Reumütiger Weltschmerz. Warum Nachhaltigkeit ein Statement ist

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26. März 2017

Hallo, Welt. Ich würde gerne einmal kurz aussteigen. Du tust mir weh. Das ist es, was die Sache mit dir und mir kompliziert macht, ganz ehrlich. Ich leide an dir. An Weltschmerz leide ich.

Vom Elysium und dem Glück, gerade hier geboren zu sein

Ich hatte eine tolle Nacht. Ich habe lange geschlafen und gleite langsam aus dem Reich der Träume in einen neuen Frühlingsmorgen. Die Sonne schleicht durch die türkisen Vorhänge am Fenster und so langsam bekommt man den Eindruck, dass die Welt erwacht, das neue Leben beginnt und der ewige Kreislauf der Natur sich nun wieder dem Blühen, Grünen – kurzum: dem Schönen widmet.

Ich wackle mit den Zehen, schaue nach rechts, sage meiner Liebe Goodbye und wünsche ihm ritualmäßig, dass er bitte vorsichtig fahren soll. Danach kuschle ich mich noch ein letztes Mal in die schweren Decken und beschließe, vorsichtig aufzustehen. Ein neuer Tag, herrlich. So viele Erwartungen, so viel, was man tun kann!

Und dann checke ich die Nachrichten. Ein Terroranschlag. Schon wieder. Tote, Verletzte, Verunsicherte. Hier und dort. Die Angst geht um. Zögernd kriecht sie in die kleinsten Winkel unserer optimistisch aufgebauten Nachkriegs-Heile-Welt-Toleranz-Gesellschaft und macht sich breit in Form von Hass, Abwehr, neuen alten Grenzziehungen, Debatten und Menschenrechtsfragen.

Sorgt dafür, dass wir wieder diskutieren über Dinge, die eigentlich nicht diskussionsbedürftig wären. Dürfen flüchtende Menschen hierbleiben? Kriegen sie ein Dach über dem Kopf? Oder gehören “die” nicht wieder “dahin zurück, wo sie herkommen”? Holy shit.

Und es geht weiter: Abspaltungstendenzen hier und dort, jeder will wieder sein Ding machen, man vertraut sich nicht mehr. Die Offene-Grenzen-Euro-Welt, in der wir Millenials aufgewachsen sind, beginnt, unter unseren Augen zu zerbröckeln.

Und wir? Backen Kuchen. Fotografieren Monsteras. Streichen unsere Wände á la Greenery. Misten aus. Minimalisieren. Googlen nach Tiny Houses. Werden vegan.

In solchen Momenten möchte ich schreien und alles hinschmeißen. Ich will mit dem Kopf die Wand anrennen, weil ich nicht glauben kann, was da draußen gerade passiert. Ich erinnere mich dunkel an den Geschichtsunterricht, Spanne Kaiserreich bis Zweiter Weltkrieg, und mir läuft es in Kristallen den Rücken hinunter.

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Wenn uns dann ein neuer Biedermeier attestiert wird – könnten wir uns dagegen wehren? Stimmt das nicht? Suchen wir nicht den Schutz im Häuslichen, throhnen wir nicht aktuell Gartenbaukunst, Selbstversorgertum, Zero Waste, Minimalismus, Leben in Grün und tierleidfreie Kosmetik auf güldene Sessel? Konsumieren wir nicht hipp-hübsche Lifestyleprodukte, als gäbe es kein Morgen?

Nun, vielleicht gibt es das auch nicht. Vielleicht ahnen wir sowas. Vielleicht schwebt es bereits in der Luft, dieses Gespenst einer bösen Angst, dass es bald vorbeisein könnte mit dem unbeschwerten Leben im rauschhaften I-don’t-care-Kapitalismus.

Vielleicht ist das Hegen und Pflegen der eigenen vier Wände, das Boomen des Interior und die Propagandierung des Cleanen, des Marie-Kondo-Ordentlichen genau das: die Flucht vor dem Chaos da draußen. Unser neuer Biedermeier.

Verzicht ist ein Statement, Wählen ist politisch

Aber halt: Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Wieder einmal.

Denn unser neuer Biedermeier ist anders. Wir ziehen uns zurück aus der politischen Tätigkeit, auf den ersten Blick. Wir gehen nicht mehr offen auf die Straße, wir schmeißen keine Fensterscheiben mehr ein, ketten uns nicht mehr an Bahngleise fest.

Und dennoch sind wir politisch. Wir zeigen, was uns nicht passt – auf eine neue Art: indem wir die Möglichkeiten der Neuen Technologien nutzen, die weit mehr sind als nur ein ablenkender, virenschleudernder, terrorismusfördernder Haufen Seltener Erden. Wir nutzen das Internet und seine Reichweite, um eines zu tun: uns zu vernetzen.

Und um zu zeigen, dass es anders geht als Mainstream. Vielmehr: dass wir einen neuen Mainstream wollen. Einen bewussteren. Einen einfacheren. Einen nachhaltigeren. Einen politischen.

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Einen, der im bewussten Verzicht auf Plastikflaschen ein Statement setzt. Der durch das Links-liegen-Lassen der Convenience-Produkte im Supermarktregal oder im Fast-Food-Drive-In deutlich macht, dass wir da keinen Bock mehr drauf haben, auf das Ausbeuten der Umwelt, den Kohleabbau, die Kinderarbeit in Bangladesch, die vergifteten Flüsse, plastikverseuchten Meere.

