ein Teil davon sein und unseren Beitrag leisten und supporten, damit das auch vorangeht.
Ich danke dir herzlich für deine Zeit und deine Geduld!
Was Neues wagen: schwierig hierzulande
Was in der ganzen Auseinandersetzung mit 12/06/2020 Olympia deutlich geworden ist und Markus auch im Interview immer wieder angesprochen hat: Das Ganze ist ein Versuch. Ein Experiment, ein Wagen von etwas Neuem, das es bisher so, in dieser Form und mit diesem Anlass noch nie gegeben hat. Und da haben sich dann ein paar Menschen, die ja: privilegiert sind und sich dessen bewusst sind, hingesetzt und beschlossen, ihre Privilegien so einzusetzen, dass möglichst viele Menschen in diesem Land (und auf dieser Welt, wenn wir an Klimagerechtigkeit denken) davon etwas haben.
Das kann man dumm oder naiv oder verrückt oder alles zusammen finden – meine bescheidene Ansicht: Wenn man keine bessere Alternative hat (und die hat die aktuelle Politik seit Jahrzehnten nicht), dann braucht es vielleicht gerade solche Happenings, Politik als Event, um Menschen zu mobilisieren und ins Denken zu bringen.
Und: Deswegen kann man trotzdem noch auf Demos von FFF gehen und bei Extinction Rebellion aktiv sein. Vielleicht wird es Zeit, zu begreifen: Es gibt nicht die eine Lösung für den krassen Wandel, den vor allem die westlichen Gesellschaften aktuell vollziehen müssen. Sondern verschiedene Ansätze, die sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern voneinander lernen und profitieren können.
Unabhängig davon, ob 12/06/2020 Olympia stattfindet oder nicht: Allein die Diskurse, die das Projekt aufgemacht hat, sind Gold wert. Das medienweite Gezeter von “Klicktivismus” (Christopher Lauer) und Das-bringt-doch-sowieso-nichts entspricht, pardon, genau dem veralteten Zeitgeist, dem wir als Gesellschaft viele der aktuellen Probleme zu verdanken haben.
“Weiter so” als Alternative?
Angesichts von immer dringlicherem Zeitdruck (10 Jahre nach Stand der aktuellen Prognosen) verzichte ich dankend und schaue, was die Revolution im Eventformat zu leisten vermag.
Noch eine Anmerkung: Bei 12/06/2020 Olympia geht es sehr viel, aber nicht nur ums Klima. Weil soziale Faktoren, Fragen von Geld und Macht und Verteilung, Diskriminierung, Rassismus und so weiter ebenfalls wichtig sind und alles miteinander zusammenhängt, werden auch das Themen der Petitionen sein.
Hier geht es zu mehr Informationen rund um 12/06/2020 Olympia:
- Petitions-Seite
- FAQ-Seite (für alles, was hier keinen Platz gefunden hat)
- Offizielle Website
- Instagram-Kanal
- Telegram-Info-Chat
Toll, dass du das Wort “Kapitalismus” (eine der Hauptkritiken) nicht 1x erwähnst.
Die Kritik ist weit fundierter, als du es hier darstellst. Sie ist vernichtend.
Hi Jack,
kannst du genauer ausführen, was du damit meinst?
Liebe Grüße
Jenni
Hallo Jenni,
guter Artikel, vielen Dank! Ich hab schon letzte Woche Solidaritätstickets gekauft und hoffe sehr dass die Sache klappt!
Liebe Steffi,
vielen Dank dir für deine Rückmeldung – und super, dass du Soli-Tickets gekauft hast!
Ich hoffe auch sehr, dass es erfolgreich wird und fiebere gerade sehr mit!
Liebe Grüße
Jenni