“Warum bist du eigentlich vegan geworden?” Nach “Woher bekommst du eigentlich dein Eiweiß?” und “Das könnte ich nicht!” belegt dieser Satz bzw. diese Frage auf jeden Fall einen der Top-3-Plätze innerhalb einer Kommunikation mit nicht vegan lebenden Menschen, sobald das Thema auf die eigene Ernährungsweise kommt.
Man könnte, kann und sollte nun – vorsichtig oder provokant, je nach Lage der Dinge, eigenem Temperament und der Konstitution des Gegenübers – auf jeden Fall auf die vielschichtigen Missstände in Tierschlachthäusern, auf die millionenfachen Morde, die in der Leder- und Pelzindustrie jedes Jahr verübt werden, auf die Überfischung der Meere, auf die Gefängnis-und-Gaffer-Manier in Zoos und Delphinarien eingehen. Unbedingt. Ein paar Gedanken – längst nicht so ausführlich, wie ich sie gerne hätte, aber das werde ich vielleicht zu gegebener Zeit noch einmal überarbeiten – habe ich bereits dazu niedergeschrieben.
Für all’ jene unter euch, die einen genauen Überblick über diese ganzen – eigentlich skandalösen – Zustände der Tierhaltungs und -verarbeitungsindustrie möchten: Da lege ich euch wärmstens diesen Artikel von Cosima und Mel hier ans Herz – besser und umfangreicher und gleichzeitig kompakter kann man die Situation wahrscheinlich nicht zusammenfassen. Danke, ihr beiden!
(Anmerkung: Dass ich auf die Idee der Niederschrift dieses Artikels hier gekommen bin, hängt wesentlich mit ihrer Vorlage zusammen. In der Germanistik – und wahrscheinlich auch in anderen Sprachwissenschaften – spricht man diesbezüglich vom Phänomen der “Intertextualität” und ich finde es immer wieder faszinierend, es in der Praxis zu beobachten. Aber das nur am Rande.)
Warum ich diesen Beitrag überhaupt schreibe, wenn ich selbst doch schon mehr oder weniger damit auseinandergesetzt habe und es schon sososo viele engagierte Menschen im World Wide Web gibt, die das auch getan haben?
Weil ich hier eine etwas andere Perspektive einnehmen möchte: Anstatt euch aufzuzeigen, was alles falsch läuft in der Welt und warum wir deshalb unbedingt (etwas überspitzt formuliert) eigentlich von heute auf morgen vegan leben müssten, möchte ich euch zeigen, was ihr alles gewinnen könnt, wenn ihr euch mit dem veganen Gedanken – so möchte ich ihn einmal generalisierend nennen, ohne dass das irgendeinen esoterisch-religiösen Bezug hätte – beschäftigt. Veganer Gedanke meint hier einfach nur: Wie es für euch persönlich wäre, vegan zu werden. Denn wenn ihr an diesem Gedankenspiel angekommen seid, dann ist schon etwas in euch in Bewegung geraten. Und das ist gut so.
Das heißt natürlich um Gottes Willen nicht, dass die anderen Ansätze falsch wären oder meiner hier besonders toll und wichtig und beachtenswert ist. Aber ich finde, dass es auch einmal Zeit wird, die Dinge in positivem Licht zu sehen und das Schöne in der Motivation, vegan zu werden, in den Vordergrund zu rücken.
Vom Rückgewinn der Menschlichkeit
Wenn man im Duden nachschlägt – online und offline eines meiner am meisten genutzten Nachschlagewerke, aber das erklärt sich sicherlich von selbst -, dann steht dort unter “Menschlichkeit” Folgendes:
- das Dasein als Mensch
- eine menschliche Gesinnung, Grundeinstellung
- eine menschliche Schwäche, eine Fehlhandlung (seltener Wortgebrauch)
Als Synonyme werden Erbarmen, Toleranz, Milde und Humanität angeführt.
