Ich habe Klima-Angst.
Es hat lange gedauert, bis ich das verstanden habe und noch länger, bis ich den richtigen Begriff dafür fand. Vielleicht hat er auch mich gefunden, ich weiß es nicht so genau.
Fest steht: Seit ich zum ersten Mal von Klima-Angst las, oft auch in Verbindung mit dem Hashtag #ecoanxiety, lassen mich beide Worte nicht mehr los und erklären viele meiner aktuellen Gemütszustände.
“Eco-anxiety is anxiety about ecological disasters and threats to the natural environment such as pollution and climate change. Variations to the definition exist such as the broader description explaining it as the “worry or agitation caused by concerns about the present and future state of the environment.” ” (Wikipedia)


Zu wissen, dass die Erde brennt und das gerade erst der Anfang ist, und gleichzeitig das eigene Leben irgendwie weiterführen zu müssen, das ist ein Spagat, der mir nicht immer gut gelingt und dann sitze ich da und die Frage nach dem Sinn des Lebens bekommt vor dieser Kulisse eine so gewaltige Dimension, dass sie mir den Atem raubt.
Wie geht man mit Klima-Angst um?
Da ich Zeit meines Lebens immer mal wieder am Rand der Depression entlangbalanciere, sind Phasen, die mich sehr herunterziehen, für mich keine Neuigkeit und ich kann damit einigermaßen gut umgehen, mittlerweile jedenfalls.
Wenn die Arme und Beine schwer werden und der Kopf sich im Kreis dreht, langsam und doch irgendwie viel zu schnell und alles nie irgendwo ankommt und man gleichzeitig den Eindruck hat, ausbrechen zu müssen aus diesem sich selbst erbauenden unsichtbaren Gefängnis – das kenne ich alles und es kommt wieder, manchmal, wenn ich an das Klima denke und was wir in den letzten 30 Jahren Konsumparty eigentlich angerichtet haben.
Und daran, dass wir weitermachen, zum Großteil jedenfalls, obwohl wir es besser wissen.


Den Glauben zu behalten, dass etwas zu ändern ist, fällt schwer. Wenn man sich nur die nackten Fakten anschaut, hat man tatsächlich den Eindruck, the house is on fire, wir rasen ungebremst auf den Abgrund zu.
Die Apathie lockt und es ist verführerisch, ihr nachzugeben.
Warum soll ich mich anstrengen, wenn Millionen Menschen sich immer noch keinen Deut um eine nachhaltige Zukunft – um überhaupt irgendeine Zukunft auf diesem Planeten – scheren? Welchen Sinn hat dann dieser ganze tagtägliche Kampf, dieses Ressourcen-Aufwenden, das Investieren? Ich könnte mein Leben auch in einem angenehmen Nebel der Ignoranz verbringen.
“Angst vorm Klimawandel zu haben ist erst mal nicht krankhaft, sondern eine logische Reaktion auf eine mögliche Gefahr. Ängste sind nötig um sich vor Folgen einer Bedrohung zu schützen. Somit ist Klima-Angst sogar positiv. Wer sich fürchtet kommt in die Handlung. Ein Problem ensteht bei Ängsten nur, wenn sie einen großen Leidensdruck erzeugen, das eigene Leben einschränken und die Gedanken ständig um potenzielle Horrorszenarien kreisen.” (@klimaangst / Instagram)
“Akzeptiere deine Klima-Angst, sie ist natürlich und gut. Aber die Welt braucht deinen klaren Kopf.”
(@klimaangst / Instagram)
Der Kassenbon reicht nicht, um die Welt zu retten
Ich habe das Recht, ein Leben zu führen, das mich erfüllt und glücklich macht. Aber dieses Recht haben auch alle anderen Menschen auf dieser Welt. Aus meiner privilegierten Position heraus habe ich die Verantwortung, mein eigenes Leben so zu gestalten, dass möglichst niemand anderes dadurch in seinen Träumen eingeschränkt oder verhindert wird.
So die idealistische Vorstellung, die dann auf die harten Tatsachen von Postkolonialismus, Rassismus, Gender Pay Gap, die weiter aufgehende Schere zwischen Arm und Reich und dem Gefälle zwischen globalem Norden und Süden trifft.
So, wie die Welt heute aussieht, kann ich es gar nicht wirklich richtig machen – egal, wie sehr ich aufpasse und wie aware ich in meinen Gedanken und Handlungen bin. Ich kann nur versagen.
Und genau diese Tatsache hat dazu geführt, dass ich nicht mehr apathisch und überfordert, sondern vor allem eines bin, wenn ich an die Klimakrise denke: wütend.
Viele Menschen trauen mir diese Emotion gar nicht zu, weil ich so in mir zu ruhen scheine und sehr ausgeglichen wirke. Und überhaupt sind wütende Frauen* ja noch immer irgendwie ein Problem. Aber ich schweife ab.


