Ich dachte ursprünglich, ich würde das nicht nochmal machen – einen ausführlichen Beitrag über die im vergangenen Jahr gelesenen Bücher verfassen. Vor ein paar Tagen habe ich festgestellt, dass ich es doch nicht lassen kann – unter anderem, weil ich gerne einen festen Platz für aktuelle Buchempfehlungen habe, auf den ich verweisen kann, wenn ich nach genau diesen gefragt werde.
Zu diesem Zweck habe ich zwar schon meine Bücherliste eingerichtet, die mehr oder weniger aktuell ist, zumindest aber übersichtlicher. Dennoch ist die Freude beim Buchempfehlungen-Sammeln auch wesentlich ästhetisch begründet (obwohl wir diesen Spruch mit dem Cover und dem Inhalt zu genüge kennen) – und ein paar Sätze zum Inhalt schaden schließlich auch nicht.
Soweit zur Rechtfertigung dieses Artikels, die an und für sich überflüssig, aber ein authentischer Spiegel meiner Gedanken beim Schreiben ist.
Mein Lesejahr 2019
Wenn ich den Leserückblick in wenigen Sätzen zusammenfassen sollte, würde ich wahrscheinlich sagen, dass ich viel mehr feministische Literatur (vielleicht mehr als jemals sonst) gelesen und meine Nase 2019 in so viele Bücher gesteckt habe wie schon lange nicht mehr: 43 Bücher habe ich durchgelesen.
Und obwohl ich mittlerweile über das Stadium hinaus bin, die Quantität der gelesenen Bücher als Qualitätsmerkmal von irgendwas oder -wem zu betrachten, bin ich doch froh, dass es so viele geworden sind im vergangenen Jahr: Das Lesen tut mir unfassbar gut. Abgesehen davon, dass das schon immer eine Leidenschaft war, entschleunigt es mein Gedankenkarussell, das nicht zuletzt durch Social Media zuweilen im Überschalltempo rotiert, deutlich.
Und nicht zuletzt lerne ich eine ganze Menge. Ich könnte selbst ganze Bücher über die Freude am Erkenntnisgewinn aus Texten zwischen zwei Buchdeckeln schreiben. Je nach Phase setze ich unterschiedliche Schwerpunkte – doch letztes Jahr hatte ich mir vor allem vorgenommen, mehr Bücher von Frauen* zu lesen (das habe ich geschafft) und zum anderen fluider durch die Bücherlandschaft zu tauchen, mich also nicht zu sehr auf ein Themengebiet zu fokussieren. Auch das hat geklappt – von den Sternen über Nachhaltigkeit bis hin zu Rassismus und Feminismus und sehr bewegender poetischer Literatur war sehr viel (natürlich nicht alles) dabei.
Here we go!
Leserückblick 2019
Titel | Zusammenfassung: Worum geht es? | Mein Eindruck |
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Ian McGuire: Nordwasser | Das erste Buch 2019 habe ich mir über die Büchergilde bestellt gehabt - das Cover war wieder einmal sehr besonders und seitdem ich im ersten Semester damals Ransmayrs "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" gelesen und analysiert habe, habe ich eine Schwäche für Entdecker*innen-Romane, die im Eis spielen. "Nordwasser" bediente mich da hervorragend: Ein Walfangschiff im Eismeer, ein Mord, eine Mischung aus Krimi und Abenteuer, ein Flashback in vergangene Zeiten mit viel Gestank, Gewalt und einer Sinnsuche, die sich extrem schnell in einen Kampf ums Überleben wandelt. | Es ist natürlich eine Männerwelt, darauf muss man sich einlassen und damit muss man rechnen. Ungeschönt, derb, sexistisch, voller Machtphantasien, Gewalt und Unbarmherzigkeit. Erschreckend, zum Teil ekelerregend, traurig, düster. Dennoch: Man wird reingezogen, ein Buch wie ein Film, McGuire baut die Welt nachvollziehbar tief, eindrücklich und schnörkellos auf. Man könnte den Text schnell runterlesen, rein sprachlich - wenn man ihn nicht zwischenzeitlich aus der Hand legen müsste, um die omnipräsente physische und psychische Gewalt zu verarbeiten. |
Jessica Crispin: Warum ich keine Feministin bin | Crispin ist natürlich eine Feministin. Sogar eine besonders überzeugte. Aber sie hat ein Problem mit der Kommerzialisierung des Feminismus, wie sie vor allem in den vergangenen zehn Jahren passiert ist. Diese Popularisierung, sagt sie, führt nicht dazu, dass wir mehr Gerechtigkeit bekommen, sondern verhält sich wie ein zahnloser Tiger: Obwohl wir überall Empowerment lesen und sehen, verändert sich nichts so wirklich. Der neue Feminismus ist harmlos, pink, süß und bequem. Das muss sich ändern. | Crispin fordert einen intersektionalen Feminismus, mehr Differenzierung und eine konsequente Veränderung der gesellschaftlichen Systeme - das fängt auch dabei an, nicht nur Grrrrl-Power-Shirts zu tragen, sondern auch die entsprechenden Konsequenzen im Privatleben zu tragen und zu leben - auch, wenn das manchmal wehtut. Richtiger Feminismus ist nach wie vor unbequem, schreibt sie. Man merkt, dass Crispin wütend ist und ihre Systemkritik hat Berechtigung - manche Stellen treffen schmerzhaft, allein für sie lohnt sich das Buch. Dennoch erscheint der Text manchmal etwas wirr, ich vermisse konkrete Lösungsvorschläge und weiß am Ende nicht so richtig, was jetzt "das Richtige" ist. |
Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit | "Vom Ende der Einsamkeit" ist eine Familien- und Liebesgeschichte, die auf Instagram ausführlich besprochen wurde, nicht zuletzt, weil das Lesen sehr emotional aufgeladen ist - dramatisch das Schicksal dreier Geschwister, die ihre Eltern beim Autounfall verlieren, dramatischer noch die Beziehung zwischen Ich-Erzähler Jules und Alva, die dann irgendwann doch zueinanderfinden. | Eines der wenigen Bücher in diesem Jahr, bei denen ich bei einigen Sätzen Wasser in den Augen stehen hatte - Wells hat die Figuren zart gezeichnet und die Schicksale maximal dramatisch miteinander verflochten. Die vielen Querverweise sind in der Rezension öfter moniert worden und auch mich haben sie öfter vom eigentlichen Textinhalt abgelenkt. Ansonsten aber einer meiner Favoriten im Jahr 2019. |
Kirsten Brodde / Alf-Tobias Zahn: Einfach anziehend* | Was genau läuft eigentlich schief in der Modeindustrie - und was für Alternativen gibt es? Wodurch zeichnet sich faire Mode aus? Kirsten Brodde und Alf-Tobias Zahn zeigen auf, was die Probleme der Fast Fashion sind (von Polyester über Arbeitsbedingungen und Müllberge) und geben eine 10-Schritte-Anleitung für die Umstellung auf einen fairen und nachhaltigeren Modekonsum. | Vielleicht bin ich ein bisschen von anderen Büchern aus der Bubble geprägt (und von der Insta-Kommunikation), aber die "Sie"-Anrede hat mich zu Beginn ein wenig gestört, daran habe ich mich (wieder) gewöhnen müssen. Sie zeigt dennoch, dass der Ratgeber nicht nur für Menschen aus der Bubble, sondern für ein möglichst großes Publikum konzipiert wurde und das ist nur zu begrüßen. Gefreut habe ich mich über die kompakte Zusammenfassung der wichtigsten Fakten zur Modeindustrie - es ist gut, zwischendurch an sie erinnert zu werden und ein Buch zum Nachschlagen zu haben. Der Step-by-Step-Guide ist niedrigschwellig und gut verständlich formuliert, für Einsteiger*innen ins Thema empfehlenswert. |
Anika Landsteiner: Mein italienischer Vater* | Eine tote Mutter und eine zerbrochene Beziehung veranlassen die Protagonistin Laura dazu, ihre Sachen zu packen und über Nacht zu ihrem bisher durch Abwesenheit glänzenden Vater nach Süditalien zu fahren. Wie das so ist, sind menschliche Beziehungen auch hier kompliziert und durch mehr Unausgesprochenes als Gesagtes charaktierisiert. Zwischen den Ländern und Kulturen hängend, sucht Laura nach Familie, Halt und Geborgenheit - und am Ende auch wesentlich nach sich selbst. Ein Versuch eines Neuanfangs als Fremde und doch Dazugehörende - als Lesende verfolgen wir den Prozess des Einwebens in ein neues Leben. | Anika Landsteiner hat mich über Instagram gefragt, ob ich Lust hätte, ihren Roman "Mein italienischer Vater" zu lesen und ich habe ohne großes Zögern zugesagt. Belohnt wurde ich mit einer Reise nach Apulien, als wäre ich wirklich dagewesen und der Innensicht einer Figur, mit der ich mich gut identifizieren kann, obwohl Länder und Menschen austauschbar sind. Das geht wahrscheinlich vielen, vor allem Jungen (Frauen) so. Ein klassischer Coming-of-Age-Roman, zugeschnitten auf die Millenials, die immer noch suchen, obwohl die Teenager-Jahre schon eine Weile zurückliegen, ein zartes Tasten. |