Dass der Mensch sich aus mehr oder minder zwei Ebenen (einer physischen und einer psychischen) konstituiert, ist ein nachvollziehbarer Allgemeinplatz. Wenn wir heute umgangssprachlich von Menschlichkeit sprechen, meinen wir aber in der Regel die zweite Bedeutung – in der Form b): Jemand ist besonders menschlich, diese Handlung zeugt von großer Menschlichkeit.
Der Wortgebrauch ist stets so, als sei Menschlichkeit eine Tugend – das schlägt sich auch in den vom Duden vorgeschlagenen Synonymen nieder. Menschlichkeit ist etwas Schönes, etwas, das es sich zu erreichen lohnt.
Mit Blick auf die oben kurz angerissenen Zustände in unserer Beziehung zum (Nutz-)Tier scheinen wir aber mit diesem positiv besetzten Menschlichkeitsbegriff ein Problem zu bekommen: Wir würden uns doch alle als menschlich im Sinne von tugendhaft und tolerant bezeichnen, oder? Humanität wird in sämtlichen europäischen Ländern seit Jahrhunderten hochgehalten und als politisch-gesellschaftliche Fahne insbesondere vor als fremd geltenden “invasiven” Kulturen geschwungen.
Nun liegt aber wenig Toleranz in solchen Aktionen, wie Mütter und Kinder auseinanderzureißen, Frauen zu vergewaltigen und dauerschwanger zu halten (Milchindustrie) oder empfindsamen Lebewesen Schwänze, Schnauzen, Zehen abzuhacken oder sie bei lebendigem Leibe aufzuschlitzen (nein, die Betäubung ist nicht so sicher wie immer behauptet wird).
Ihr merkt es vielleicht bereits: Der Schlüssel liegt im Wortgebrauch. Unser Sprechen hat einen unglaublichen Einfluss auf unser Denken und Handeln – und dieses wiederum beeinflusst das Sprechen, unsere Wortwahl. Es ist ein kompliziertes und zugleich hochfaszinierendes Zusammenspiel – und der Grund, weshalb man vielleicht grundlegend darüber nachdenken sollte, ob der Begriff Tier eigentlich ein angemessener ist. Aber das soll hier nicht unser Thema sein – wir haben uns bereits hier schon ausführlicher damit auseinandergesetzt.
Wir beanspruchen Menschlichkeit ganz selbstverständlich für uns, reklamieren sie gewissermaßen qua Geburt für uns, reservieren den Begriff und erheben Anspruch auf ihn – aber mit welchem Recht?
Diese Überlegungen standen am Beginn meiner Entscheidung, vegan leben zu wollen. Was ich mir von einem “Umstieg” erhofft habe? Die Rückgewinnung der Menschlichkeit.
Denn ich glaube, dass wir kein Recht auf den Begriff der Menschlichkeit haben. Ich glaube nicht, dass er ein unablösbares Etikett ist, das wir seit unserer Geburt mit uns herumtragen – denn dann wäre er nur auf Bedeutung a) beschränkt.
Ich glaube, dass wir uns den Begriff der Menschlichkeit erst verdienen müssen.
Und ich glaube, der Veganismus ist eine gute Idee, um ihr auf die Schliche zu kommen, dieser abhangengekommenen Menschlichkeit. Ich sage nicht, dass es die perfekte Lösung für alle ist (ich weiß beispielsweise von Fällen, in denen Menschen sich aus gesundheitlichen Risiken einfach nicht rein pflanzlich ernähren können) – aber ich glaube, es ist die beste Lösung für viele von uns.
Was passiert ist, als ich meine individuelle Menschlichkeit zurückhatte
Eines sei angemerkt: Solche Gedanken kamen mir natürlich nicht beim Lebensstiländern in unmittelbarem Nachhall – noch waren genau diese Ideen der explizite Auslöser dafür. Sie waberten durch mein Unterbewusstes und ich habe lange Zeit gebraucht, bis ich sie an den Zipfeln packen und zu Worten formen konnte – und mir damit ihrer selbst bewusst wurde. (Ja, da steckt auch eine gewisse Sprachphilosophie hinter…)
Doch allein schon dieser Ungerechtsgedanke, der sicherlich viele Menschen bei einem Umstieg auf die vegane Lebensweise antreibt, wurzelt im Kern in genau diesen Überlegungen: Die Aussagen, es sei “einfach nicht fair”, andere Lebewesen so zu behandeln, wie es aktuell in der Massentierverarbeitungsindustrie geschieht, oder wir seien “die schlimmeren Tiere” beziehen sich genau auf diesen besprochenen Menschlichkeitsbegriff – und stellen ihn als für uns (Tierproduktekonsumierer*innen) infrage. Das ist der Grund, aus dem man in der Regel (ethisch) vegan wird.