Ich bin furchtbar wütend.
Ich bin wütend, weil ein Großteil der Menschen nach wie vor die Augen verschließt und weiterlebt wie bisher – und das, obwohl sie die Ressourcen hätten, es anders zu machen.
Ich bin wütend, weil es immer noch keine weitreichenden politischen Beschlüsse gibt, die wenigstens den Versuch machen, der Klimakrise Herr zu werden. Immerhin werden nach und nach Einwegplastikprodukte verboten (viel zu verspätet), aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn solche gewichtigen Dinge wie Braunkohle, Verkehr und Massentierhaltung nicht angegangen werden.
Ich bin wütend auf den Lobbyismus für alteingesessene Industrien, die nur an sich und ihre Gewinnmaximierung denken, in deren Vorständen oftmals Menschen sitzen, die die gravierenden Folgen der Klimakrise nicht mehr zu spüren bekommen werden, weil sie viel zu alt dafür sind und vorher sterben werden.
Ich bin wütend, dass die Industrien, die den ganzen Mist verzapfen, es geschafft haben, die Verantwortung dafür allein auf die Konsumierenden abzuwälzen. Frei nach dem Motto: Ja, also wir produzieren das Produkt zwar – aber du bist halt selber Schuld, wenn du es kaufst. No matter, ob wir schon fast ein Monopol damit errichtet haben oder nicht.
Und ich bin wütend darüber, dass so viele Menschen das glauben.
Excuse me, dein Biogarten ist ja ganz nett und es ist toll, dass du nur ökofaire Produkte kaufst. Aber das wird die Welt nicht retten, so hart das auch klingt und so unbequem das ist.
Es reicht nicht, wenn ein paar Wenige (die es sich leisten können und wollen) bewusst konsumieren, wenn ein Großteil der Weltbevölkerung sich das nicht leisten kann oder will (oder beides).


We need system change
“Wer sich für das Richtige einsetzt, tut das nicht, weil er glaubt, es wird funktionieren. Er tut es, weil es das Richtige ist. Ethisches Handeln muss nicht skalierbar sein, um ethisch zu sein.” (Rebecca Solnit)
Die kleinen Schritte zählen und sind wichtig und irgendwo müssen wir anfangen. Richtig. Aber – ich wiederhole mich: Das reicht nicht.
Viele von uns bequemen sich gerade eben erst, ihren Konsum zu hinterfragen und zu schauen, wen sie mit dem Griff ins Portemonnaie überhaupt unterstützen. Das ist gut und wichtig – aber wir sind leider zu spät dran.
Mit dem Tempo, in dem wir als Gesellschaften des globalen Nordens gerade vorwärts kriechen, wird das nichts mit der Weltrettung.
(Ich beschränke mich ausdrücklich auf den globalen Norden, weil er nachweislich die größte Verantwortung an der Klimakrise trägt, ergo die meisten Emissionen ausstößt.)
Wir haben – großzügig gerechnet – noch 12 Jahre, bis wir die Kipp-Punkte überschritten haben.
Vielleicht sind die ersten schon in 2-4 Jahren überschritten, so genau weiß das niemand. Vor allem, weil sich gerade die letzten Entwicklungen viel schneller vollzogen haben als die meisten Wissenschaftler*innen berechnet hatten.


Bis Bio-Vegan im Lebensmittelbereich den Weg aus der verstaubten Reformhausecke in die Regale der Supermärkte geschafft hatte, haben wir über 30 Jahre gebraucht. Und auch, wenn sich die guten Nachrichten mehren und die Entwicklung schneller geht, sind wir immer noch zu langsam. Davon, dass ökofaire Mode nach wie vor die wenigsten Menschen auf dem Schirm haben, ganz zu schweigen.
Das Klein-Klein der Konsumumorientierung und die humanistische Hoffnung auf die aufgeklärten Bürger*innen haben uns nicht wirklich weitergebracht, wenn wir ganz ehrlich sind.
“Klimaschutz ist ein gutes Beispiel für die Tragik der Allmende: Ein Allgemeingut, in diesem Fall die Natur, ist kostenlos und für alle verfügbar. Weil aber Menschen häufig lieber an sich als an die Gemeinschaft denken, nimmt sich der oder die Einzelne oft mehr heraus als notwendig. Denn das eine Auto mehr auf der Straße, das eine Steak mehr auf dem Teller macht doch keinen Unterschied. Oder?” (ZEIT)
Deswegen brauchen wir vor allem zwei Dinge:
- einen Systemwandel und die Bereitschaft, ihn in die Wege zu leiten (Aktivismus)
- Die Erkenntnis, dass wir nur als Gemeinschaft(en) überleben werden, nicht als Einzelkämpfer*innen
Punkt 2 kommt vor Punkt 1.
Und zusammen mit Punkt 2 kommt sie: die Hoffnung.
Von Klima-Angst zu Klima-Hoffnung