Ein schwedischer Krimi / Namen vergessen | Zwischendurch die Leerstellen gefüllt mit einem Text, der durch meinen Kopf gezogen ist und keine Spuren hinterlassen hat. | Was vielleicht auch für (oder eher nicht) seine Qualität spricht. |
Finn-Ole Heinrich: Räuberhände | Janik und Samuel sind Freunde, haben zueinander gefunden, obwohl Janik liberale und wohlhabende Eltern hat, auf die er sich immer verlassen kann und Samuel einen unbekannten türkischen Vater und eine obdachlose Mutter. Er, mit den Räuberhänden, will den Vater in Istanbul finden und - indem er Janik mitnimmt - irgendwie auch die stark angeknackste Freundschaftsbeziehung und die Beziehung zu sich selbst retten. | Jetzt aber wirklich Coming-of-Age, sehr klassisch: Zwei heranwachsende Jungen, eine intensive Freundschaft, die scheinbar alles aushält und dann doch ins Zittern gerät, weil es Eruptionen gibt, die langanhaltend erschüttern. Selbstverständlichkeiten, die keine sind, sondern Privilegien, treffen in filmisch anmutenden Szenen auf prekäre Herkunftsverhältnisse. Die Suche nach dem Woher und Wohin als Zentrum des Ganzen, ein sehr intensiver Text. |
Victoria Wolf: Das weiße Abendkleid | "»La joie tremblante« nennt der Pariser Couturier Partout ein weißes Abendkleid, das die Frau verändert, die es trägt, und ihr bisheriges Leben in Frage stellt: von der schwedischen Filmdiva Anne Lund über das Mannequin Sonja Putilew und die Kaufmannsgattin Maria Barthoud bis hin zu der aus Wien geflüchteten ehemaligen Medizinstudentin Ilka Wahla. Vier Frauen – vier Lebensentwürfe – vier Episoden und ein Epilog aus dem Paris der 30er Jahre rund um Modeateliers, Filmsets, Avantgardetheater, Künstlerclubs, Bälle und Tavernen." Das weiße Abendkleid ermächtigt Frauen, bestärkt sie in ihren aktuellen, vorübergehenden Machtpositionen oder öffnet ihnen kurzfristige Türen in andere Welten. Auf scheinbar schicksalsvolle Weise wechselt das Kleid die Besitzerin und wandelt sich und die Besitzerinnen auf dieser Reise. | "Das weiße Abendkleid" habe ich im Bücherschrank im Dorf gefunden und ich war ahnungslos gespannt, was mich erwarten würde, vor allem, weil ich das Buch wahrscheinlich niemals gekauft hätte. Überrascht wurde ich mit einem sozialkritischen Plot, in seiner analytischen Betrachtung von Abhängigkeiten und Verhältnissen, in denen Frauen leben, was sie wünschen und worauf sie hoffen (dürfen) in Ansätzen feministisch. Dennoch übertritt keine der Figuren die gesellschaftlichen Grenzen, jedenfalls nicht systemsprengend und schon gar nicht aus eigener Kraft. Man wünscht sich bisweilen mehr Wut, mehr Konsequenz, aber sie kommt nicht. Dennoch bemerkenswert für einen Text, der in den 30ern verfasst (!) und dann lange vergessen wurde. |
Bobette Buster: Wie man eine gute Geschichte richtig erzählt | "Als Kinder lieben wir Menschen, die gute Geschichte erzählen können. Als Erwachsene sind wir oft selbst gefragt, ob wir ein Produkt verkaufen, einen Vortrag halten oder unseren Freunden von einem Erlebnis berichten wollen. Wir erfahren, wie groß die Kraft und die Macht einer Geschichte sein kann: Sie kann uns verletzten und trösten, uns verbinden oder unserem Leben einen Sinn geben. Doch wie erzählt man eine Geschichte so, dass Die Welt auch zuhört?" (Klappentext) | Eine Anleitung mit konkreten Werkzeugen und bekannten Beispielen aus der Popkultur sollen helfen, selbst bessere Geschichten zu erzählen - und erklären nebenbei, warum wir so magisch von guten Storys angezogen werden. Vielleicht haben einige, die das hier lesen, auch diese romantische Vorstellung, die ich lange Zeit vom Schreiben hatte: dass man nur genug Leidenschaft und Talent bräuchte, und der Rest würde sich von selbst ergeben. Das stimmt, aber auch nur halb: Schreiben ist Arbeit, harte Arbeit und eben nicht zuletzt auch ein Handwerk. Je länger und ausdauernder man es praktiziert, desto größer sind die Chancen, besser zu werden - und ein bisschen theoretische Unterfütterung kann da nicht schaden, freilich, ohne sich von eventuellen Richtlinien zu sehr in der eigenen Kreativität einschränken zu lassen. Buster gibt diese Empfehlungen an die Hand, einige erhellende Erkenntnisse über das Lesen und Schreiben und die Emotionen dahinter inklusive. |
Sonja Eismann / Anna Mayrhauser: Freie Stücke - Geschichten über Selbstbestimmung | "Wie kann man sich bei einer Annäherung im Asylverfahren einen Rest Selbstbestimmung bewahren, wenn man sogar aufs Klo nur in Begleitung darf? Kann man sich den Ekel vor 'hässlichen' Körpern durch puren guten Willen abgewöhnen? Wie gefährlich kann ein Coming Out für syrische Ministerialbeamte werden? Und wie kann ich sicher sein, dass jemand wirklich Tee mit mir trinken will? 15 Autor*innen aus dem Umfeld des Missy Magazine schreiben über Macht, Gewalt und Selbstbestimmung und ergründen, wie erfüllende, gleichberechtigte Beziehungen im 21. Jahrhundert gehen - oder eben auch scheitern." (Klappentext) | In persönlichen, poetischen und essayistischen Texten geben die Autor*innen Einblicke in die viele Dinge, die bezogen auf Körperlichkeit, Geschlecht, Sex und allem, was damit zu tun hat (Macht, Status, Missbrauch). Es sind Betroffenen-Geschichten, weil alle irgendwie betroffen sind. Sie ermöglichen, die eigene Perspektive zugunsten anderer, möglicherweise marginalisierter oder weniger privilegierter Menschen zu verlassen und sensibler zu werden für die Gewalt, die man selbst und so viele andere beinahe täglich erfahren. Ein Herantasten mit vielen klaren Grenzen und Wünschen, aber genauso vielen Unsicherheiten und Fragen, die bestehen müssen in einem System, in dem wir nicht gelernt haben, was es bedeutet, wirklich aus freien Stücken zu handeln. Wird auch 2020 wiedergelesen. |
Carmen Maria Machado: Ihr Körper und andere Teilhaber | "Ein grünes Band, das zum Auslöser eines Übergriffs wird. Ein Ballkleid, das mit der Haut seiner Trägerin vernäht wird. Ein weiblicher Körper, der von Tag zu Tag durchsichtiger wird. Carmen Maria Machado erzählt von Frauen, deren Existenzen von Männern gewaltsam überschrieben werden, und fragt: Wie können Frauen in einer Welt überleben, die sie - ob durch Ehe, Mutterschaft, Tod oder Ballkleider - zum Verschwinden bringen will?" (Klappentext) | Erzählungen, die überall spielen könnten und in denen sich die Grenzen zwischen Realismus und Science Fiction auflösen und Metaphern real werden, Unsichtbarmachung auf unterschiedlichsten Ebenen nicht nur strukturell und verborgen, sondern offensichtlich im Verschwinden der weiblichen Körper passiert. Denn ein Körper gehört einer Frau niemals allein, immer noch nicht. Es gibt andere Teilhaber. Die Erzählungen sind Experimente und Versuche, die vielfältigen Mechanismen einzufangen, die dort greifen - und müssen konsequenterweise selbst keine Grenzen kennen, weder in Form noch im Inhalt - schließlich macht das Problem, das besprochen wird, auch nirgendwo Halt. Beklemmende und wütend machende Stücke, großartiger literarischer Aktivismus. |
Dave Eggers: Der Circle | Mae Holland ist jung, ehrgeizig und kann es nicht fassen, dass sie eine Stelle beim Circle, DER modernen, angesehen neuen Zech-Firma, angeboten bekommt. Sie ergreift die Chance, zieht von einem trostlosen Vorort auf den Campus und arbeitet sich hoch - zunächst, ohne das System der omnipräsenten Überwachung und Feedbackschleifen infrage zu stellen. Im Gegenteil: Sie selbst treibt das Unternehmensziel der vollkommenen Transparenz aller Bürger*innen unerbittlich voran - bis sie auf einen Kollegen trifft, den es offiziell gar nicht (mehr) gibt. | Ein Konzern, der Google, Facebook, Instagram, Twitter und WhatsApp zugleich ist und alles, wirklich alles, über alle Menschen auf dem Planeten wissen will - eine Zukunftsvision, die erschreckend nah erscheint. "Der Circle" ist eine Mahnung, genauer darauf zu achten, was mit unseren Daten passiert und vor allem: In welche Richtung sich die fortschreitende Technisierung und Transparentmachung des eigenen Lebens entwickelt. Sprachlich sehr durchschnittlich, inhaltlich dafür umso mehr Gänsehautmomente. Der Film dazu ist allerdings wirklich grauenvoll, auf vielen Ebenen - von ihm kann ich nur abraten. |