Als ich mich nun entschieden hatte, meine Menschlichkeit wieder zurückzugewinnen, begann eine spannende Reise. Es ist schwierig, den Perspektivwechsel zu beschreiben, ohne esoterisch angehauchte Termini zu verwenden (ich halte nicht viel – genauer: ich halte gar nichts – von Esoterik, jedenfalls nicht für mich persönlich, müsst ihr wissen), aber ich möchte es versuchen.
Zunächst einmal: Das Auge wird scharf. Die individuelle Sehkraft nimmt dabei wohl leider eher nicht zu (so genau kenne ich mich da nicht aus), aber der Blick verändert sich – auf einmal sieht man so viele Dinge, die einem vorher nicht aufgefallen wären und schärft seinen Blick für so allgemeine Dinge wie Ungerechtigkeit, Gefühle anderer Lebewesen – seien sie nun tierlich oder menschlich – und individuellen und kollektiven Zukunftsvisionen (wie wird unsere Welt einmal aussehen – und möchte ich in ihr leben, möchte ich, dass meine Kinder und Kindeskinder in ihr leben?).
Das muss natürlich nicht bei allen Menschen so sein – es gibt im Gegenteil beispielsweise leider eine florierende vegane Nazi-Szene und im Allgemeinen natürlich auch Menschen, die sich einigermaßen rücksichtslos durch die Welt bewegen. Doch viele Menschen, mit denen ich gesprochen oder deren Berichte ich gelesen habe und die sich mit dem Veganismus beschäftigen, berichten von ähnlichen Erfahrungen.
Man wird wachsamer, achtsamer, respektvoller – und überträgt dieselbe neuentdeckte Rücksicht, die man den tierlichen Mitbewohnern des Planeten nun entgegenbringen möchte, auch auf seine menschlichen.
Und man beginnt, die Welt in größeren Zusammenhängen zu sehen. Man sieht im Geiste auf einmal Diagramme katastrophaler Ökobilanzen, Bilder oder Ideen geschlachteter Tiere, geschredderter Küken, verwaister Kälber, hungernder Menschen. Zusammenhänge, die vorher irgendwo am Rande des Bewusstseins umhergedümpelt sind, rücken nun in den Vordergrund – ja, vielleicht sogar ins Zentrum.
Und indem man diese großen Fäden, die die Welt durchlaufen und zusammenhalten (ja, die Anpielung zum Faust ist Absicht), zu begreifen versucht (denn hinreichend verstehen wird man sie wahrscheinlich nie), wird einem eines mit ziemlicher Deutlichkeit vor Augen geführt:
Wie klein wir doch alle sind mit unseren individuellen Wünschen und Hoffnungen und Zielen und Kämpfen.
Und wie groß die Welt doch ist. Und wir geraten ins Staunen, die Augen werden groß, der Verstand weit. Und das, wusste schon (oder proklamierte erst) Platon, ist der Beginn der Philosophie.
Ich möchte meinen: Es ist auch der Beginn eines umfassenden Respekts gegenüber dem Universum, diesem Planeten und dem Leben an sich. (Da schließt sich dann die Frage an: Ist Philosophieren nicht der Ausdruck von Liebe gegenüber der Welt? Und nicht nur der Liebe zur Weisheit?)
Die Beschäftigung mit dem Veganismus resultierte aus einer unbewussten Beschäftigung mit dem, was gemeinhin als menschlich gilt: Dürfen wir das vor dem Hintergrund industrieller Tierverarbeitung überhaupt (noch) von uns behaupten?