Dass wir es satt haben, für blöd verkauft und zu zombieartig-ferngesteuerten Konsumherdentieren erzogen zu werden. Dass wir uns neu erfinden wollen – in der Rückbesinnung auf das, was einmal als alt und angestaubt verschrien war: Rasierhobel, Stückseife, Pflanzen, Gärtnerei, unser persönlicher kleiner Fensterbank-Autonomie-Traum. Spießbürgertum mit Mission.

Sharend via Instagram, likend auf Facebook, artikelschreibend vor dem Rechner wollen wir diese Nachricht, die ohne Clickbait und Minutenaufmerksamkeit daherkommt, sondern sich vielmehr wie eine behäbige Welle durch die Feeds und Kanäle zieht, verbreiten. Andere Menschen zum Mitmachen motivieren. Zum Nachdenken anregen. Dass jeder und jede bei sich beginnen kann, im Kleinen.

Dass wir die Kraft haben, etwas zu verändern – so doof und abgedroschen das in Zeiten, in denen man morgens gefühlt nicht mehr wachwerden kann, ohne ängstlich die Nachrichten zu öffnen und zu schauen, wer wieder wo jemanden umgebracht hat, auch klingen mag. Dass wir die Dein-Einkaufszettel-ist-dein-Stimmzettel-Einstellung leben mit jeder Faser unserer terminvollgestopften und multitaskingbombardierten Aufmerksamkeit.

Unser neuer Biedermeier ist nicht apolitisch. Wir sind aufmerksam, wir wollen etwas verändern. Und zwar, indem wir klein anfangen und dort, wo wir es – betäubt, wie wir sonst durch die Gegend laufen – am einfachsten und schnellsten hinbekommen: bei uns selbst.

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Wir brauchen den Aktivismus, das ist richtig. Wir brauchen die Lauten, wir müssen wieder schreien lernen, auf die Straßen gehen und zeigen, fordern, brüllen. Wir dürfen das Peace-Zeichen nicht als lustigen, kosmopolitisch angehauchten T-Shirt-Aufdruck sein Dasein fristen lassen.

Aber was wir gerade tun, das leise Beobachten, Neu-Kalibrieren, das Autonomwerden von der Massenkapitalismusgesellschaft, die so in der Form nicht mehr lange funktionieren kann, ohne dass es ein Desaster gibt (beziehungsweise: die Desaster stehen bereits hütchenschwingend auf der Matte) – das ist ebenfalls eine Form des Aktivwerdens. Im Kleinen, Individuellen.

Im Regional-Saisonalen. Im Unverpackt-Lädlichen. Im Grüner-Strom-Beziehenden. Im Aussortierenden. Im Kresse-auf-der-Fensterbank-Ziehenden. Im Solidarische-Landwirtschaft-Unterstützenden und Gemüsekisten-Abonnierenden. Im Jutebeutel-Tragenden. Im Plastik-Verweigernden. Im Auf-Fleisch-und/oder-Tierprodukte-Verzichtenden.

Im Bewusstwerden auf das, was uns ausmachen soll und wer wir sein wollen, bekommen wir eine Idee davon, was eigentlich wichtig ist im Leben. Und haben die Einsicht, die Kraft und die Zeit, uns einzusetzen für weitgehende nachhaltige Entscheidungen, für Flüchtlinge, für die so dubios gewordene Politik, für die Aufrechterhaltung der Werte, mit denen wir aufgewachsen sind und die wir in undankbarer Kindesmanier als selbstverständlich erachten.

Wir müssen bei uns beginnen, wenn wir die Welt verändern wollen.

P.S.: Vielleicht ist das Geschriebene ein wenig naiv. Ein wenig zu gutgläubig, dem unerfahrenen Sein der idealistischen Jugend geschuldet. Aber ich möchte gerne daran glauben, dass jede einzelne kleine Entscheidung, die wir im Alltag treffen, wichtig sein kann. Dass das nicht das Ende der Fahnenstange ist und noch mehr getan werden muss, zeigt dieser Beitrag hier ganz deutlich.

P.P.S.: Mit dem Rekurs auf Keas Beitrag wollte ich ihre Beobachtungen auf keinen Fall schmählern – im Gegenteil. Ich glaube, dass sie sehr recht hat – aber auch, dass es auf die Perspektive ankommt, aus der wir schauen. Und meine derzeitige (elfenbeintürmische?) Perspektive ist, dass sich da gerade gewaltig was tut in der Gesellschaft. Hoffentlich zum in jeder Hinsicht nachhaltig Positiven.

JENNI

Wanderin im Geiste, mit der Nase im nächsten Buch, nie so ganz zuhause und doch immer da.

KOMMENTARE

[…] Reicht nachhaltiges Leben aus? Und ist die Behauptung, für mehr reiche es neben Familie und Job eben nicht, vielleicht nur eine ebenso flauschige Ausrede, um sich nicht mit unbequemen poltischen Fakten beschäftigen zu müssen? Wann und wo ziehen wir unsere Konsequenzen? […]

Ich finde es toll, dass mich eigentlich jeder deiner Artikel zum Nachdenken bringt und oft auch ganz neue Denkweisen aufzeigt 🙂

Liebe Miu,

das freut mich aber riesig – und ist so ziemlich das tollste Kompliment, das du mir machen kannst!

Vielen lieben Dank dir dafür! 🙂

Liebe Grüße
Jenni

Oh, dein Artikel tut mir gerade so gut. Ich habe Geschichte studiert und manchmal packt mich noch der Ehrgeiz – dann beginne ich, mich intensiv mit Konflikten auseinanderzusetzen, die ich so gar nicht verstehe. Und weißt du was? Ich komme immer und immer wieder an den Punkt, dass wirtschaftliche Gründe hinter diesen ekelhaften Konflikten stehen. Immer wieder – aber immer seltener habe ich diese Erkenntnis. Denn ich will mich gar nicht mehr eindenken in neue Konflikte, weiß ich doch sowieso schon, bei welcher Erkenntnis ich am Ende lande.