Megan Hayes: Atlas of Happiness - 50 Glücksgeheimnisse aus aller Welt* | "Was macht uns glücklich? Seit jeher beschäftigen Menschen auf der ganzen Welt sich mit dieser Frage. Und viele Kulturen fanden ihre eigenen Antworten darauf. All diese Glückserfahrungen und Glücksworte sind ein wahrer Schatz, der unser Leben auf wunderbare Weise bereichern kann. Von Norwegen bis Hawaii nimmt uns 'Atlas of Happiness' mit auf eine Weltreise zu einem der schönsten Gefühle der Welt. Und gibt kleine Impulse mit großer Wirkung, wie man die Glücksideen von Nord nach Süd und Ost nach West auch in seinen eigenen Alltag integrieren kann." (Klappentext) | Ich liebe Worte. Auf Instagram habe ich eine kleine Tradition eingerichtet, bei der ich zusammen mit Lesenden Lieblingsworte mit Bedeutung sammle - vollkommen unerheblich, aus welcher Sprache sie stammen (dazu gibt es auch ein Highlight im Profil). Der "Atlas of Happiness" macht genau dasselbe, jedoch mit dem speziellen Fokus auf Ausdrücken, die in den Assoziationsbereich "Glück" fallen. Ob das jetzt die Freude ist, ein Tier oder ein kleines Kind zu knuddeln ("Gigil" / Philippinen) oder die Freude daran, Dinge mit Leib und Seele zu tun (Meraki). Prinzipiell finde ich das großartig und habe viele schöne Inspirationen mitgenommen. Dennoch beschleicht mich beim Lesen und Durchblättern des sehr schön illustrierten Buchs ein mulmiges Gefühl, das ich zunächst nicht einordnen, später aber klarer benennen kann: Hayes ist sich bewusst, dass Sprachen hochkomplex sind und sich niemand anmaßen sollte, die Bedeutungen von fremdsprachigen Worten vollständig durchdrungen zu haben. Durch die Hintertür wird jedoch gerade in den Beschreibungen zum Wort, zur Herkunft und zur Bedeutung für die jeweilige Gesellschaft, aus der es stammt, oftmals ein ganzes Set an altbekannten und eben auch problematischen Dichotomien mitgeliefert: die "westliche Welt" in Abgrenzung zu allem anderen, exotisierende Tendenzen, implizite Anzitierung kolonialer Strukturen (wir nehmen uns fremde Worte und eigenen sie an, ohne ihre genaue Kontexualisierung zu kennen). Das Buch ist natürlich zur Unterhaltung gedacht, dennoch sollte man dabei den Kopf nicht ganz ausschalten. |
Scarlett Curtis: The Future is Female - Was Frauen über Feminismus denken. | "Später wird mir klar, dass Feminismus vielleicht gar nichts damit zu tun hat, ob sich jemand moralisch einwandfrei verhält oder gemocht wird, sondern eher damit, das verdammte Ding einfach durchzuziehen." (Evanna Lynch) "Hallo? Menschheit? Wir leben im 21. Jahrhundert, das kann doch wohl nicht wahr sein?! Die Erde schmilzt uns buchstäblich unter den Füßen weg, und manche Leute versuchen immer noch, Frauen 'in ihre Schranken zu weisen'? Verrückt." (Alison Sudol) "The Future is Female" sammelt Essays zu Feminismus, die aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Argumentationen auf die aktuelle Situation blicken, dabei aber keinen Einheitsbrei bilden, sondern durchaus auch unterschiedliche Thesen und Herangehensweisen vertreten. Außerdem enthalten: ein kleiner Rundumschlag über die Geschichte des Feminismus. | Wegen des Titels hatte ich einen leichten Widerstand verspürt, dieses Buch überhaupt in die Hand zu nehmen: The Future ist nicht female, vor allem, weil dieser Slogan in seiner Verwendungstradition vor allem auf weiße Cis-Frauen geeicht ist und alle anderen - sowohl BIPOC als auch LGBTQI-Menschen - ausschließt oder zumindest, in der schwächeren Form, nicht sieht. Und dann ist dieses Cover auch noch pink, ich möchte kurz ausrasten im Buchladen. Ich kaufe es dennoch, weil ich manchmal auch gezielt Bücher kaufe, bei denen ich diese Ablehnung auf den ersten Griff verspüre. Leaving the Comfort Zone und so. Und ich werde belohnt: Das Pink ist bewusst gewähltes Baker-Miller-Pink (ein spezieller Pink-Ton, der psychologischen Tests zufolge dazu führen soll, sich zu entspannen und physische wie verbale Aggressionen abzulegen; von den Autor*innen hier benutzt, um "unser eigenes kleines Experiment betreffend einer bestimmten Form menschlicher Aggression durchzuführen, die wir gerne 'das Patriarchat' nennen." (349) Ich atme auf. Auch, weil viele unterschiedliche Frauen* zu Wort kommen - und nicht, wie ich befürchtet hatte, nur weiße A-Prominenz aus Hollywood. Privilegiert sind die meisten von ihnen dennoch - aber auch das macht das Lesen spannend, denn es bedeutet nicht, dass diese Frauen* sich keine Gedanken um Feminismus machen, im Gegenteil. Sogar "ganz oben" scheint viel angekommen und am Brodeln zu sein derzeit. Sehr lesens- und wiederlesenswert. |
Sebastian Fitzek: Splitter | "Was, wenn wir die schlimmsten Erlebnisse unseres Lebens für immer aus unserem Gedächtnis löschen könnten? Und was, wenn etwas dabei schief geht? Viel stärker als der Splitter, der sich in seinen Kopf gebohrt hat, schmerzt Marc Lucas die seelische Wunde seines selbst verschuldeten Autounfalls – denn seine Frau hat nicht überlebt. Als Marc von einem psychiatrischen Experiment hört, das ihn von dieser quälenden Erinnerung befreien könnte, schöpft er Hoffnung. Doch nach den ersten Tests beginnt der blanke Horror: Marcs Wohnungsschlüssel passt nicht mehr. Ein fremder Name steht am Klingelschild. Und als sich die Tür von innen öffnet, schaut Marc seinem größten Albtraum ins Gesicht…" (Klappentext) | Dieses Buch habe ich als Lückenfüller aus dem örtlichen öffentlichen Bücherregal ausgeliehen und die Handlung schon fast wieder eine Woche später vergessen - was unter anderem daran liegt, dass ich mittlerweile das Gefühl habe, Krimis gleichen sich wie ein Ei dem anderen, sodass Figuren prototypisch und Handlungen vorhersagbar sind. Das ist natürlich eine ziemlich steile These, aber so wirklich beeindrucken können mich wenige Bücher dieses Genres, die allermeisten ziehen nur an meinem Geist vorbei, ein bisschen wie ein schlechter Tatort. "Splitter" kommt zwar nicht mit der klassischen Leiche daher, aber die Sache mit dem Gaslighting von höchster Stelle zur Geheimhaltung irgendwelcher obskuren dunklen Machenschaften hat mittlerweile etwas Patina bekommen. Nette Unterhaltung, aber nicht mehr. |
Maria Anna Schwarzberg u.a.: We are proud to be Sensibelchen | Was heißt das eigentlich: sensibel sein? Was fühlt man, wie geht man damit um und wie macht man anderen und sich selbst klar, dass man nicht empfindlich, sondern genauso normal wie alle anderen ist? Maria Anna Schwarzberg hat selbst geschrieben und Texte von 10 anderen Frauen zum Thema in ein Buch gepackt. | Eines der Bücher, mit dessen Inhalt ich mich am stärksten in diesem Jahr identifizieren konnte und das mich darin bestärkt hat: Ich bin gut so, wie ich bin. Für alle Sensiblen sehr empfohlen und auch für alle, die sensible Menschen gerne besser verstehen möchten. |
Lisz Hirn: Geht's noch! | Geht's noch?!, fragt sich Lisz Hirn, wenn sie sich die aktuelle Re-Popularisierung von traditionellen Rollenbildern gesellschaftlich und gesetzlich anschaut. Die Frauen hinter dem Herd und mit Kind sehen und bestehende patriarchale Machtstrukturen nicht nur beibehalten, sondern ausbauen möchte. Eine Trendwende zurück zum Einfachen in Zeiten, die unübersichtlich und schwierig scheinen, ein Hoch auf die neue Häuslichkeit! | Bei Hirn schrillen die Alarmglocken und bei wem das bisher nicht auch der Fall gewesen ist, könnte es nach der Lektüre ihres Textes sein. Obwohl er sich vor allem auf Österreich bezieht, sind viele der geschilderten Entwicklungen fast 1:1 auf Deutschland übertragbar. Eine konservative Wende ist im Gange, gar nicht so heimlichstillundleise, sondern leider mittlerweile wieder ziemlich gesellschaftsfähig. |