Sie endete in einer sehr bewussten Beschäftigung mit genau diesem Thema – ich habe mir Bücher durchgelesen, war und bin auf entsprechenden Internetseiten unterwegs, hole mir überall neue Informationen zu diesem Thema und bleibe auf dem Laufenden. Veganismus – und damit auch der Menschlichkeitsbegriff der Kategorie b) – sind zu einem zentralen Lebensinhalt geworden.
Doch neben all’ den schrecklichen Bildern, neben all’ den fürchterlichen Fakten, die man natürlich niemals verharmlosen oder gar vergessen (!), neben all’ diesen negativen Nachrichten möchte ich euch dazu animieren: Schaut euch Dokus an, die sich mit der Welt befassen – Tierfilme, Naturdokumentationen, Dokumentationen über die Entstehung der Erde, des Weltalls (meine derzeitige Lieblingskategorie) und das Leben an sich.
Man kommt wortwörtlich aus dem Staunen nicht mehr hinaus. Und man begreift – unabhängig von diesem ganzen Schrecklichen und Schlechten – dass man um der Menschlichkeit Willen, um diesem uns selbst auferlegten Begriff gerecht werden zu können, Respekt vor diesen ganzen Wundern und dem großen Wunder Leben insgesamt haben muss.
Für mich äußert sich dieser Respekt unter anderem darin, vegan und möglichst nachhaltig zu leben. Damit erhoffe ich mir, meine Menschlichkeit zurückzubekommen und zu bewahren.
Da dies eine Sache ist, die höchst individuell von jedem und jeder Einzelnen von uns abgewogen werden muss – wer sonst könnte über mein Menschlichkeitmaß entscheiden, wer kennt mich besser als ich mich selbst? -, ist die Beurteilung eines wie auch immer gearteten “Fortschritts” schwierig bis unmöglich. Die Frage ist: Muss diese Entwicklung auch wieder ihres unbestreitbaren eigenen Wunders beraubt werden, indem wir sie skalieren, werten und (bei anderen) bewerten?
Ich glaube: Jeder Schritt in diese Richtung ist ein richtiger. Gehen wir so viele, wie uns möglich sind.
Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade #1MonatVegan, die bist zum Weltvegantag am 1. November läuft und im Zuge derer du von vielen, vielen Blogger*innen eine Menge Input zum Thema erhältst – falls du also noch nicht den pflanzlichen Lebensstil für dich entdeckt hast, bekommst du hier eine Menge Motivation, es jetzt doch vielleicht einmal anzugehen. Hier findest du alle Informationen dazu – und zum parallel laufenden Gewinnspiel. Schau’ vorbei, es lohnt sich!
[…] und Kochbücher 23. Warum Yoga und Veganismus zusammen gehören 24. Gemüse als Heilnahrung 25. Warum ich vegan geworden bin 26. Einfach vegan backen – Tipps, Tricks und Ersatzmöglichkeiten 27. Manuela Gauck: […]
[…] // // 24.10. http://fitnfruits.de/gemuese-als-heilnahrung/ // // 25.10. https://mehralsgruenzeug.com/warum-ich-vegan-geworden-bin/ // // 26.10. http://www.freudeamkochen.at/einfach-vegan-backen-tipps-tr…/ // // 29.10. […]
Ein wunderbarer Artikel, der mich nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich begeistert.
Auch meinen Antrieb zum Veganismus könnte man mit “Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem Anderen zu” erklären. So schliesst dies auch die sogenannten “glücklichen” Tiere ein, denn kaum ein Mensch würde “human” geschlachtet und dann gegessen werden wollen. Wenn ich selber das nun nicht will, wie kann ich das nun einem anderen Lebewesen antun?
Veganismus ist nur in den Köpfen schwer, tatsächlich ist dieser Lebensstil relativ einfach und wird immer einfacher werden, je mehr dieser Lebensstil gesellschaftlich akzeptiert und verbreitet ist. Und ich denke, wir sind hier auf einem guten Weg!
Alles Liebe,
Edda
Liebe Edda!
