Nach dieser sehr aktivierenden und gleichzeitig auslaugenden Reise gehört der Rest des Urlaubs der Familie (wir waren bisher viel zu wenig auf Besuch und ändern das jetzt), Freund*innen der Familie, die irgendwie auch Familie sind, weil alle in den Dörfern irgendwie dazugehören und angeheiratet sind und passenderweise dem Besuch einer Dorfhochzeit weit draußen im Tarsus.
Wir spazieren durch Olivenhaine (ein Onkel produziert sein eigenes Olivenöl) und diskutieren über Pestizide. Wir sitzen unter Maulbeerbäumen (ich esse das erste Mal frische Maulbeeren direkt vom Zweig) und unterhalten uns übers Heiraten und die Dorfgemeinschaft. Ich sitze als Dunkleblondling dazwischen und werde mal bewundert (scheinbar gelten helle Augen und blonde Haare als Schönheitsideal, wobei ich gar nicht so sehr blond bin, aber gut), mal schief angesehen (meist von den älteren Herrschaften).
Wir bekommen Melonen geschenkt (auch von einem Onkel) und ich beobachte einen zehnjährigen Neffen, der an einem Tee-Abend in der Stadt zum ersten Mal ein richtiges Eis bekommt und es langsam und andächtig isst.
Ich sehe gebotoxte Gesichter dort, wo ich sie am allerwenigsten erwartet hätte (in einem abgelegenen Bergdorf) und tätowierte Fotografen am selben Ort. Ich muss meine Vorurteile eingestehen und lasse mehr Differenzierung zu als noch vor ein paar Jahren, das ist ein Lernprozess, soll noch einer sagen, Reisen bilde nicht.
Ich werde aufgefordert, nun doch endlich Türkisch zu lernen, man wolle sich schließlich anständig mit mir unterhalten. Ich sehe, in dieser Familie herrscht das Matriarchat, unangefochten, es ist herrlich, das zu spüren.
Ich sehe aber auch: den Dreck, das Plastik, die Nachlässigkeit, alles wegzuwerfen, wo man geht und steht und ich komme an die Grenzen meiner Erklärungsmöglichkeiten und Empathie. Ich sehe das Blut nach dem Opferfest, tote Kadaver, für die man sich nicht einmal Mühe gemacht hat, sie in die Mülltonne an der Straße zu werfen, sondern am Gehweg liegenließ.
Ich sehe die Hoffnung, mit der vor allem die Jungen mich ansehen, ich komme aus einer Welt voller Möglichkeiten und kann ihre Sehnsucht manchmal fast mit den Händen greifen.