Anna Quindlen: Die Seele des Ganzen | Weil ihre Mutter schwer krebskrank ist und der Tod nur noch eine Frage der Zeit, macht Ellen das, was sie niemals tun wollte: Sie zieht zurück in das Kaff ihrer Kindheit, um die Mutter zu pflegen und den Haushalt zu führen. Und kehrt ihrer vielversprechenden College-Karriere den Rücken - vor allem, um dem Wunsch ihres Vaters, den sie mehr als jeden anderen bewundert, nachzukommen. Im Verlauf der Krankheit lernen sich Mutter und Tochter noch einmal neu kennen, der nahende Tod eröffnet neue Möglichkeiten der familiären Kommunikation, genauso wie er die beziehungstechnischen Spannungen, die durch die Rollenumkehr zwangsweise entstehen müssen, verstärkt. | Der Roman ist, vorsichtig gesprochen, Mittelmaß: Der Plot mittlerweile hinreichend bekannt und durchgekaut, sprachlich nicht ambitioniert, die Figuren sind sehr flach und stereotypisch gezeichnet und durchlaufen keine literarisch wertvolle Entwicklung, obwohl die Erzählinstanz uns die ganze Zeit das Gegenteil weismachen will. Vom patriarchalen Vater, der rebellischen, doch zahnlosen Tochter bis hin zur kranken Hausfrau, die ihr Territorium abtreten muss, sind alle Figuren Abziehbilder, die Handlungen entsprechend vorhersehbar. Der Roman wanderte umgehend wieder zurück in den Bücherschrank, aus dem ich ihn mir ausgeliehen hatte. |
Stieg Larsson: Verblendung | "Was geschah mit Harriet Vanger? Während eines Familientreffens spurlos verschwunden, bleibt ihr Schicksal jahrzehntelang ungeklärt. Bis der Journalist Mikael Blomkvist und die Ermittlerin Lisbeth Salander im Auftrag des Onkels recherchieren. Was sie in der vangerschen Familiengeschichte zutage fördern, lässt alle Beteiligten wünschen, sie hätten sich nie mit diesem Fall beschäftigt." (Klappentext) | "Verblendung" muss man gelesen haben, so viel weiß ich. Natürlich habe ich die Filme gesehen, beide Versionen, aber die Trilogie immer noch nicht durchgelesen, wobei ich, die ich sonst eher schnell von (deutschen und amerikanischen) Krimis und Thrillern derzeit gelangweilt bin, hier sehr gefesselt gelesen habe. Nicht zuletzt dank der Figurenzeichnung, die natürlich viel Identifikationspotenzial lässt, weil hier eben nicht hollywoodperfekte Typen, sondern Ecken und Kanten entwickelt werden. Psychologische Finessen, raffinierte Wendungen und Sprachspiele - love it! 2020 kommen die anderen beiden Bände dran, wobei ich schon hörte, der letzte soll nicht so gut wie die ersten beiden sein. Ich bin gespannt. |
Maryanne Wolf: Schnelles Lesen, langsames Lesen - Warum wir das Bücherlesen nicht verlernen dürfen. | "Die digitale Welt ist schnell und enorm vielfältig. Informationen sind jederzeit abrufbar. Bemerkenswert rasch haben wir uns den Umgang damit angewöhnt. Aber wir zahlen einen Preis, wenn wir vor allem digital konsumieren. Die Lese- und Entwicklungsforscherin Maryanne Wolf zeigt, wie wichtig es ist, weiterhin von klein auf gedruckte Bücher zu lesen, denn nur dabei entwickeln wir Empathie und die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu erfassen und zu analysieren. Ihr Appell: Wir müssen zwei Arten des Lesens lernen, das langsame, vertiefte genauso wie das schnelle, digitale." (Klappentext) | Ein Buch, auf das ich mich sehr(!) gefreut habe - denn genau dieses Thema treibt mich seit langem um. Vor allem, weil ich in meiner eigenen Entwicklung gemerkt habe, was für einen enormen Einfluss der Umgang mit digitalen Medien auf mein Leseverhalten hat. (Mit ein Grund, weshalb ich in diesem Jahr so viel Wert auf viele gelesene Bücher gelegt habe.) Wolf zeigt in diesem Text auf, was eigentlich für neurologische Vorgänge ablaufen, wenn wir lesen, stellt die Frage, ob und wie sich das messbar verändert, je nachdem, auf welchem Endgerät wir Texte konsumieren und hat dabei vor allem die Jugend im Blick: Die implizite Frage, die überall derzeit im Raum schwebt ("Werden wir alle dümmer?") betrifft vor allem die Heranwachsenden. Und Wolf zeigt beunruhigende Tendenzen auf, die - das betont sie immer wieder - natürlich noch nicht 3000%ig abgesichert sind, aber dennoch Anlass zur Sorge geben. Sie schlägt den Bogen vom konzentrierten Lesen bis in die Politik: Können wir uns nicht mehr auf komplexe Zusammenhänge einlassen, fällt uns demokratische und wirklich informierte politische Teilhabe jenseits vom Empörungsgestus zusehens schwerer - ein Alarmsignal an die Gesellschaft. Dennoch ringt sich die Wissenschaftlerin bei aller persönlichen Präferenz für das gedruckte Buch immer wieder dazu durch, klarzustellen: Wir brauchen beide Fähigkeiten, um in einer hochtechnisierten Welt zurecht zu kommen. Im Moment sieht es allerdings so aus, als würden wir eine davon sträflich vernachlässigen. Große Empfehlung für den Einstieg. |
Zadie Smith: Freiheiten | Trump, Brexit, Obama, Justin Bieber, Jay-Z, der männliche Blick, die Frage nach der Selbstverortung im literarischen Text, der Zwecks des Internets, Diskriminierung und Familie - Zadie Smith versammelt in "Freiheiten" Essays aus mehreren Jahren, in denen sie unterschiedlichste Themen behandelt und mit Präzision analysiert. | Es ist mein erstes Buch von Zadie Smith und ich bin mehr als beeindruckt. Von der Biografie, von der Kunst, von der Klugheit und vor allem von der Demut, mit der Smith über so komplexe Themen schreibt, dass ich stellenweise Mühe habe, zu folgen und es manchmal auch gar nicht hinbekomme. Man merkt: Hier schreibt jemand, der in Privilegien hineingewachsen ist, die nie selbstverständlich waren und dementsprechend immer noch über Glasscherben geht. Ohne ihr Schaffen bisher weiter zu kennen oder gar analysiert zu haben, habe ich stellenweise den Eindruck, die Autorin/Erzählerin (es ist nicht dasselbe, aber stellenweise ist nicht klar, welche Rolle gerade präsent ist oder ob es sich um einen Mix handelt) habe mit dem Hochstapler*innen-Syndrom zu kämpfen. Dennoch oder gerade deswegen: Ich lerne viel, genieße die Themenbandbreite genauso wie das unangestrengte Schlendern zwischen diversen theoretischen und popkulturellen Feldern und die kluge Perspektive von einem Geist, der lernen und verstehen und noch mehr lernen will. |
David Foster Wallace: Das hier ist Wasser | "There are these two young fish swimming along and they happen to meet an older fish swimming the other way, who nods at them and says, "Morning, boys. How's the water?" And the two young fish swim on for a bit, and then eventually one of them looks over at the other and goes, "What the hell is water?" Im Jahr 2005 wurde David Foster Wallace gebeten, vor dem Abschlussjahrgang des Kenyon College über ein Thema seiner Wahl zu sprechen. Es ist die einzige solche Rede, die er jemals gehalten hat. | In dieser Rede mahnt Wallace die Schüler*innen, mit einem wachen und vor allem selbstkritischen Geist durchs Leben zu gehen - niemand kennt die Antwort auf alle Fragen, wir sind nicht der Mittelpunkt der Welt und auch, wenn es schwerfällt: Es liegt an uns selbst, diese antrainierte "Standardeinstellung" zu hinterfragen: "Die wirklich wichtige Freiheit erfordert Aufmerksamkeit und Offenheit und Disziplin und Mühe und die Empathie, andere Menschen wirklich ernst zu nehmen und Opfer für sie zu bringen, wieder und wieder, auf unendlich verschiedene Weisen, völlig unsexy, Tag für Tag." Ich nehme den Text immer wieder und lese ihn durch. |
Stéphane Hessel: Empört euch! | Stéphane Hessel ist 93 Jahre alt, als er diesen Text schreibt und blickt auf eine Vergangenheit in der Résistance, im KZ Buchenwald, das er überlebt hat, sowie als französischer Diplomat und Mitautor der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen zurück. Er beobachtet ein zunehmendes Desinteresse an den politischen Vorgängen weltweit und ruft zum Widerstand auf: friedlich und emphatisch, aber konsequent und aktiv. "Ich sage den Jungen: Wenn ihr sucht, werdet ihr finden. 'Ohne mich' ist das Schlimmste, was man sich und der Welt antun kann. Den 'Ohne-mich'-Typen ist eines der absolut konstitutiven Merkmale des Menschen abhanden gekommen: die Fähigkeit zur Empörung und damit zum Engagement." (13) | "Empört euch!" liegt schon seit Jahren auf meinem Lesestapel. Aber weil es so ein unscheinbar dünnes Buch ist, habe ich dem Text in meiner Auswahl für die nächste Lektüre lange nicht genug Relevanz beigemessen. 2019 habe ich es dann endlich geschafft. 20 Seiten lesen sich schnell runter, klingen aber lange nach und sind ein mir willkommener Text, der die Balance zwischen Empörung und persönlicher Betroffenheit und den bedachten und klugen daraus abgeleiteten Handlungen findet (und damit sowohl eine Gegenstimme zum "Empörungsjournalismus" als auch zur vermeintlich objektiven Weltansicht bietet). |