Ich danke dir für deine lieben Worte und dein großes Lob, das freut mich sehr! 🙂
Dein Credo gefällt mir sehr gut – besonders die Tatsache, dass es auch gleich das Argument von den “glücklichen Tieren” aus Biohaltung aushebelt. Einfacher kann man die Angelegenheit vermutlich nicht auf den Punkt bringen – danke dir für diesen Anreiz, den Gedanken werde ich mir auf jeden Fall merken!
Abgesehen davon glaube ich, dass du absolut recht hast: Veganismus wird immer als schwierig und kompliziert und gefährlich und wasweißichnichtnochalles empfunden, weil die Menschen ihn als Alternative bisher nicht kennen. Ich empfinde mein Leben alles andere als kompliziert – im Grunde ist es sogar noch einfacher als vorher, wenn man es recht bedenkt. Aber dazu könnte man schon wieder einen eigenen Artikel schreiben… 😉
Liebe Grüße
Jenni
Huhu Jenni,
wieder mal ein unheimlich schöner Beitrag von dir, der eine Seite des Veganismus beleuchtet, die man so gerne mal wieder vergisst!
Menschlichkeit ist so ein großer und umfassender Begriff, den ich mit so vielen Dingen verbinde, dass er sich in jedes Lebensmodell hineinstrickt und dort pulsiert. Diesen Moment des “geschärften Auges” erlebe ich auch heute noch ganz oft in Situationen, wo ich mich frage, wie andere Menschen die Probleme und den Zusammenhang dahinter nicht erkennen können/wollen.
Vielen Dank für deine Gedanken dazu – und natürlich auch für die Verlinkung zum Ricemilkmaid Blog. 😉
Liebste Grüße
Cosima
Liebe Cosima!
Ich danke dir für deine lieben Worte und deinen schönen Kommentar – besonders die Metapher mit der omnipräsenten Menschlichkeit hat mir sehr gut gefallen. 🙂
Ja, dieses Gefühl kenne ich auch – aber dagegen hilft leider bisher nicht allzu viel – außer unsere Arbeit weiter fortzusetzen und aufmerksam zu machen und zu sensibilisieren.
Liebe Grüße
Jenni
vielen vielen Dank für diesen wundervollen, zauberhaften Beitrag. Du sprichst mir aus der Seele!
Das freut mich riesig! Ich danke dir für dein liebes Feedback und freue mich, dass dir der Artikel so gut gefällt! 🙂
Liebe Grüße
Jenni
Wunderschön geschrieben Jenni, danke! <3
Liebe Mattia!
Es freut mich sehr, dass du das so siehst und dir mein Schreibstil gefällt – danke dir! 🙂
Liebe Grüße
Jenni
Hallo Jenni,
ich bewundere deine Einstellung und Gedanken zu diesem (und anderen) Themen. So durchdacht agieren nur wenige Menschen.
Ich verstehe deine ethischen Gründe, ich teile sie. Ich komme trotzdem zu einem anderen Schluss. Auch ich habe etliche Allergien und Unverträglichkeiten, die es mir schlicht nicht erlauben rein pflanzlich zu leben, ich würde zu einseitig leben. Das ist aber nicht der Grund, warum ich zu einem anderen Schluss gelange.
Hypothetisch: Wenn die Tierhaltung human wäre, wenn es nicht diese grausamen Methoden und diese fürchterliche Behandlung der Tiere gäbe, wenn wir unsere Nutztiere als wertvolle Geschöpfe mit Gefühlen und Anstand betrachteten – wärst du immer noch ein ethischer Veganer? Also: lehnst du das Töten per se ab, damit Menschen sich ernähren können, ausreichend Kalorien und Lebensgrundlagen zu sich nehmen können?