Deshalb konzentriere ich mich lieber auf den Parkspaziergang mit meinem Freund, den Kochabend mit der Nachbarin oder auf meinen kleinen Instagram-Kanal. Und habe dann manchmal ein schlechtes Gewissen. Weshalb bin ich nicht politisch engagiert, weshalb tu ich nicht mehr. Ich gehöre zu den reichsten paar Prozent der Erde – wir alle, die hier am Laptop oder Smartphone sitzen! Ich denke, mit unserem Reichtum geht Verantwortung einher.

Aber wie wir sie nutzen, das ist uns überlassen. Nur weil die vergangenen Generationen sich politisch engagiert haben, müssen wir nicht den gleichen Weg gehen. Unser kleiner Biedermeier mag belächelt werden. Aber mir erscheint die bewusste Entscheidung, was ich kaufe, derzeit als der beste Weg, der Welt etwas Gutes zu tun. Letztendlich sind Themen wie bewusstes Konsumverhalten oder Minimalismus doch die sinnvollste Art der Begegnung mit den aktuellen Problemen. Und dazu ist es noch eine sehr positive Art der Begegnung. Deshalb hoffe ich auch sehr, dass sie gute Folgen haben wird. Man sollte so eine positive Kraft nicht unterschätzen. Und kommt schon ihr Lieben – wer ist denn bitte in der Geschichte nicht belächelt worden, wenn er neue Ideen hatte? 😉

Liebe la.lenja,

(Mensch, noch immer kenne ich deinen richtigen Namen nicht! 😉 )

ich danke dir für deinen ausführlichen Kommentar – den ich von meiner Seite aus wiederum sowas von nachvollziehen kann!

Diese deprimierende Erkenntnis, die du beschreibst, habe ich auch immer wieder gewonnen, wenn ich mich mit den Themen, die ich auch hier auf dem Blog behandele, näher auseinandergesetzt habe – am Ende läuft es doch irgendwie immer auf Wirtschaftsinteressen von einigen Wenigen hinaus, die sowieso genug Geld haben, aber immer mehr davon wollen. Und diese Erkenntnis ist eine, die einen zur Weißglut auf der einen, zur Depression auf der anderen Seite treiben kann, wenn man sie mit voller Wucht in seinen Alltag hineinlässt.

Ich glaube daher auch, dass die neue Biedermeierlichkeit, die irgendwie doch anders ist als die damalige, eine verständliche Reaktion darauf ist – eine, die wir zwar nach wie vor hinterfragen müssen (wie du das ja auch immer wieder machst), aber eben eine, die uns selbst auch schützen soll. Wie sollen wir selbst einigermaßen heile durch eine Welt kommen, die unseren grundlegendsten Grundsätzen eigentlich so fundamental entgegengesetzt ist? Im Endeffekt hilft da unter anderem auch nur (partielle) Verdrängung.

Dass unsere Auseinandersetzung mit den Themen eine andere ist als die der Generationen vor uns, heißt (da bin ich wieder ganz bei dir) nicht, dass sie eine unpolitischere oder weniger intensive Art wäre. Und ich hoffe ebenfalls, dass sich am Ende Großes daraus entwickeln wird. Soviel Idealismus muss und darf sein.

Ganz liebe Grüße an dich!
Jenni

“Wir müssen bei uns beginnen, wenn wir die Welt verändern wollen.”
Das sind wahnsinnig ehrlich und wichtige Worte, die so viel Inhalt haben.
Danke für deine Gedanken und deine Meinung. Ich kenne das Gefühl ehrlich gesagt auch ziemlich gut. Man fühlt sich manchmal so “ohnmächtig”, denkt man kann nichts tun, aber irgendwie kann jede kleine gute Veränderung was reißen. Wir vergessen es nur irgendwie häufig. Deshalb finde ich es toll, dass du daran erinnerst…

Liebe Mary,

ich freue mich, dass dir der Artikel gefallen hat und danke dir für deine mentale Unterstützung. Manchmal ist es gar nicht so einfach, diese Zuversicht selbst zu bewahren, aber ich bin auf der anderen Seite fest davon überzeugt, dass es am Ende doch auf eine Summe der Kleinigkeiten ankommt – bei uns selbst, aber auch bei anderen Menschen.