Jennifer Sieglar: Umweltliebe | "Wenn wir unseren Planeten retten wollen, müssen wir dringend unser Konsumverhalten ändern. Aber wie kann das gelingen? Wie können wir weniger Plastikmüll produzieren? Worauf können wir beim Klamottenkauf achten? Und wie erkennt man Mikroplastik in Pflegeprodukten? In ihrem umweltfreundlichen Jahr stellt sich Journalistin und TV-Moderatorin Jennifer Sieglar monatlich einer neuen Herausforderung: von nachhaltigem Reisen bis zu umweltverträglichem Lebensmitteleinkauf. In diesem Buch schildert sie ihre spannenden Erfahrungen mit Verzicht und dem inneren Schweinehund – und liefert zahlreiche Tipps, wie wir alle durch kleine Veränderungen im Alltag viel für unseren Planeten tun können. Denn wenn viele ein bisschen was tun, kann das in der Summe Großes bewirken!" (Klappentext) | Jennifer Sieglar ist eigentlich Fernsehmoderatorin, unter anderem für die Kindernachrichtensendung "logo" und engagiert sich mit diesem Buch für Nachhaltigkeit. Der Text liefert eine Menge Wissen - bereits Bekanntes und weniger Bekanntes, aber Letzteres seltener, um ehrlich zu sein. Mir hat der konstruktive Ansatz gefallen: Zuerst wird das Problem geschildert (zum Beispiel die Plastikrise), anschließend ein Lösungsansatz (zum Beispiel ein Selbstversuch im Plastikfasten) und im dritten Teil werden die wichtigsten Handlungspunkte, an denen man anknüpfen und selbst etwas verändern kann, in einer Liste aufgeführt. Das ist ein Hands-on-Ansatz, der mir zusagt - und vielen anderen Lesenden sicherlich ebenfalls. Was mir nicht so zusagt (und mich beim Lesen auch etwas ärgert), ist die empörisierende Sprache, die mit vielen Ausrufezeichen und generell Ausrufen daherkommt und mich wirklich in eine Kindernachrichtensendung zurückversetzt - obwohl das Buch an Erwachsene gerichtet ist. |
Saša Stanišić: Herkunft | ""Herkunft ist ein Buch über ein Dorf, in dem nur noch dreizehn Menschen leben, ein Land, das es heute nicht mehr gibt, eine zersplitterte Familie, die meine ist. Es ist ein Buch über die Frage, was zu mir gehört, ein Selbstporträt mit Ahnen. Und ein Scheitern des Selbstporträts. "Herkunft" ist ein Buch über meine Heimaten, in der Erinnerung und der Erfindung. Ein Buch über Sprache und Scham, Ankommen und Zurechtkommen, Glück und Tod. Die Toten sprechen in "Herkunft", und auch die Drachen, und meine Großtante Zagorka macht sich in die Sowjetunion auf, um Kosmonautin zu werden. "Herkunft" ist ein Abschied von meiner dezenten Großmutter. Während ich Erinnerungen sammle, verliert sie ihre. Diese sind auch "Herkunft": Drina und Neckar. Ein Flößer, der nicht schwimmen kann. Eine Marxismus-Professorin, die ausgebeutet wird. Ein nicht korrupter bosnischer Polizist. Ein Wehrmachtssoldat, der Milch mag. Boris Becker. Eine Grundschule für drei Schüler. Ein Nationalismus. Eine ARAL-Tankstelle. Ein Tito. Ein Eichendorff. Ein Saša Stanišić." | Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, außer, dass dieser Text mich überrollt, ausgequetscht und wieder ausgespuckt hat, ein bisschen mehr und gleichzeitig weniger ich. In den Worten habe ich gelernt, unter anderem, wie wichtig es ist, Grenzen aufzulösen. Lesen, unbedingt und immer wieder. |
Maren Urner: Schluss mit dem täglichen Weltuntergang - Wie wir uns gegen die digitale Verhüllung unserer Gehirne wehren.* | "Klimaerwärmung, Terror, Flüchtlingskrise, Insektensterben: Wer die Nachrichten verfolgt, bekommt den Eindruck, dass wir alle dem Untergang geweiht sind. Das überfordert uns und lässt uns hilflos zurück. Denn unser Gehirn reagiert jedes Mal automatisch mit einem Fluchtinstinkt." (Klappentext) Die "erlernte Hilflosigkeit" führt am Ende dazu, dass wir das Gefühl haben, wir könnten sowieso nichts ändern und dann bräuchten wir es auch gar nicht erst versuchen. Wir werden weniger hilfsbereit und engagieren uns weniger in der Gesellschaft. Unter anderem wegen dem Dauerbeschuss mit negativen Nachrichten. Das geht ein bisschen an der eigentlichen Aufgabe von Journalismus vorbei, findet Maren Urner. Der sollte doch eigentlich Menschen dazu bringen, informiert und aktiv an der Gestaltung der Welt mitzuarbeiten. | Was der ganze mediale Stress mit den zig Notifications auf dem Handy und den Horrormeldungen im Fernsehen mit uns auf neurologischer Ebene macht und wie wir uns dagegen wehren können, indem wir nicht keine Nachrichten, sondern die richtigen, konsumieren, legt die Autorin in diesem unterhaltsam geschriebenen Text dar und plädiert mit dem Bespiel von Perspective Daily, einem konstruktiven Online-Magazin (bei dem auch ich arbeite) dafür, Journalismus anders zu denken und zu praktizieren. Ich fühle mich abgeholt, mein Alltagsverhalten erklärt sich mir plötzlich auf wissenschaftlicher Ebene und jetzt muss ich das Gelernte nur noch umsetzen (der schwierigste Teil). Einige Rezensent*innen haben angemerkt, dass zu viel Werbung für Perspective Daily im Text vorhanden ist und ich stellenweise habe ich das ähnlich empfunden. Ansonsten habe ich allerdings viel, sehr viel, markiert und werde den Text bald wieder lesen, weil man sich selbst nicht oft genug daran erinnern kann, bedachter online zu konsumieren. |
Alan Moore: Design - Warum das Schöne wichtig ist | "Schönheit ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit." Das ist die Prämisse, der Alan Moore das Buch dieses Buch widmet. Es ist in zwei Teile untergliedert - im ersten werden schnipselhaft Einblicke in Design-Theorie gegeben, im zweiten folgen konkretere "Übungen und Praktiken für die Erschaffung bleibender Schönheit". | Der Text hat mich mit gemischten Gefühlen zurückgelassen. Auf der einen Seite war ich inspiriert, denn einige der Thesen und Ideen in dem Buch sind durchaus wert, länger darauf herumzudenken und in den eigenen Alltag zu integrieren. Auf der anderen Seite sind die meisten eben auch nur das: Thesen und Behauptungen, die erst einmal im leeren Raum schweben, weder theoretisch untermauert noch wissenschaftlich belegt werden und im Coaching-Sprech daherkommend suggerieren, es wäre alles ganz einfach, man müsste nur anfangen. Einen roten Faden gibt es darüber hinaus nicht, was an sich erst einmal weder gut noch schlecht ist - die Gedankensplitter ermöglichen kurze Einblicke in unterschiedliche Ideen, lassen aber die Einordnung ins große Ganze vermissen (und wirken manchmal etwas wie Selfpromotion). Schön im weitesten Sinne finde ich jedoch am Ende die Definition und Vorstellung von "schönen Unternehmen", die auf Langlebigkeit, Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit setzen - Ästhetik ist also nicht nur eine Frage der Optik, eine thematische Überschneidung, die mir vorher gar nicht präsent und für deren Anregung ich sehr dankbar war. |
Madeleine Alizadeh: Starkes weiches Herz | "Der Mut und die Liebe, die Stärke und das Weiche: Diese vermeintlichen Gegensätze begleiten mich täglich sowohl beruflich als auch privat. Immer wieder stand ich vor folgendem Problem: Für die eine Gruppe bin ich zu weich, zu soft, nicht radikal genug. Für die andere Gruppe wiederum bin ich zu rigoros, zu hart. Zu soft für die Harten und zu hart für die Soften. Jahrelang fühlte ich mich hin- und hergerissen: Soll ich entschiedener, unbarmherziger in meinem Aktivismus werden? Oder soll ich gar milder und sanfter werden in meiner Kommunikation, wenn es um die Klimakrise und andere Probleme geht? Es war ein Spagat, den ich als junge Aktivistin machen musste. Ein ermüdender Spagat. Bis ich eines Tages feststellte: Ich muss mich nicht entscheiden. Ich brauche kein Etikett, das mir vorschreibt, wie man Aktivismus durchzieht." (9) | "Starkes weiches Herz" hat umgehend die Bestsellerlisten gestürmt und wurde und wird in der Eco-Bubble ausführlich und sehr begeistert besprochen. Viele lesende Frauen* können sich mit dem, was Maddie schreibt, identifizieren und mir geht es da nicht anders. Die Zerrissenheit, sich selbst und vor allem anderen genügen zu wollen, die Frage nach Karriere und dem guten Leben in Zeiten, in denen man es eigentlich nur ethisch falsch machen kann und ihre Strategien, genau mit diesen Problematiken umzugehen, regen stark zur Reflexion an. Und abgesehen davon, dass ich auch vorher schon enormen Respekt vor ihrer Arbeit und ihrem selbst angeeigneten Wissen hatte, hat mich das Buch noch einmal in diesem Eindruck bestärkt. Es ist ein sehr dichter Text und man muss ihn auf jeden Fall mehrfach lesen, um ihn zu durchdringen - viele Dinge hat man ein paar Seiten später wieder vergessen, weil schon das nächste Thema auf intensive Beschäftigung wartet. Stellenweise hatte ich den Eindruck, ein bisschen orientierungslos durch das Buch zu gehen, weil Motive und Themen eng verwoben und nicht klar voneinander abgegrenzt sind - mir persönlich hätte wahrscheinlich mehr Struktur geholfen, durch den Text zu kommen, wobei ich gestehen muss, keine konkreten Vorschläge an der Hand zu haben. 2020 werde ich das Buch auf jeden Fall wiederlesen. |