Meine Sicht:
Meine Gedanken kamen dahin, dass ich darauf bestehe, dass Tiere gut und anständig leben, aber auch, dass sie gut und anständig sterben. Anständig heißt für mich: Ohne Schmerzen, ohne Leid, nach einem Leben das sie im Rahmen Ihrer Bedürfnisse gelebt haben. Das bedeutet: keine Fabrikhaltung, keine Massenschlachtung, keine Kosten-Optimierung auf Kosten der Tiere, Fütterung mit Pflanzen, die in der natürlichen Umgebung wachsen und ihrer Ernährung zuträglich sind, z. B. Gras für Kühe statt Mais.
* Ich sehe aber auch, dass Menschen nicht überall auf der Welt unsere Privilegien haben. Ich sehe, dass sie an vielen Orten in der Welt hungern und ums Überleben kämpfen.
* Ich sehe ideologisch verblendete Eltern (privilegiert, kultiviert, verblendet) ihre Kinder vegan großziehen, ohne sich ordentlich zu informieren, was die Kinder brauchen.
* Ich sehe auch, dass wir als Menschen niemals so weit gekommen wären evolutionstechnisch, wie wir es heute sind ohne Fleisch. I
* Ich sehe jeden Tag meine Katzen – sie sind ohne Fleisch nicht überlebensfähig.
Da, wo es sinnvoll ist, halte ich Tierzucht und -tötung für in Ordnung. Mit Tieren meine ich übrigens auch Fische, Grashüpfer, usw. Nicht nur unsere Haustiere/Säugetiere.
Ich lehne Töten aus Frivolität und ohne Bedarf ab. Ich lehne das Töten von Tieren jedoch nicht grundsätzlich ab.
Ich kann nicht guten Gewissens Menschen, die hungern oder Mangelerscheinungen haben verbieten, das zu tun, was sie brauchen um gesund zu (über)leben. Hier bevorzuge ich eine Mischkost aus Pflanzen und Tieren. Also da, wo unsere Menschlichkeit leidet, wo Menschen Tiere brauchen, bevorzuge ich die Tötung von Tieren und eine gemischte Ernährung.
Im Ergebnis heißt das für mich: Die Grausamkeit, die blinde Gewinnsucht ist mein Feind, nicht die gelegentlichen Fleischesser. Es heißt aber auch: nicht jeder Kleinbauer darf seine Sau schlachten – es müssen Menschen machen, die genau wissen was sie machen um die Sau wenig leiden zu lassen. Es gibt also viel zu tun an der Stelle, viel aufzuklären, viel Druck auszuüben.
Veganismus scheint mir eine privilegierte Haltung, die nicht für alle Menschen taugt. Sie taugt evt. auch nicht um die Menschen weltweit zu ernähren. Hier sehe ich bessere Chancen bei Tier-basierter Ernährung durch Tiere, die wir heute als Insekten und Ungeziefer betrachten. Bei Kindern lehne ich Veganismus komplett ab – genauso wie Religion soll jeder Mensch selber entscheiden, was gut für sie oder ihn ist. Verblendete Eltern können hier sehr viel Schaden anrichten.
Meine Katzen füttere ich mit Tierfleisch – weil sie es physiologisch brauchen. Mich selber ernähre ich mit wenig Fleisch, da wo irgend möglich aus guter Tierhaltung.
Veganismus ist für die meisten Menschen wenig attraktiv. Das können Leute wie du ändern, z B indem sie zeigen, wie lecker das ist und wie einfach zu kochen, wie günstig. Ich denke, über ethische Appelle erreichst du sie nicht. Dafür gibt es kulturell zu viele Widerstände und Menschen lieben evolutionär den Geschmack von Fleisch. Angst vor Veganismus halte ich übrigens für ein verschwindend geringes Motiv. Den meisten Menschen geht das versteckte Tierleid bisher einfach am A… vorbei. Dieses Leid ins Licht zerren, es verhindern und gleichzeitig aufzeigen, wie lecker andere Ernährung ist, all das halte ich für vielversprechender.
Liebe Monika!
Ich danke dir für deinen ausführlichen und reflektierten Kommentar – ich sehe viele Dinge ähnlich wie du und denke ebenfalls, dass das Grundproblem in dieser Gesellschaft weniger der Tierkonsum an sich als die Art ist, mit der er geschieht, ist.