Liebe Grüße
Jenni

Hallo Jenny,
puh, ein schwieriger Post, den ich erstmal ein paar Tage sacken lassen musste. Denn ich finde leider, mit der von dir beschriebenen Herangehensweise macht man es sich deutlich zu einfach.
Vom neuen Biedermeier habe ich auch schon gelesen und finde das sowohl schlüssig als auch in meinem Umfeld bestätigt. Es bringt nichts, durch Horror-Nachrichten jeden seiner Tage dunkel werden zu lassen, manchmal muss man dann auch die Türe zu machen – die innere, und die äußere.
“Wir können ja eh nix ändern.” – ein Satz, der von politisch aktiven immer verteufelt wird, aber ganz ehrlich – man fühlt sich genau so. Völlig machtlos. Was bringt es angesichts des Abgas-Skandales, wenn ich mich vegan ernähre und auf Plastik verzichte. Der kleine Mann KANN nicht aufwiegen, was im Großen falsch läuft, zumal man zwar online denken mag, dass gerade viele nachhaltig leben, weil es gerade ein bisschen Lifestyletrend ist – offline merke ich davon aber nur bei wenigen etwas. Damit will ich sagen – wir sind auch zu wenige, um wirklich was zu reißen. Und andere zu “missionieren”, ist, wenn kein Grundinteresse da ist, auch kaum machbar.
Was sich in deinem Post auch sehr gut herausliest, ist die absolute Verschmelzung von Politik mit Wirtschaft, und genau hier sehe ich das Problem. Politik DARF nicht zu 90% wirtschaftsabhängig sein. Klar ändert sich dann nie etwas zum Guten!
Aufgrund dieser Verschmelzung sagst du, ist eben jeder Einkaufszettel ein Wahlzettel. Ja, das ist schon richtig, aber dennoch macht es mir ein bisschen Bauchweh, rein diesen Kaufprozess als alleinstehendes politisches Engagement darzustellen.
Dann gesteht man sich lieber ehrlich ein,”Ich kann das nicht, ich verzweifle an der Welt, ich lebe für mich selbst, so nachhaltig es für mich geht, aber für politisches Engagement, dass heutzutage den allergrößten Kampf gegen Windmühlen darstellt, habe ich keine Kraft mehr”.

Die ganze Thematik ist auch zu komplex, um sie so schnell zu durchdenken und zu verdauen und zu einem Schluss zu kommen, aber ich wollte dir meine Gedanken zum Thema gerne da lassen – und auch wirklich niemanden angreifen, denn jeder Schritt in die richtige Richtung ist wichtig und ich schließe mich auch selbst absolut mit ein. Aber mir geht es so, dass ich mich den Nachrichten auch nur einmal in der Woche “bewusst” stelle, weil mir vieles so nahe geht und mich so unglaublich wütend macht. Politisch engagiere ich mich nicht, da trifft das Schlagwort “Politikverdrossenheit” ganz gut – denn es gibt wirklich keine Partei, in der ich mich heimisch fühlen würde, und bevor ich mich, überspitzt ausgedrückt, zwischen Pest und Cholera entscheide, lasse ich es lieber ganz. Allerdings bin ich in einer Gewerkschaft aktiv.

Liebe Grüße 🙂

Liebe Kati!

So, wie du ein paar Tage lang über den Beitrag gebrütet hast, habe ich unter anderem über deinen Kommentar gesessen und nachgedacht (okay, ich war auch viel unterwegs in der Zwischenzeit, das kommt noch dazu) – entschuldige daher, dass ich dir erst jetzt antworten kann. Allerdings wollte ich dir auch keine unausgereifte Antwort, sondern einen fundiert durchdachten Kommentar hinterlassen – so wie du das hier getan hast. 🙂

Ich finde deine Gedanken absolut angebracht und fühle mich auch absolut nicht falsch verstanden oder in ein falsches Licht gerückt – keine Sorge.
Denn wahrscheinlich hast du recht und meine doch einigermaßen einseitig niedergeschriebene Perspektive auf den Politik-Wirtschafts-Komplex ist so einfach nicht zu beantworten – da finde ich den von mir verlinkten Beitrag über den nachhaltigen Konsum sehr spannend zu, denn ich denke, er geht in dieselbe Richtung wie deine Ausführungen.

Grundsätzlich bin ich derselben Meinung: Wirtschaft darf nicht von Politik abhängen und andersherum. Da es aber leider an der Tagesordnung ist, dass dem eben so ist, stehen wir als Individuen vor dem großen Problem, eben in dem eigenen Mini-Universum etwas verändern zu wollen oder zu können – oder es eben ganz sein zu lassen.

Und ich muss gestehen, dass mir da das Mini-Universum-Handeln doch lieber ist als die Gewissheit, alles passiv und wirtschaftswunschkonsumkonform über mich ergehen zu lassen. Ich denke zwar auch, dass sich für einen tiefgreifenden Wandel andere Stellschrauben drehen lassen müssten – aber gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass individuelles Handeln und vor allem das Sprechen darüber (immerhin ist es das, was wir die ganze Zeit tun) enorm wichtig ist. Denn nur so kann man andere Menschen zum Nachdenken bewegen. Und funktioniert zumindest die Wirtschaft nicht nach dem Angebot-Nachfrage-Prinzip? (Wunderbar zu sehen aktuell an der veganen Lebensmittelsparte – wobei man sich da auch über unlautere Firmen aufregen kann, die mal so gar nichts mit veganen Idealen zu tun haben, aber das steht auf einem anderen Blatt.) Wenn wir als Masse von Individuen, die nachdenken und bereit sind, nicht mehr so zu funktionieren, handeln – dann kann sich letzten Endes doch etwas bewegen.
Denn dass da mittlerweile eine Nachfrage generiert wurde, die über den Lifestyletrend hinausgeht, davon zeugen nicht nur Instagram-Posts, sondern vor allem die aktuellen (wirtschaftlichen und politischen) Debatten um nachhaltigere Städte, die Frage nach den Autos der Zukunft und dem Plastiktüten-Dilemma. Vor allem Letzteres wurde ja vor allem durch Unterschriftenpetitionen und aufsehenerregende Aktionen von Bürger*innen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt – so lange, bis das irgendwann nicht mehr ignoriert werden konnte. Das ist zwar nur ein kleiner Schritt und wünschenswert wären viel mehr Änderungen – aber es zeigt, dass jede*r Einzelne*r zählt.