Stefanie Schramm / Claudia Wüstenhagen: Das Alphabet des Denkens | "Sie können verletzten und trösten, berühren und auf Distanz halten, manipulieren und die Wahrheit offenlegen: Worte haben Macht. Und ihre Wirkung geht tiefer, als viele ahnen. Könnten wir überhaupt denken, wenn wir keine Worte hätten? Und stimmt es, dass wir mit jeder neu gelernten Sprache eine neue Seele erwerben, wie ein tschechisches Sprichwort sagt? Fest steht: Unsere Sprache gibt Hinweise auf unsere Identität und unseren Charakter, ja sogar darauf, ob wir lügen und wen wir lieben." | Wie mächtig Worte sind, erleben wir alle täglich am eigenen Leib und werden spätestens daran erinnert, wenn Trump einen neuen Tweed absetzt. Und dass Politik vor allem durch die Macht der Worte funktioniert, leuchtet auch ein. Aber wie genau eigentlich? Warum interessieren sich Spione für Metaphern und was machen Worte mit unserem Gehirn? Es sind spannende Fragen, die "Das Alphabet des Denkens" behandelt und mir als Sprachverliebten hat dieser Text leuchtende Augen beschert. Schramm und Wüstenhagen bringen uns auf den aktuellen Stand der Forschung, gehen Mythen rund um Sprache nach und entkräften sie, wenn nötig. Häufig lautet die Antwort allerdings (mehr oder minder unbefriedigend für Erkenntnissuchende) "Jein" - weil es aufgrund der Forschungslage oftmals nicht wissenschaftlich eindeutiger geht als das. Damit muss man umgehen können - in dem Fall wartet ein spannendes Abenteuer zwischen diesen Buchdeckeln. |
Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah | "Die große Liebe von Ifemelu und Obinze beginnt im Nigeria der neunziger Jahre. Dann trennen sich ihre Wege: Während die selbstbewusste Ifemelu in Princeton studiert, strandet Obinze als illegaler Einwanderer in London. Nach Jahren kehrt Ifemelu als bekannte Bloggerin von Heimweh getrieben in die brodelnde Metropole Lagos zurück, wo Obinze mittlerweile mit seiner Frau und Tochter lebt. Sie treffen sich wieder und stehen plötzlich vor einer Entscheidung, die ihr Leben auf den Kopf stellt." (Perlentaucher) | "Americanah" hat mich sehr bewegt und um die Erfahrung, die eintritt, wenn man einen komplexen Roman gelesen hat, reicher zurückgelassen. Es ist eine Liebesgeschichte, aber nicht nur. Auch eine Geschichte über Migration, über das Leben als schwarze Frau in einer Gesellschaft, die dich stigmatisiert, weil du Frau* und weil du schwarz bist. Ein Text über den Kampf, sich selbst zu finden und irgendwann nur noch damit beschäftigt zu sein, sich nicht noch mehr zu verlieren. Eine Frage nach Herkunft und Heimat, inneren und äußeren Zwängen und nichts weniger als dem wahrhaftigen Leben. |
Virginia Woolf: Ein eigenes Zimmer | "Eine Frau muss Geld und ein eigenes Zimmer haben, um schreiben zu können." Der berühmte Essay von Woolf geht vielen feministischen Fragen nach, die auch heute noch aktuell sind: Warum schreiben Männer Bücher, in denen sie der Welt - meist ohne hinreichende Qualifikation - erklären wollen, wie Frauen funktionieren? Wie können Frauen schreiben - das, was sie wirklich schreiben wollen? Warum sind die heiligen Hallen von Wissen und Autorität fast ausschließlich Männern vorbehalten und wie kann man sich dazu verhalten? | Dass ich dieses Buch schon seit Ewigkeiten lesen wollte, daran hat mich Magarete Stokowski auf Instagram erinnert - sie hat das Vorwort für die aktuelle Ausgabe im Fischer Verlag geschrieben und fragt sich darin, inwieweit sich Woolfs Erkenntnisse und Einschätzungen mit der aktuellen Lage schreibender Frauen decken. Ihr Fazit ist frustrierend, der Text von Woolf nach wie vor aktuell. |
Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall | "Sie heißen Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde. Sie kennen sich, weil das Schicksal ihre Lebenslinien überkreuzte. Als Kinder und Jugendliche erlebten sie den Fall der Mauer, und wo vorher Grenzen und Beschränkungen waren, ist nun die Freiheit. Doch Freiheit, müssen sie erkennen, ist nur eine andere Form von Zwang: der Zwang zu wählen. Fünf Frauen, die das Leben aus dem Vollen schöpfen. Fünf Frauen, die das Leben beugt, aber keinesfalls bricht." (Klappentext) | Wie liebt man richtig? Ist man nur mit einem Partner an der Seite vollkommen oder gibt es auch andere Modelle, um als Frau ein erfülltes Leben zu führen? Wie lässt man los und wie fängt man neu an? "Die Liebe im Ernstfall" stellt diese Fragen, kreist in seinen vier Figuren, deren Sein mal sichtbar, mal zunächst unmerklich miteinander verbunden ist, um dieses systemische Zentrum und tastet sich auf dem Weg durch das patriarchale Spinnennetz. Natürlich bleibt man kleben, natürlich bleiben die Figuren kleben, natürlich muss man auf inhaltlicher Ebene überwiegend unbefriedigt aus dem Text gehen - denn so wirklich emanzipierend fällt die Antwort nicht aus. Dennoch: Sprachlich ist der Text gekonnt, leichtfüßig und unkompliziert - wir wechseln spielend zwischen verschiedenen Lebensrealitäten hin und her und bekommen Einblick in Probleme, Leidenschaften, Wünsche, Krisen, Lieben, nah und ungeschönt. |
Chimamanda Ngozi Adichie: We should all be Feminists | "Culture does not make people. People make culture. If it is true that the full humanity of women is not our culture, then we can and must make it our culture." (46) | In einem kleinen Büchlein von knappen 50 Seiten legt Adichie dar, was Feminismus ist und warum alle Mitglieder einer Gesellschaft gut daran täten, Feminist*innen zu sein. Der Text ist die überarbeitete Version ihres TEDTalks, den sie 2012 gehalten hat, greift viele wichtige und zentrale feministische Überlegungen und Forderungen auf und erlaubt darüber hinaus Einblicke in die nigerianische Gesellschaft. Was mich beim Lesen gestört hat, ist, dass Adichie in ihrem Text die Mann-Frau-Unterscheidung aufmacht (mit vielen klassischen Stereotypen), aber dabei bleibt - und die Probleme, die LGBTQI-Menschen haben, nicht mit einer Silbe erwähnt. Das mag dem Format geschuldet sein, wäre aber in der Nachbearbeitung in den Text integrierbar und wichtig gewesen. |
Dorothea Jöllenbeck: Zurück nach Hause* | Dorothea Jöllenbeck ist selbst schon lange erwachsen, als es ihren alten Eltern gesundheitlich immer schlechter geht und sie schließlich vor allem aufgrund der Krankheit ihrer Mutter wieder zuhause einzieht und sie schlussendlich beim Sterben begleitet. "Krisen sind zu bewältigen, Rollen neue zu finden, Kreise schließen sich. Und bis zuletzt bleibt Raum für Lebendigkeit und unerwartete Erfahrungen." | Eine Familiengeschichte und ein intensives Auseinandersetzen mit Tod und Abschiednehmen - Themen, die sonst eher tabuisiert sind und über die man nicht gerne nachdenkt. In diesem Text wird das, sehr privat und offen, getan. "Zurück nach Hause" ist gewissermaßen die realistischere Version von "Die Seele des Ganzen" - nur mit wesentlich mehr Differenzierung und Sensibilität, wenn auch die Sprache ein wenig besonders und altertümelnd wirkt (daran konnte ich mich beim Lesen schwer gewöhnen). |
