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Ich schreibe diesen Blog seit August 2015. Wow, das ist eine ganz schön lange Zeit – und ich war mir zu Beginn ehrlich gesagt nicht sicher, wie lange ich das durchhalten würde. Das Arbeiten am Blog (und den zusätzlichen Social-Media-Kanälen), aber auch das nachhaltigere Leben, dem ich mich zur exakt dieser Zeit verschrieben hatte. Ich wusste nicht, wohin mich diese Reise führen würde, womit ich hadern und was mir schnell in Fleisch und Blut übergehen würde. Was ich lernen und verlernen würde.
Der letzte Punkt scheint mir fast der wichtigste zu sein: Meine Lernkurve der letzten 5½ 6 Jahre war enorm steil. Ich habe mich nicht nur fachlich weitergebildet, sondern auch viel gelernt, was über den klassischen Bildungskanon hinausgeht und mich in Themen eingearbeitet, die für viele Menschen zu diesem Zeitpunkt noch völlig neu waren. In letzter Zeit habe ich öfter das Bedürfnis, zurückzuschauen. Here we go.
Phase 1: Save the animals!
Angefangen hat alles mit dem Buch “Tiere essen” von Jonathan Safran Foer. Der war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht wirklich ein Begriff, aber irgendwie fiel das Buch in meine Hände. Zu dem Zeitpunkt war ich bereits seit 6 oder 7 Jahren Vegetarierin (ich habe mit 15 oder 16 Jahren aufgehört, Fleisch und Fisch zu essen) – so ganz neu war ich also nicht im Thema.
Was genau alles unter anderem in der Milchindustrie abgeht, war mir trotzdem nicht klar. Foers Buch hat mir, wie so vielen anderen auch, die Augen geöffnet. Am nächsten Morgen ging ich zum Kühlschrank: Alles voll mit Käse, Milch, Eiern und Joghurt. Plötzlich ertrug ich den Anblick nicht mehr und verschenkte alles in einer überstürzten emotionalen Aktion an die örtliche Tafel. Mir war unerklärlich (und ist es bis heute), wie solche Zustände hingenommen und sogar staatlich gefördert werden konnten. Ist das, was Menschen sind? Ist das, was wir sein wollen?
Phase 2: Ich bin verantwortlich
Ich beschloss, dass ich nicht mehr für so viel Leid und einem Verhalten, das komplett meinen ethischen Überzeugungen widersprach, verantwortlich sein wollte. Ich zumindest wollte es anders machen und den Dissens zwischen Werten und meinem Handeln aufheben.
Dabei beschränkte ich mich zunächst auf das Wohlergehen der Tiere – ich wurde also aus tierethischen Gründen vegan. Klimafaktoren, Gerechtigkeitsüberlegungen und auch die Frage nach der Finanzierbarkeit eines solchen Lebensstandards stellte ich mir erst später – obwohl wir selbst zu dem Zeitpunkt sehr wenig Geld hatten.
Mir war allerdings eine entscheidende Einsicht gelungen: Ich hatte über meinen eigenen Tellerrand aus Alltag und Funktionieren innerhalb des Systems zum ersten Mal hinausgeschaut. Was ich sah, erfreute mich nicht. Und ich dachte: Da muss ich doch was tun!
Ohne es zu wissen, drehte ich an einem wirkmächtigen Hebel, der mein Leben, das meines Partners und vieler Menschen in meinem direkten Umfeld auf mehreren Ebenen nachhaltig verändern sollte. Nach einer anfänglichen Konfliktphase – immerhin war das ein sehr radikaler Umbruch – näherten wir uns an und ich stellte fest, dass andere Menschen sich eher bereiterklären, Dinge auszuprobieren, wenn sie ihnen mit Freude vorgelebt werden. Jetzt sind S. und zwei meiner Schwestern überzeugte Veganer*innen und auch Mama reduziert ihren Tierproduktekonsum deutlich. Ich musste keine langen Reden halten, nur immer wieder ziemlich gutes Essen mitbringen. Die Informationen kamen dann aus anderen Quellen – und bestätigten meine Aussagen. Der Grundstein war gelegt und mir wurde klar: Was wir verändern, hat immer auch Einfluss auf andere. Meine Verantwortlichkeit hört nicht bei mir auf.