In Abgrenzung zu den anderen, selten mit ihnen.
Die Schizophrenie dieser Sozialisierung wird uns spätestens dann bewusst, wenn wir uns Gedanken um Steuern und solche Dinge machen, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Aber Moment… Da bin ja auch wieder nur ich diejenige, die einzahlen muss und die anderen kommen sowieso immer viel besser weg als ich!
Ich weiß nicht genau, woher dieses nagende Mangel-Gefühl kommt, das viele von uns mit sich herumschleppen. Wir sind nicht genug, wir haben nicht genug, wir können nicht genug machen, wir leben irgendwie nicht genug. In einem der reichsten Länder der Welt, mit einem Lebensstandard, der niemals in der Menschheitsgeschichte höher war.
Aber da sind wir nicht hingekommen, weil wir alle alleine vor uns hingewerkelt haben. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe, eine von vielen Generationen und vielen Menschen, auf deren Schultern wir stehen.
Ich mag den Gedanken, gemeinsam etwas zu schaffen, das besser sein kann als das, was wir bereits haben.
Denn Entwicklungen gehen – ich hatte es eben schon einmal angerissen – nicht nur nach vorne und wir haben nach wie vor viele Probleme, die es anzugehen gilt und die eng mit dem Klimawandel verbunden sind.


Soziale Gerechtigkeit, die Frage, wie wir in Zukunft arbeiten, wie wir essen, was wir kaufen, wie wir wohnen und wie wir unsere Freizeit gestalten, wie unsere Gesundheits- und Altersvorsorge aussieht – das alles kann nicht unabhängig von Klimafragen betrachtet werden, wie es in der Vergangenheit fast ausschließlich passiert ist.
Und ich glaube, wir haben keine Wahl: Wir haben nur gemeinsam bis hierher überlebt und wir werden auch das nur gemeinsam überleben. Karriere-Ego ist hier fehl am Platz.