Robert Seethaler: Das Feld | "Wenn die Toten auf ihr Leben zurückblicken könnten, wovon würden sie erzählen? Wäre es eine Geschichte oder die Erinnerung an einen Moment, an ein bestimmtes Gefühl, eine Regung?" Ein Mann sitzt auf einer Bank am Friedhof (dem "Feld") und aus den Gräbern hört er die Geschichten der Toten. Sie verbinden sich nach und nach zu einem Geflecht aus Gefühlen, Beziehungen, Abhängigkeiten, Funktionalitäten von Menschen in einer Kleinstadt. | "Das Feld" ist eines der poetischsten Bücher, die ich 2019 gelesen habe (wobei sich in diesem Jahr nicht viele Romane in diese Liste verirrt haben). Seethaler schreibt kraftvoll, nüchtern, der Wechsel zwischen den unterschiedlichsten Perspektiven gelingt ihm so mühelos, dass man als Lesende*r keine Mühe hat, dem erzählerischen Spiel zu folgen. Und man macht sich in halb voyeuristischer, ergriffener und kriminalistischer Manier auf den Weg, die Geschichten, die noch sehr lebendig sind, zu einem Ganzen zusammenzusetzen, das immer fragmentarisch bleiben muss. Große Empfehlung. |
Victoria Heyn: Besser naturbewusst leben* | "We don't need a handful of people doing zero waste perfectly. We need millions of people doing it imperfectly." (Anne Marie Bonneau) Victoria Heyn kennen viele sicherlich vom Account @naturlandkind auf Instagram. Dort teilt sie ihre Tipps für weniger (Plastik-)Konsum, ihre Leidenschaft fürs Gärtnern und ein unkompliziertes Leben. All' das findet sich in "naturbewusst leben" wieder - das Buch ist sozusagen eine Zusammenfassung ihrer Arbeit und gibt Wissen und praktische Tipps in allen Lebensbereichen an die Hand. | Dabei ist es herrlich unaufgeregt gestaltet und geschrieben - wichtige Informationen werden ohne viel Aufhebens vermittelt, die Fotografien sind, genau wie der Text, schlicht und realitätsnah gehalten. Ein perfektes Nachhaltigkeits-Nachschlagebuch, für alle, die noch danach suchen. |
Heather Cooper / Nigel Henbest: Space - Eine Entdeckungsgeschichte des Weltalls | Die meisten Mythen in der Astronomie, sagen Henbest und Cooper, sind genau das: Mythen. "Galileo hat das Teleskop nicht erfunden, und er war auch nicht der Erste, der damit in den Himmel blickte. Einstein hat weder Schwarze Löcher noch den Urknall vorausgesagt [...]." (9f.) Aber wie ist es dann gewesen? Das Schulwissen auffrischend, widerlegend und erweiternd, geben die beiden Autor*innen Einblick in den aktuellen (2016) Stand der Forschung und klären auf: über die Geheimnisse von Stonehenge über Kometen, Planeten, Asteroiden und Schwarze Löcher bis hin zur Frage, ob wir allein im Universum sind. | "Space" ist mir eher zufällig in die Hände gefallen, dann doch aber nicht mehr daraus entwichen. Vor allem, weil ich eine ausgeprägte Faszination für das Weltall (vollkommen unspirituell, übrigens) besitze. Mich fasziniert das Zusammenspiel von Materie und Anti-Materie, der Gedanke, dass alles mit Atomen angefangen hat und jetzt ich hier an einem Laptop sitze und digitale Botschaften ins Netz senden kann. Wie beeinflussen Planeten einander, was steckt eigentlich hinter den Sternen, die ich am Nachthimmel sehe und wie zum Teufel hat man das alles herausgefunden? "Space" gibt Antworten darauf und noch auf viel mehr - dabei so anschaulich beschrieben, dass ich als Laie gut mitkomme und ich mich fühle wie bei den "Mysterien des Weltalls". Fehlt nur noch die Synchronstimme von Morgan Freeman (Jürgen Kluckert), die mich immer so gut auf der Couch einschlafen und von fernen Galaxien träumen lässt. Cooper und Henbest wissen übrigens, wovon sie reden: Die beiden Astronom*innen forschen seit Jahrzehnten und produzieren regelmäßig BBC-Serien. Zwei Asteroiden sind nach ihnen benannt. |
Naomi Ryland / Lisa Jaspers: Starting a Revolution - What we can learn from female entrepreneurs about the future of business* | Wie führt man Unternehmen in Zeiten wie diesen - in denen die Klimakrise nicht mehr nur freundlich an der Haustür klopft, sondern dabei ist, im Wohnzimmer zu wüten? Vor allem: Wie macht man das als Frau* - ohne sich und die Mitarbeitenden auszubeuten oder die eigenen Ideale an Investoren zu verraten? | Naomi Ryland und Lisa Jaspers haben einen Leitfaden geschrieben für alle, die es besser machen möchten als den Status Quo. Sie erzählen offen und ehrlich von ihren Erfolgen und Fehlern - und vor allem von Frauen*, von denen sie gelernt haben und von denen auch die Lesenden eine Menge lernen können. Darüber, welche Teams langfristig am erfolgreichsten sind, was entgegen aller CEO-Manager-Ratgeber die wichtigsten Qualitäten für eine Chefin sind und wie moderne, flexible Unternehmen sich organisieren müssen, damit Mitarbeitende wie Menschen und nicht wie Arbeitsroboter behandelt werden. Ein Plädoyer gegen das Höherschnellerweiter-Paradigma mit spannenden neuen Perspektiven. |
Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten | Was ist Alltagsrassismus? Beziehungsweise: Wie äußert er sich und was kann man dagegen machen? Bin ich automatisch kein*e Rassist*in, weil mein*e Freund*in schwarz ist? Alice Hasters beschreibt die strukturellen Probleme mit Rassismus in Deutschland und illustriert sie an ihrer eigenen (Familien-) Geschichte. | Das macht sie sehr geduldig, obwohl sie sicherlich alle Argumente und Problematiken schon sehr, sehr oft mit sehr, sehr vielen Menschen besprochen hat und man ihr, genauso wie allen anderen BIPOC, nicht übel nehmen würde, wenn sie keine Lust mehr auf diese Aufklärungsarbeit hätte. Umso dankbarer bin ich für Bücher wie dieses, denn ich durfte eine ganze Menge lernen - über White Fragility, Tokenism, Cultural Appropriation, Kolonialismus und die nicht vorhandene Aufarbeitung, Sexismus und Fetischisierung, Sprache und Bildung. |
Ani Menua: Lost and Found | "Lost and Found" reiht Bilder aus der Zeit zwischen den Weltkriegen, gefunden auf den Flohmärkten dieses Landes, neben aktuelle Texte, die sich manchmal direkt auf das Abgebildete beziehen, ein andermal nur in einem indirekten Kontext dazu stehen. Gedichte wechseln sich neben Prosastücken ab, behandelt werden Themen wie Liebe, Freundschaft, Hoffnung und Unsicherheit, nicht zuletzt bezogen auf den fragilen historischen Kontext, der "Lost and Found" rahmt. | "Lost and Found" und den Kocmoc-Verlag habe ich zufällig auf Instagram gefunden und war gleich sehr angetan vom Konzept. Experimentiere Ansätze von Literatur fallen bei mir schnell auf fruchtbaren Boden, vor allem, weil ich selbst aktuell eher umkreativ in dieser Richtung unterwegs bin, das aber gerne ändern würde. "Lost and Found" regt zum Denken an und schlägt eine Brücke von Damals zu Heute, natürlich bleibt da nicht die Frage außenvor, inwieweit Geschichte zirkulär verläuft und was unserer Rolle heute ist - individuell wie gesellschaftlich. Und obwohl ich manche Begriffe und Prämissen in den einzelnen Texten sowie reproduzierte Stereotype fragwürdig finde, lohnt ein Blick doch, um genau diese Reflexionsprozesse anzuregen. Man liest ja nicht, um sich selbst bestätigt zu hören, jedenfalls hoffe ich das. Es ist ein leises Buch, das lange nachhhallt. |
Liv Strömquist: Der Ursprung der Welt | Was ist das eigentlich mit den weiblichen Geschlechtsteilen, im Speziellen der Vulva? Warum haben die Männer (extra nicht gegendert) so große Probleme damit? Warum gilt Menstruation als dreckig und eklig und war das eigentlich schon immer so? Mythen rund um das Menstruationsblut, unterschiedliche Theorien, wann eine Frau* schwanger werden kann, im historischen Querschnitt betrachtet, Faszination und Hass gegenüber dem weiblichen Körper und Sexualität in der kulturellen Entwicklung der Menschheit. Der Ursprung der Welt eben, zusammengefasst in einem so ambitionierten wie unterhaltsamen Comic. | "Der Ursprung der Welt" ist ein Buch, das ich gerne etwas früher gelesen hätte. Vor allem aufgrund der wirklich großartigen Aufmachung (früher habe ich gerne und viele Comics gelesen). Der Inhalt geht leicht von der Hand, ist ein Fest fürs Auge und obwohl einiges bekannt ist, wenn man sich ein wenig mit feministischer Literatur beschäftigt (wobei ich noch Einsteigerin bin), zeigt Strömquist interessante Querverbindungen zwischen unterschiedlichen Themen auf, gibt einen Crashkurs in Denktraditionen bis in die Antike und erweitert so (mit Fußnoten alles belegt) humorvoll den Horizont. Dennoch: Man muss das Buch mindestens zweimal lesen, um alles behalten zu können. Das Format täuscht ein wenig darüber hinweg, wie viel guter Inhalt drinsteckt. (Es gibt noch zwei andere Bücher von ihr, sie wurden mir beide ebenfalls wärmstens ans Herz gelegt.) |