Vielleicht sind das naive und utopische Hoffnungen und vielleicht schwingt da auch immer ein bisschen Schönrederei mit – aber ich glaube, dass sich da vor allem auch deswegen zukünftig etwas tun wird, weil sich Wirtschaft und Politik es auf Dauer nicht leisten können, das Nachhaltigkeits-Thema zu ignorieren. Sei es, weil die Konsument*innen ein Umdenken erzwingen – oder weil die bisher genutzen Rohstoffe zur Neige gehen.
Die Frage ist aus meiner Perspektive nicht, ob der Wandel kommt – sondern wann.

Schön wäre es nur, wenn er schnell kommen würde, weil sich viele Menschen für ihn engagiert haben – in welcher Weise auch immer.

(So – auch das war jetzt unvollständig und ein bisschen wirr vielleicht – ich hoffe, du kannst es halbwegs nachvollziehen. 🙂 )

Liebe Grüße
Jenni

Liebe Jenni,

da gehe ich diesmal in allen Punkten konform mit dir. Die stark wachsende vegane Lebensmittelsparte bringe ich in Diskussionen auch immer als Positiv-Beispiel, dass, wenn genügend Menschen etwas ändern, die Mühlen schon anfangen, zu mahlen… aber dennoch kann man dieses Beispiel ja leider nicht ausweiten, denn Essen kaufen müssen wir alle. Aber viele anderen Gegenstände eben nicht zwingend, deswegen sehe ich da noch keine gute Lösung, wie man das produzierende Gewerbe beeinflussen könnte.
Ich denke, viele von uns wurden gerne tiefer in die Tasche greifen, wenn sie wüssten, dass verschiedene Produkte nicht ohnehin mit “2-Tage-nach-Garantieablauf-gehe-ich-kaputt-Sollbruchstellen” ausgestattet würden. Ich zumindest 🙂
Ich konnte viele Stücke aus meiner ersten Einrichtung von meinen Großeltern bekommen, die zu der Zeit ihre Ferienwohnung auflösten. Das waren ältere, aber wertige Teile, und viele davon tun bis heute klaglos ihren Dienst. Deswegen kaufe ich auch gerne älteres second hand und bilde mir ein, diese Dinge wären haltbarer. Aber eine Garantie gibts halt nicht. Hier zum Beispiel müsste eben gehandelt werden, anstatt in die gegenteilige Richtung zu forschen: https://www.youtube.com/watch?v=ypEODEfkJxI
In deinem aktuellen Beitrag sprichst du ja die Postwachstumsökonomie an, die interessiert mich seit einigen Jahren auch sehr – denn Wachstum ist endlich und eigentlich auch bereits zu Ende, oder?

Liebe Grüße! 🙂

Liebe Kati,

ich danke dir für deine ebenso ausführliche Antwort – und finde darin wichtige Stichworte, zu denen ich mir dringend auch einmal tiefergehende Gedanken machen muss. Unter anderem möchte ich mich in der Tat auch einmal genauer mit Postwachstumsökonomie, geplanter Obsoleszenz und den ganzen Dingen, die an diesem Rattenschwanz dranhängen, beschäftigen.
Ich glaube nämlich wirklich, dass solche Dinge unter anderem wesentlich dazu beigetragen haben, dass wir das Vertrauen in die Qualität der Dinge, die wir zu kaufen gedenken, verloren haben – und daher lieber auf die günstige Variante (und die nicht so faire und umweltschonende, unter Umständen) ausweichen. Denn wenn das dann kaputtgeht, ist das immerhin nicht so tragisch – kann ja schnell und einfach wieder nachgekauft werden…

Ich kenne mich da (leider) noch nicht so gut aus, um die Frage mit dem Wachstum vollkommen und sicher beantworten zu können – aber ich glaube, viele der aktuell anerkannten Ökonomen vertritt die These, dass das Wachstum bereits zu Ende ist oder nicht mehr lange andauern kann und der Rücklauf nur noch eine Frage der Zeit ist. Dass wir auf dieses Szenario, das nicht mehr in allzu ferner Zukunft eintreffen wird, keine konkreten Antworten haben (sowohl politisch, wirtschaftlich als auch gesamtgesellschaftlich), macht mir ein wenig Sorgen, muss ich gestehen.
Auf jeden Fall wäre auch das ein wichtiges Thema, das ich demnächst verfolgen werde (der Beitragsentwurf mit der Überschrift steht schonmal 😉 )!

Liebe Grüße
Jenni

Liebe Jenni,
was für ein toller ergreifender Text! Unsere momentane Situation mit der Biedermaier Zeit zu vergleichen finde ich total spannend und macht auch sicher Sinn irgendwo. Man muss natürlich dabei auch beachten, dass die Menschen in der Biedermaierzeit genauso wenig unpolitisch waren, sie haben sich im Untergrund formiert. Sie hatten nur die Möglichkeiten nicht in der Öffentlichkeit etwas zu sagen, weil es schlichtweg verboten war.
Meiner Meinung nach sollten genau wir, denen es so gut geht, die die Möglichkeiten haben, eben ganau da handeln, wo es andere nicht können. Von Menschen denen es schlecht geht, die im Krieg leben, von Terror geplagt werden oder Hungersnöte erleiden kann man nicht erwarten, dass sie die Welt retten. Von uns, denen es so gut geht, die ja sonst eh keine Probleme haben, wir haben die Möglichkeit zu entscheiden, ob wir Bio-Gemüse kaufen, ob wir ein Plastiksackerl nehmen, ob wir ein fair produziertes Shirt kaufen. Wir können und sollen solche Entscheidungen treffen. Das sind wir der Welt und unseren nächsten Generationen schuld. Darüber in den Medien zu sprechen, sei es noch so sehr in dieser Lifestyle-Schiene, ist die beste Möglichkeit diese Gedanken zu verbreiten.