Phase 3: Überforderung
Genau diese Einsicht überforderte mich irgendwann: Ich hatte erkannt, dass ich auch Rücksicht darauf nehmen muss, wo meine Kleidung herkommt und unter welchen Umständen sie produziert wird – und dass ich diese Vorgehensweise auf alle Waren und Dienstleistungen in meinem Leben ausdehnen muss. Das erschien mir eine enorme Verantwortung zu sein – zumal die einzelnen Bereiche ineinander verquickt sind und ein komplexes, oft schwer zu überschauendes Ganzes bilden, zu dem Informationen mit viel Zeit- und Energieaufwand zugänglich sind.
In meinem Leben stand ich plötzlich vor zahlreichen Dilemmata: Was ist besser – Sachen im Glas oder in Plastik zu kaufen? Soll ich jeden Einkauf unverpackt machen – auch, wenn ich sehr viel Zeit damit verliere und das deutlich mehr kostet, als kurz um die Ecke zum kleinen Lädchen zu gehen? Welcher Ökostrom-Anbieter ist der beste? Wo soll ich mein Geld lagern? Was für Siegeln kann ich trauen? Ist vegan immer die beste Alternative für alle?
Und überhaupt: Was ist eigentlich mit den anderen? Warum machen so viele Menschen nicht mit? Sind die wirklich alle ignorant und unwissend – oder steckt da mehr dahinter?
Phase 4: Wir sind verantwortlich
Ich begann, mich mit gesellschaftlichen und politischen Strukturen zu beschäftigen – und zoomte aus meinem eigenen Alltag mit seinem begrenzten Handlungsspielraum auf das größere Ganze. Ich stieß auf zahlreiche Diskriminierungsformen, die viele Menschen innerhalb der (lokalen und globalen) Gesellschaft Zeit, Energie und nicht selten das Leben kosten. Ich realisierte: Auch hier müssen wir etwas tun – diese Probleme sind zu groß für einzelne Personen. Vor allem, weil es erst eine Mehrheit an Menschen braucht, um sie zu erschaffen und aufrecht zu erhalten.
Nach einigen Monaten wurde mir klar, dass diese Dinge miteinander zusammenhängen: Die Ausbeutung von Tieren, Natur, die Verschmutzung des Planeten, der desolate klimatische Zustand, die Unterdrückung von FLINTA+, Menschen mit Behinderung und BiPoC sind Seiten derselben Medaille. Langsam wurde die Wurzel sichtbar und ich begriff, dass grundlegende Systemfehler vorliegen, die nicht mal eben behoben sind, wenn ich alleine ein verantwortungsvolleres Leben führe. Es ist zwar nett, dass ich mich einigermaßen konfliktfrei im Spiegel anschauen kann – aber die großen Stellschrauben liegen dann doch woanders.
Die Gemeinschaft ist wichtig. Veränderungen in dem Ausmaß, wie sie jetzt nötig sind, weil uns bezogen auf eine lebenswerte Zukunft für alle schlicht die Zeit wegrennt, schaffen Menschen nur gemeinsam. Das ist sowieso unsere Superpower: Kooperation. Dinge gemeinsam verändern, kollektiv Wandel herbeiführen. Anders hätten wir nicht bis heute überlebt – und anders werden wir auch nicht überleben.
Diese finale Einsicht hebt Gewicht von den Schultern und packt gleichzeitig neues drauf. Das alte Gewicht ist das der Überzeugung, allein für die Rettung der Welt verantwortlich zu sein: Am Ende hängt dann doch nicht alles daran, ob ich einen Plastikstrohhalm mehr oder weniger benutze. Es wäre gut, wenn ich keinen benutzen würde, aber an einem einzelnen Strohhalm entscheidet sich nicht das Schicksal der Welt.