Jeanette Winter: Greta - Wie ein kleines Mädchen zu einer großen Heldin wurde | Warum sprechen im Moment alle von Greta? Wer ist sie und woher kommt sie? Was hat sie gemacht, das sie auf die Titelseiten und Bildschirme der ganzen Welt gebracht hat? Jeanette Winter versucht, in einfachen Worten, wenigen Sätzen und mit der Unterstützung durch große Illustrationen das Phänomen Greta für kleine Kinder zu erklären. | Das ist - zumindest aus meiner Laienperspektive, die ich wenig mit kleinen Kindern zu tun habe - gut gelungen: Einfach, aber präzise umreißt die Autorin, was Greta geleistet hat und leistet. Die Illustrationen laden genauso wie die Komplexität des Themas, die bei aller kindgerechten Aufbereitung immer noch vorhanden ist, zum gemeinsamen Besprechen des Inhalts beim Lesen sein. Am schönsten finde ich persönlich die motivierende Message: Greta ist nicht alleine, sondern vor allem durch die Unterstützung der vielen anderen Kinder so laut und stark geworden. Und: Wir alle können mit unserer Stimme etwas verändern. Ein Mutmachbuch. |
Luia Strömer / Eva Wünsch: Ebbe und Blut - Alles über die Gezeiten des weiblichen Zyklus | Wie groß ist eigentlich die Klitoris? Wann kann eine Frau schwanger werden? Welche Verhütungsmethoden gibt es und wie sicher sind die? Welche natürlichen Pflanzen helfen bei Menstruationsbeschwerden? Die Anatomie der weiblichen Geschlechtsorgane war wie noch gleich? Und der Zyklus funktioniert...wie? | Zahlreiche Fragen, noch mehr Halbwissen kursiert über den weiblichen Körper - Ströme und Wünsch rücken dem mit Humor, knackigen Texten und kreativen Collagen zu Leibe. Die Zielgruppe: Junge Frauen, die noch nicht ganz so aufgeklärt sind, wie man hoffen würde. Weil über die Weiblichkeit eben immer noch nicht ausreichend gesprochen wird. Jedes Buch, das dem Abhilfe schafft, ist extrem gerne gesehen von mir. Die beiden Autorinnen haben das verfügbare Wissen gut und in Nachschlagwerk-Manier aufgearbeitet, lediglich neuere begriffliche Diskurse ("Schamlippen" - "Vulvalippen") sowie die Tatsache, dass nicht alle menstruierenden Menschen Frauen sind, sind leider nicht im Buch festgehalten worden. Auch die Bewertung der NFP-Methode zur Verhütung (sie sei eher geeignet, um schwanger zu werden als um das Gegenteil zu erreichen) scheint mir etwas undifferenziert auszufallen, was schade ist. Insgesamt dennoch ein Buch, in das ich definitiv öfter reinschauen werde. |
Die mit einem * markierten Titel wurden mir geschenkt oder als unverbindliches Rezensionsexemplar zugesandt. / Mit dem Klick auf “Weiter” kommt ihr zu allen Beiträgen in der Tabelle.
Mein Lesejahr 2019 war also einigermaßen intensiv. Ich habe viel gelernt, mittlerweile aber wieder das Gefühl, viele Bücher noch einmal lesen zu müssen, weil ich schon wieder so viel vergessen habe und man manche Texte einfach auch nicht oft genug lesen kann.
Ich habe (wieder einmal) gelernt, wie viel ich noch nicht weiß und Ehrfurcht bekommen vor allem vor allen Frauen*, die schreiben, verdammt gut und lange schreiben, Vorbilder gefunden und neue Ziele für das eigene Arbeiten gesteckt.
Lieblingszitate (eine Auswahl)
Und natürlich habe ich wieder viel markiert, an den Rand geschrieben, Post-its verbraucht und Notizen gemacht, Querverweise gesehen, verfolgt und versucht, einigermaßen zu ordnen. Und Lieblingssätze rausgeschrieben. Ein paar folgen hier:
“There is no ‘work you’ and ‘home you’. There is no ‘boss you’. There is just you. What a relief to be able to stop trying to be something that you are not – just think how much energy you can save.” (Starting a revolution, 50.)
Wir haben uns nicht nur an Katastrophenbilder, reißerische Überschriften und Weltuntergangsszenarien gewöhnt, sondern eben auch an das Gefühl der Machtlosigkeit. Mit anderen Worten ist die durch unseren Medienkonsum antrainierte erlernte Hilflosigkeit nichts weiter als eine Gewohnheit inklusive entsprechender Erwartungshaltungen. Mit der modernen Medienwelt konfrontiert, muss unser Gehirn, metaphorisch gesprochen, täglich kurz vor der Überhitzung stehen: Es ist, wie unser Körper, biologisch nicht auf eine Welt ausgelegt, in der ständig der Weltuntergang droht. (Schluss mit dem täglichen Weltuntergang, 49.)
Wir leben in einer visuellen Welt, in der Sehen Glauben heißt, und deswegen bemühe ich mich vor allem um Ehrlichkeit. (Tasha Bishop in The Future is Female, 285.)
Zu irgendetwas sind wir immer, damit wir etwas dagegen kaufen, wir werden klein gehalten, um uns groß zu konsumieren, halt, stopp. (Karla Paul in The Future is Female, 242.)
Eine Feministin, die nur für die Rechte von Frauen kämpft, die so aussehen wie sie selbst, ist keine. (Scarlett Curtis in The Future is Female, 224.)
Der Fortschritt ist kein automatisches Update. Er muss immer wieder aufs Neue erkämpft werden. Von allen. Egal wie. Das Gute ist: Man muss nirgends beitreten, um dabei zu sein, man braucht keine Uniform, man kann sich für Mode interessieren und Crémant trinken, und trotzdem Feministin sein. Man kann guten Sex haben oder gar guten Humor und trotzdem Feministin sein. Es ist kein Luxus, es ist Notwendigkeit.” (Katrin Bauerfeind in The Future is Female, 99.)
Es gibt eine Menge Dinge, die verlorengingen, wenn uns allmählich die kognitive Geduld abhandenkäme, in jene anderen Welten einzutauchen, die unsere Bücher erstehen lassen, und in die Leben und Gefühle der ‘Freunde’, die diese bewohnen. Und auch wenn es eine wunderbare Sache ist, dass Film und Fernsehen ein solches Eintauchen in gewissem Maße auch ermöglichen, so besteht doch ein fundamentaler Unterschied zu Art und Ausmaß des Versenken, da durch das Eintauchen in das ausformulierte Denken anderer Menschen möglich wird. Was wird mit jungen Lesern geschehen, die nie mit den Gedanken und Gefühlen von jemand konfrontiert werden, der völlig anders ist als sie selbst, um diese allmählich begreifen zu lernen? Was wird mit älteren Lesern passieren, denen allmählich der Zugang zu jenem Gefühl der Empathie zu Menschen außerhalb ihrer Familie oder ihres Erfahrungsbereichs abhabenkommt? Das Ganze ist ein geradezu todsicheres Rezept für unbeabsichtigtes Unwissen, Angst und Missverstehen, die zu aggressiven Formen von Intoleranz führen können […].” (Schnelles Lesen, langsames Lesen, 65.)
Ich werde wahrscheinlich nie ein impulsiver oder aggressiver Menschen werden. Muss ich auch nicht, um mich zur Wehr setzen zu können. Das, was man braucht, ist Mut. Mut, sich verletzlich zu zeigen und anderen zuzumuten, sich in solchen Situationen genauso unwohl zu fühlen wie man selbst. (Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten, 41.)
Wir werden aus Bildern von uns selbst gebaut, heimgesucht vom Spuk unserer eigenen Vergangenheit, des letzten Jahres, der letzten Woche, des #throwbackthursday. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, tote Bilder von uns selbst heraufzubeschwören, uns fällt gar nicht mehr auf, dass wir umgeben von Gespenstern leben, und so bleibt es unseren Künstlern überlassen, uns ernsthaft zu ängstigen, uns das wieder neu zu zeigen, was uns längst zur zweiten Natur geworden ist. (Freiheiten, 250.)
Es gibt noch viel mehr Sätze, die mir hängengeblieben sind, die meisten sicherlich auch unbewusst – das hier kann nur eine fragmentarische und nicht nach Wichtigkeit sortierte Auswahl sein (in Vom Ende der Einsamkeit gab es auch viele, die ich mir am liebsten direkt auf die Tapete über dem Bett geschrieben hätte).
Aber vielleicht inspiriert dieser Leserückblick für die eigene zukünftige Bücherauswahl.
Auf ein fantastisches neues Lesejahr!
[…] wachsender Beliebtheit erfreut. Vor kurzem habe ich durch die Lektüre von Starting a Revolution (eine Kurzrezension gibt es unter anderem hier) einen genaueren Einblick in die Motivation und Struktur hinter Wildling bekommen und bin […]
Oh nein wie toll ist das denn?! Danke, dass du das mit uns teilst, ich suche eh immer neuen Lesestoff und finde es so schwer etwas ohne Empfehlung zu finden.
Tausend Dank und alles Liebe für dich,
Ulli
Liebe Ulli,
super gerne – ich freu’ mich, dass du was für deine Lesepläne 2020 mitnehmen kannst. 🙂
Liebe Grüße an dich!
Jenni