Alles Liebe,
Mira

Liebe Mira,

du sprichst da einen enorm wichtigen Aspekt an, den ich so noch nicht thematisiert hatte, aber selbst auch immer mal wieder im Kopf hin- und herwälze: Da es uns hier so gut geht und wir die Möglichkeiten haben, so frei zu handeln und unsere Stimme mit jeder Handlung abzugeben und die Welt ein kleines bisschen zu verändern – ist das nicht auch unsere Verantwortung denen gegenüber, die diese Freiheiten nicht haben? Unsere moralische Pflicht gewissermaßen?
Ich glaube – ebenfalls, genau wie du – dass sie das ist. Und das rückt die täglichen Entscheidungen tatsächlich in ein ganz anderes Licht.
Vielen Dank dir für die schöne Anregung!

Liebe Grüße
Jenni

Ach Jenni – wenn ich morgens aufstehe, dann habe ich auch immer ein positives Grundgefühl – bis zur ersten Schreckmeldung 🙁 Wobei, der “nette” Nebenaspekt: Man freut sich, wenn doch mal gute Nachrichten kommen… Daher war ich auch heilfroh, als der Saarland die AfD nicht in den Landtag wählte – obwohl es mir natürlich lieber wäre, wenn ich mich nie davor fürchten müsste, dass Parteien wie diese zu viel Macht erhalten.

Trotzdem, ich sehe politische und gesellschaftliche Probleme (Einkommensverteilung, Immigration) vollkommen unabhängig vom Klimaschutz. Ich weiß, dass ich politisch allein nicht viel machen kann, außer hoffen (und wählen gehen), aber bei dem umweltfreundlichen Leben kann ich ein Beispiel sein und tue gern das Möglichste. Und das würde ich nie hinschmeißen wollen, weil ich dann selbst nicht besser bin als die, die unsere Umwelt wissentlich aus Faulheit oder Geldgier zerstören.

Deine Gedanken zum “neuen Biedermeider” finde ich echt verdammt interessant – darauf wäre ich nie gekommen. Aber du hast so recht: Wir ziehen uns vielleicht zurück und agieren nicht auf der Straße, aber wir zeigen trotzdem unsere Meinung und inspirieren uns gegenseitig. Und das finde ich besser als Proteste, Demos etc., weil es eben friedlich abläuft 🙂 Außerdem schieben wir damit nicht nur anderen die Schuld für Missstände in die Schuhe, sondern geben zu, dass wir selbst etwas tun können & machen das eben auch.

Ein toller Post!!

Liebe Tabea,

ich danke dir für deinen durchdachten Kommentar, in dem aber selbst auch viel Input drinsteckt, und freue mich auf der anderen Seite, dich ebenfalls ein wenig ins Grübeln gebracht zu haben. 🙂

Ich denke zwar nicht, dass man Umweltschutz/Veganismus/Minimalismus und den ganzen Komplex rund um Nachhaltigkeit von der Politik abkapseln kann – denn genau das ist meines Erachtens nach politisch: Wir haben eine Haltung, wir haben eine Vision von einer besseren Welt (so kitschig das auch klingen mag) – und wir sind bereit, etwas dafür zu tun. Es ist zwar nicht so offensichtlich und man macht sich darüber vielleicht auch nicht jeden Tag Gedanken – aber es ist eine andere Form von politischem Handeln, eine passivere, wenn man so will.

Obwohl ich wirklich sagen muss, dass ich Demonstrationen enorm wichtig finde – denn sie sind eine gute Möglichkeit, auch offen und ehrlich und laut und fordernd zu sein. Und genau das braucht eine Gesellschaft genauso wie den leisen Aktivismus, der sich eher versteckt und hinter den Bühnen abspielt. Das ist unheimlich wichtig und gehört für mich zu einer gesunden Demokratie dazu.

Liebe Grüße
Jenni

Ganz abkoppeln kann man diese Themen von der Politik sicher nicht, aber ich habe eben das Gefühl, das gerade beim Umweltschutz es zwei unterschiedliche Handlungsspielräume gibt: Den der Politiker durch Gesetze und Förderungen von nachhaltigen Ideen und den von jedem einzelnen, wo die Politiker gar nichts bewirken könnten (Essen, Konsum, Strom sparen etc.). Von daher muss da eben jeder selbst aktiv werden, aber bei Themen wie arm & reich sehe ich doch eher nur Politiker in der Pflicht – oder beim Elterngeld / familientauglichen Arbeitszeiten. Aber man kann das natürlich auch mehr wie du sehen – nur hat Politik in meinem Weltbild irgendwie immer noch etwas mit Gesetzen, Wahlen und Förderungen vom Staat zu tun, während nachdenken und handeln für mich “privat” ist, selbst wenn man damit etwas gesellschaftliches erreichen will.

Demos finde ich auch wichtig, keine Frage. Alles ist gut, solange es auf Probleme hinweist und friedlich bleibt 🙂

Liebe Grüße

Ganz abkoppeln kann man diese Themen von der Politik sicher nicht, aber ich habe eben das Gefühl, das gerade beim Umweltschutz es zwei unterschiedliche Handlungsspielräume gibt: Den der Politiker durch Gesetze und Förderungen von nachhaltigen Ideen und den von jedem einzelnen, wo die Politiker gar nichts bewirken könnten (Essen, Konsum, Strom sparen etc.). Von daher muss da eben jeder selbst aktiv werden, aber bei Themen wie arm & reich sehe ich doch eher nur Politiker in der Pflicht – oder beim Elterngeld / familientauglichen Arbeitszeiten. Aber man kann das natürlich auch mehr wie du sehen – nur hat Politik in meinem Weltbild irgendwie immer noch etwas mit Gesetzen, Wahlen und Förderungen vom Staat zu tun, während nachdenken und handeln für mich “privat” ist, selbst wenn man damit etwas gesellschaftliches erreichen will.