Problematisch wird es, wenn alle so denken – und am Ende niemensch Verantwortung übernimmt. Das ist das neue Gewicht: Irgendwie müssen wir es hinkriegen, dass alle mitmachen wollen. Eine gigantische Aufgabe. Sich in diese Richtung auf den Weg zu machen, bedeutet, anzuerkennen, dass Menschen unterschiedliche Handlungsspielräume haben – das nicht für alle alles möglich ist, weil es Barrieren gibt, die parallel abgebaut werden müssen. Damit auch wirklich alle mitmachen können.
We are responsible for every step
Mittlerweile glaube ich, dass jeder Schritt zählt – und dass wir (= Menschen aus dem Globalen Norden) dafür verantwortlich sind, gemeinschaftlich einen Fuß vor den anderen zu setzen, um am Ende hoffentlich in einer guten und lebenswerten Zukunft anzukommen.
Dabei geht es nicht nur darum, im eigenen Alltag möglichst viel nachhaltig umzugestalten – sondern auch darum, politische Verantwortung zu übernehmen. Das kann an unterschiedlichen Orten und auf unterschiedliche Weise passieren – zum Beispiel auf der Straße, im Parlament, im Gemeinderat, in der Kita, in der Schule, im kreativen Arbeiten, im eigenen Unternehmen. Wichtig ist, dass es passiert, wenn die individuellen Möglichkeiten da sind. Alles kann helfen, den Diskurs in die richtige Richtung zu lenken, den Finger in die Wunde zu legen, Veränderung anzustoßen. Engagement kennt viele Gesichter und nötig sind alle – denn nicht nur ein gesundes globales Klima ist keine Selbstverständlichkeit. Auch demokratische Grundwerte müssen immer wieder erstritten und verteidigt werden.
Zusammen können wir viel bewegen – das weiß auch Wildling Shoes: Hier wollten sie es von Anfang an anders machen. Viel Homeoffice, flache Hierarchien, Familienfreundlichkeit und natürlich besonders nachhaltige und durchdachte Produkte zeichnen das Unternehmen mit dem Fuchs aus, genauso wie starke Partnerschaften (derzeit etwa mit Joy Denalane). Wildling sind nicht nur “die mit den Minimalschuhen” – Engagement und Interesse gehen viel weiter. Es geht darum, wie wir uns als Gesellschaft zueinander verhalten wollen und wie wir Schritt für Schritt zu einer besseren Version der Welt gelangen – gemeinsam.
Um diese Botschaft mehr (bunt) oder weniger (schwarz auf schwarz bzw. weiß auf weiß) subtil hinauszutragen in genau diese Welt, hat Wildling nun ein faires T-Shirt gelaunched, Schriftzug: We are responsible for every step. Denn gemeinsam ist ganz schön was möglich. Ein wichtiger Reminder, den wir uns gar nicht oft genug (im wahrsten Sinne des Wortes) vor Augen führen können. Am Ende geht es darum, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Und so richtig wirksam werden wir nur zusammen.
Wie tragen sich Wildlinge so? Das könnt ihr hier nachlesen. Eine Wildling-Empfehlung für den nahenden Herbst und Winter gibt es hier.
Oh, das ist so motivierend! Denn ja, es ist wirklich eine immens riesige Aufgabe. Ich fühle mich überwältigt bis ratlos aber auch genauso enthusiastisch, wenn ich mir vorstelle welche tollen Dinge die Zukunft bereithalten könnte.
Ich lese auch gerade euer Buch Great Green Thinking; wirklich großartig!
Hey Lou,
danke dir, das freut mich sehr! Wenn der Artikel ein bisschen Motivation mitgeben kann, ist seine Aufgabe erfüllt. 🙂
Toll auch, dass dir das Buch so gut gefällt, das ist wirklich schön!
Diese Mischung aus Ratlosigkeit, Enthusiasmus, aber gleichzeitig auch ein Wechselbad aus Optimismus und Pessimismus kann ich sehr gut nachvollziehen! Es sind definitiv spannende Zeiten.
Liebe Grüße
Jenni