Zu deiner Frage: Ich denke, ich würde trotzdem keine Tierprodukte essen – auch wenn sie von “glücklichen” Tieren stammen. Letzten Endes ist ein Lebewesen für mich gestorben, das nicht hätte sterben müssen, da ich meine Nährstoffe und alles, was ich zum Leben brauche, auch wunderbar ohne tierische Produkte erlangen kann. Trotzdem Tiere zu essen oder tierische Produkte in irgendeiner Form zu konsumieren, ist für mich persönlich in meiner aktuellen Situation überflüssig und damit nicht notwendig.
Damit kommen wir aber bereits zum nächsten, sehr wichtigen Punkt: “in meiner derzeitigen Situation”. Ich befinde mich in einer äußerst priveligierten Stellung, dessen bin ich mir vollkommen bewusst und ich danke dir, dass du diese Tatsache noch einmal deutlich zum Ausdruck bringst. Nicht jeder und jede hat das Glück, dass zum einen der Körper ohne Tierprodukte gut auskommt, zum anderen die Gegebeneheiten stimmen, um konsequenten Veganismus leben zu können. Ich verurteile absolut niemanden, der oder die das nicht kann oder nicht möchte – schon gar nicht Menschen am anderen Ende der Welt, deren Rinder oder Ziegen die Lebensgrundlage darstellen. Hier müssen einfach andere Maßstäbe angelegt werden.
Bezüglich der Frage, wie man den Welthunger bekämpfen kann und ob das mit Veganismus möglich ist, gibt es viele, viele Ansätze und viele Diskussionen, die aber alle noch zu keinem fruchtbaren Ergebnis gekommen sind (jedenfalls, soweit ich weiß). Absolut empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang das Buch sowie der Film “10 Millarden – wie werden wir alle satt?”, unter anderem von Valentin Thurn. (Hier habe ich übrigens eine kurze Rezension zum Buch geschrieben: https://mehralsgruenzeug.com/rezension-harte-kost/)
Ich glaube, dass du recht damit hast, wenn du sagst, dass Veganismus an sich für viele Menschen eine unattraktive Lebensweise darstellt, die zunächst einmal mit Aufwand verbunden ist und den Geschmacksknospen nicht unbedingt entgegenkommt (ob das nun eine evolutionäre oder eine soziale Prägung oder eine Mischung aus beidem ist, mag ich in dem Kontext nicht beurteilen). Das ist ja unter anderem auch an dem riesigen Ersatzprodukte-Markt ersichtlich, den es für Vegetarier*innen und Veganer*innen gibt. Ich danke dir, dass du mir die Perspektive, Menschen zu begeistern für die vegane Ernährung, zugestehst! Ich gebe mein Bestes. 😉
Allerdings glaube ich, dass abseits von netten Leckereien und tollen Rezepten auch immer die ethische Komponente mitvermittelt werden muss – bei schönem Essen darf es nicht aufhören, erst recht nicht, wenn eine so wichtige Message dahintersteckt. Ob die Menschen dann nur das Essen nehmen und bei der Erklärung dann auf Durchzug stellen, sei dahingestellt (und wäre mir auch recht). Sobald ich aber nur einen oder eine für die Hintergründe interessiert habe, ist schon viel gewonnen. Deswegen gibt es bei mir immer beides – ohne erhobenen Zeigerfinger aber, das ist ganz wichtig. 🙂
Liebe Grüße
Jenni
Liebe Jenni, ich lese deine Artikel im allgemeinen sehr gerne. Doch dieser hier ist einer der Besten die ich bisher zu diesem Thema gelesen habe. Genau so sollte man argumentieren, an die Menschlichkeit appellieren, an genau das, was unter der doch so harten Schale steckt. Danke dafür! Wenn jeder ein klein wenig mehr davon in die Welt trägt, dann wird es soooo schön sein.
Alles Liebe,
Daniela
Liebe Daniela!
Ich danke dir für deinen so unglaublich tollen Kommentar – das freut mich riesig und genausp sehe ich es auch! Danke, danke, danke! 🙂
Liebe Grüße
Jenni