Demos finde ich auch wichtig, keine Frage. Alles ist gut, solange es auf Probleme hinweist und friedlich bleibt 🙂

Liebe Grüße

Liebe Jenni,
ich glaube, ganz wie Du auch, dass wir im Kleinen beginnen müssen um das Große und das Ganze zu verändern. Wir müssen mit jenen in unserem Bekannten- und Freundeskreis den Dialog suchen. Und wenn wir uns trauen, den aufgeschnappten Wortfetzen auf der Straße widersprechen. Schau doch nur: Durch Deinen Post “Wie sich meine Beziehung zum Besitz verändert hat” und durch Franzis Konsumauszeit bin ich zurzeit auch im Konsumfasten. So sehe ich, dass ich überhaupt nichts brauche, was für eine Erleichterung! Wenn wir also im Kleinen schon so einen “Impact” haben können, wenn jeder ein bisschen was tut, dann kann die Welt doch nur eine bessere werden 🙂
Alles Liebe!
Julia

Liebe Julia,

ich danke dir für deine so positiven und lieben Worte!
Und ich freue mich riesig, dass dich unter anderem mein Beitrag dazu bewegt hat, eine persönliche Konsumauszeit einzulegen – das ist eine wunderbare Nachricht! 🙂

Ich glaube auch, dass wir im Wesentlichen im Kleinen anfangen müssen und uns dann immer weiter vorarbeiten sollten – der Alltag ist nun einmal der Ort, an dem man am schnellsten und effektivsten Dinge ändern kann und bei dem man noch genau das Gefühl hat, dass es sich eben so verhält. Und daher auch am motiviertesten ist, hier anzufangen bzw. überhaupt etwas zu tun. Das sieht auf politischer Ebene sicherlich schon ganz anders aus.

Danke dir nochmals für deine aufbauenden Worte!

Liebe Grüße
Jenni

Kann beim Beitrag und dem Commi hier einfach nur zustimmen 🙂 – ein extra Danke! – glg Herta

Liebe Herta,

ich danke dir für deinen lieben Kommentar und freue mich, dass dir sowohl der Beitrag als auch die Diskussion hier gefallen. 🙂

Liebe Grüße
Jenni

Liebe Jenni,
hör nicht auf dran zu Glauben das auch kleine Dinge erwas bewegen werden.
Es ist zwar so, daß man wirklich manchmal alles hinschmeißen will, weil es so mühselig ist, immer und immer wieder das gleiche zu erzählen, aber irgendwann bewegt sich was.
Anfang der 80er Jahre, da war ich mitten in der Pubertät und wir galten als Generation No Future, sind wir gegen Atomkraft, gegen die massive Aufrüstung der Atommächte, gegen Walfang und Robben schlachten, Elfenbeinhandel, sauren Regen der Waldsterben verursachte und so vieles mehr auf die Strasse gegangen oder haben Unterschriftenlisten gesammelt, auch wenn es hieß das es doch eh nix bringt.
Ich finde in der Zeit bis heute hat sich schon einiges getan, zwar noch ein zartes kleines Pflänzchen, aber wert es weiter zu schützen damit es wachsen kann. Vielleicht werden wir es nicht mehr voll erleben, aber die nachfolgenden Generationen bestimmt ???? und an dem Gedanken halte ich mich fest und versuche weiter lauter kleine Schritte zu verbessern.

Danke für diesen Blogartikel und noch einen schönen Sonntag
liebe Grüße Aurelia

Liebe Aurelia,

ich danke dir für deine aufmunternden Worte – man merkt sicherlich ein wenig im Artikel, dass ich manchmal ein wenig an dem Sinn und Zweck des Ganzen und der Frage, ob ich selbst genug tue und gut genug bin, verzweifeln könnte. Theoretisch kann man so viel machen! Und praktisch enden wir doch jeden Tag (oder zumindest mehrfach in der Woche) an der Kasse und haben dort die Wahl.

Deinen Ausflug in die Vergangenheit finde ich sehr ermunternd – so im Rückblick auf Zeiten, die ich selbst nicht erlebt habe, wird einem schon deutlich, was sich alles getan hat und welche Dinge man heute als selbstverständlich betrachtet, obwohl auch hart dafür gekämpft worden ist.
Ich möchte auch wirklich nicht aufhören daran zu glauben, dass kleine Dinge und gerade die alltäglichen Entscheidungen wichtig sind und etwas verändern können – sei es, weil sie andere Menschen aufgrund ihrer Einfachheit dazu mobilisieren, es einem gleichzutun und dann die Masse letzten Endes den neuen Kurs bestimmt oder weil es gerade einfach die einzig für den einzelnen machbare Alternative zu politischem Großaktivismus ist. Idealerweise verbindet sich natürlich beides zu einer umfassend bewussten Lebenseinstellung. Das wäre schön – und auch für mich eine Baustelle, an der ich noch zu arbeiten habe.