Das ist, denke ich, auch der Grund, weshalb Straßen-Aktivismus im großem Stil wiederkommt: Demonstrationen und gemeinsame Aktionen sind ein erster Vorgeschmack auf das, was viele Menschen mit einer gemeinsamen Hoffnung erreichen können. Dort passiert das Wunder vom gleichzeitigen Krafttanken und -Weitergeben, die Energien, die dort freiwerden können, sind unbeschreiblich – unabhängig von der wichtigen politischen Botschaft, die dort gesendet wird.
“Jeder Mensch findet etwas in dieser Welt, für das er zu kämpfen bereit ist. Sicherheit, Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Mitbestimmung. Es ist eine völlig berechtigte Hoffnung, dass eine Krise, die die Voraussetzungen menschlichen Lebens auf der Erde infrage stellt, auch eine Politik beiseite wischen kann, die unser Leben unsicherer, unfreier, ungerechter und fremdbestimmter macht. Die Klimakrise ist das vielleicht stärkste Symbol, das die Menschheit je hatte, um Veränderungen umzusetzen.” (Rico Grimm, Krautreporter)
Ich habe als introvertierte Sensible häufig Probleme mit großen Menschenmassen. Zu laut, zu chaotisch, ich habe keinen Überblick und weiß nicht, worauf ich meine Aufmerksamkeit als erstes richten soll, meine Energie wird rasant abgezogen, weil ich mich auf so viele Dinge konzentrieren muss. Trotzdem gehe ich immer wieder aus meiner Comfort Zone raus. Weil es für mich möglich ist, es wichtig ist und weil wir zum einen keine Zeit und zum anderen eine unfassbare Gelegenheit vor unserer Nase haben.
Und ich am Ende viel mehr gewinne, als wenn ich zuhause bleibe. Vielleicht könnte ich das hier schon nicht mehr machen, wenn ich nicht zwischendurch die Kraft der Masse tanken und die Klima-Angst leiser und die Hoffnung größer werden würde.
Hast du Klima-Angst? Wie gehst du damit um?
P.S.: Am 20.9.2019 ist globaler Klimastreik. Alle sind aufgerufen, mitzumachen, viele nachhaltige Labels machen ihre Shops dicht und gehen ebenfalls auf die Straße. Eine wichtige Gelegenheit, Hoffnung zu tanken und was zu bewegen.
Lesenswertes zu Klima-Angst:
- Waste No Thyme hat ebenfalls vor kurzem einen Artikel zu #ecoanxiety geschrieben.
- Der Artikel von Krautreporter zur Klima-Angst ist ein richtiger Longread (mehr als dieser hier!), lohnt sich aber unfassbar.
- Auf Instagram setzt sich Jan Lenarz (Mitgründer von Ein guter Verlag) unter dem Account @klimaangst mit der psychischen Stabilität in Zeiten der Klimakrise auseinander.
- Das Buch “Schluss mit dem täglichen Weltuntergang” von Maren Urner ist ein guter Reality Check und eine Mahnung, bewusster Nachrichten zu konsumieren.
[…] und die damit verbundenen Konsequenzen. Auch immer mehr Blogger*innen bekennen sich dazu, große Angst vor den Folgen des Klimawandels zu haben und sich in diesem Atemzug gelähmt zu fühlen… Wir bekommen inzwischen auch von unseren Leser*innen Zuschriften, in denen diese beschreiben, wie […]
[…] versuche ich, mein Privatleben so gut es geht zu pflegen und trotz allem (vor allem schrillender Klimaalarmglocken) den Sommer zu genießen, mit Decke im Park und einem großen Becher voller Eis in drei […]
[…] Wenn ich aber zurückblicke und meine Entwicklung zusammenfassen sollte (wie man das ja gerne macht, wenn es auf das Jahresende zugeht), würde ich sagen: Ich habe mich von einer ethischen Veganerin, die doch sehr intensiv überzeugt an die moralische Richtigkeit der eigenen Handlungen geglaubt und das zur Triebfeder ihres (neuen) Lebens gemacht hat, zu jemandem entwickelt, die vor allem die größeren Aspekte beleuchten möchte. […]
So toll Jenni! Ich bin froh, dass du das Thema ebenfalls aufgegriffen hast, denn es ist so so so wichtig und man kann sich gar nicht genügend Gedanken dazu machen.
Liebst,
Ulli
Liebe Ulli,
danke dir für deine lieben Worte – ich finde auch, dass das ein ganz wichtiges Thema ist und musste mich unbedingt ein wenig darüber auslassen.
Liebe Grüße an dich!
Jenni
Sehr schöner Artikel zu dem Thema und dem Problem, mit dem sicher viele die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen zu kämpfen haben…
Mir passiert es dabei auch oft, dass ich durch eine Instagram Blase (ich folge vielen Öko Influencern) guter Dinge bin und das Gefühl bekomme “jeder weiß ja eigentlich Bescheid und so langsam werden immer mehr und mehr Menschen zum Umdenken angeregt”
Wenn man sich dann aber wieder mit Menschen im echten Leben austauscht, wird einem ganz schnell klar, dass das so leider noch nicht wirklich ist und noch viel Gegenargumente geliefert werden, von denen man dachte, dass jeder bereits weiß dass diese nicht zutreffen… da fühle ich mich oft danach auch etwas verzweifelt und angestrengt…
Liebe Grüße
Pauline <3
https://mind-wanderer.com/2018/08/30/we-drown-in-plastic/
Hallo Jenni,
wow. Du fasst es immer wieder, dieses Gedankenwabern aus meinem Kopf zu nehmen und in sinnvolle (und wunderschöne) Worte zu verpacken. Ich habe deinen Artikel grade mit Tränen in den Augen und einem bestätigenden Nicken gelesen. Ecoanxiety is real und sobald ich auch nur einen Gedanken daran zulasse (was ich im Alltag so häufig wie möglich versuche zu unterdrücken), dann schwillt mein Hals zu, mein Herz rast schneller und ich bin, genau wie du, einfach nur wütend. Nur bleibt die Hoffnung bei mir noch aus, auch wenn deine “Lösungsansätze” dazu gut beitragen könnten.
Vielen Dank für deine Worte!
Cosima
Liebe Cosima,
ich danke dir für deinen lieben Kommentar und freue mich, dass dir meine Texte im Generellen und auch dieser hier im Speziellen dir so gut gefallen.
Ich kenne das so gut – je mehr man weiß, desto hoffnungsloser scheint alles zu sein. Und man darf sich nicht täuschen lassen: Obwohl ich die Strategien und Tipps kenne, ist es natürlich manchmal besonders schwierig, sie auf sich selbst anzuwenden. Manchmal habe ich daher auch Tage, an denen ich in Verzweiflung versinken möchte.
Aber die Hoffnung wage ich nicht aufzugeben – was bliebe dann sonst?
Liebe Grüße an dich!
Jenni