Liebe Grüße
Jenni

Hallo liebe Jenni, keine Sorge, ich freue mich ja, wenn meine Artikel zur Diskussion und zum Nachdenken anregen 🙂
Lange Zeit war ich auch irgendwie unentschlossen – “bringt” grüner Konsum etwas? Ändert sich da was, ist das der Beginn einer Revolution? Ist es nicht super, dass ein Primark Haul, der vor 3 Jahren noch cool war, heute verpönt ist?
Auf jeden Fall ist das eine gute Sache! Deshalb bin ich da in Teilen absolut bei dir, es ist besser, auch im kleinen Gutes zu tun, statt mit einem “ich kann eh nix ändern”-Achselzucken einfach weiterzumachen. Aber dann gibt es, wie ja leider so oft, die Kehrseite der Medaille, nämlich dann, wenn der grüne Konsum nicht privat bleibt.
Auch nachhaltige Blogs schüren ja letzten Endes diese kapitalistische Bedürfniserweckung – am System ändern sich nichts, an den Produkten schon, vielleicht auch an Produktionsbedingungen, aber, wie wir ja auch schon in Köln auf dem green blogger meetup festgestellt haben, bleibt am Ende dasselbe “in grün”. Deshalb sehe ich auch die nachhaltige Bloggerszene kritisch (wenn natürlich auch viel lieber als die konventionellen Blogs, denen grad mal alles egal zu sein scheint) und habe für mich den Ausstieg aus der Produktnennung und -bewerbung beschlossen.
Ich danke dir sehr für den großartigen verlinkten Artikel “Conscious consumerism is a lie.” Ich finde den Gedanken nämlich nicht uninteressant: Zeit, die wir für unseren grünen Lifestyle und grünen Konsum aufwenden, fehlt uns für politisches Engagement. Im Falle des Bloggens geht noch eine ganze Menge Zeit dafür drauf, den Content aufzubereiten. Geld, was wir in nachhaltig produzierte Güter stecken, stecken wir nicht in Spenden. Der Satz “So if you really care about the environment, climb on out of your upcycled wooden chair and get yourself to a town hall meeting.” hat mich ins Herz getroffen. Den könnte ich mir an die Wand hängen.
Es ist so: Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass ein Leben, in dem Konsum eine wesentlich geringere Rolle spielt, manchmal etwas trostlos schmeckt – da fehlen die Glückshormone, kein Witz! Andererseits werden plötzlich Ressourcen frei. Ich kann sonntags auf die Demo gehen, statt für den Blog zu fotografieren. Unser aller Tag hat nur 24 h. Vielleicht ist unsere Zeit unsere wertvollste Ressource und wir müssen uns die schon Frage gefallen lassen, was wir wirklich verändern, wenn wir ein Brettchen aus nachhaltigem Holz kaufen oder eins vom Schweden. Sie tut ein bißchen weh, ich weiß. Aber ich glaube, dass wir ein viel viel größeres Umdenken brauchen, als nur den shift von konventionellem zu grünem Konsum, um wirklich etwas für den Planeten zu bewegen.
Liebe Grüße, Kea

Liebe Kea,

ach, da bin ich aber erleichtert!
Ich sichere mich nur gerne zusätzlich ab, weil es doch immer recht schnell böses Blut und Missverständnisse gibt – und die dann oftmals vollkommen unbegründet in problematische Diskussionen ausarten, die eigentlich zu vermeiden gewesen wären. Wenn man den Artikel so liest, könnte man ja auch denken, ich würde dir komplett widersprechen (jedenfalls, wenn man nicht allzu genau liest) und genau das möchte ich vermeiden. Ich revidiere, ich krittele nicht kleingeistig herum, das ist mir ganz wichtig, das klarzustellen. 🙂

Ich danke dir auf jeden Fall für deine zahlreichen spannenden Impulse (und werde dir gleich auch noch auf die Facebook-Nachrichten antworten, keine Sorge 😉 ) – da sind viele Gedanken bei, die auch ich mir bereits gemacht habe (wie du ja weißt) und Fragen, auf die ich noch keine richtige und abschließende Antwort gefunden habe.
Ich glaube, es gibt keinen komplett nachhaltigen Konsum. Da stimme ich dir zu: Letzten Endes kommen wir immer wieder bei Produktion, Nachfrage und verbrauchenden Ressourcen an. Es sei denn, wir kaufen zu 100% Second Hand – das wäre doch auch mal ein spannendes Projekt!
Dass du vor diesem Hintergrund für dich persönlich ausgestiegen bist aus dem Ganzen, das achte ich hoch und kann es vollkommen verstehen. Ich persönlich frage mich in diesem Zusammenhang nur auch immer wieder: Was bringt mehr – die Masse zum Verzicht mobilisieren oder doch zu mehr Bedachtheit in ihren Konsumentscheidungen? Und dann im zweiten Schritt zu mehr Verzicht auffodern? Oder beides gleichzeitig?
Denn es ist ja schön und gut, wenn wir Nachhaltigkeitsritter vorangehen – es müssen aber nur auch Lösungen gefunden werden, die attraktiv für eine große Zahl an Menschen sind, damit im weitreichenden Sinne des Wortes nachhaltig etwas verändert werden kann. Und dazu scheinen mir “grüne” Alternativen bisher ein gutes Konzept zu sein. Dass das nicht das Ende der Entwicklung sein kann, wird ja bereits großflächig diskutiert – und das ist auch gut so. Aber ich glaube, die ersten Schritte in diese Richtung sind bereits gegangen.

Den Beitrag fand ich auch augenöffnend – und genau den Satz, den du herausgegriffen hast, hat mir ebenfalls am meisten zu denken gegeben und ich habe mich ertappt gefühlt. Ich finde es richtig und wichtig, dass wir sowohl auf der einen, passiveren als auch der anderen, aktiveren Seite Engagement zeigen – und ich glaube, letzten Endes läuft es wieder darauf hinaus, dass jede*r sein und ihr bestes und das, was gerade möglich ist, dazu beitragen sollte.

Liebe Grüße
Jenni

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